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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

372-373

Autor/Hrsg.:

Vollmer, Fridericus (Ed.)

Titel/Untertitel:

Poetae latini minores. Vol. V 1915

Rezensent:

Cybulla, K.

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 16/17.

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Strom. V 14,120; vgl. Elter: Gnom. hist. 190—192) vorliege
; 8,4 wäre es vielleicht nicht überflüffig gewefen,
Piaton: Gorgias 523ef als Wanderftelle zu bezeichnen:
denn das frühere Bild Jußins als des ausgelernten Pla-
tonikers, der ftets aus klarfter Quelle fchöpft, läßt fich
doch heute kaum mehr fefthalten.

Mit befonderer Genugtuung endlich zeige ich Andres
tiefeindringende Studie über die Engellehre der älteren
Apologetik an. Man könnte zwar über die Berechtigung
Breiten, die Behandlung diefer Lehre auf eine Schrift-
ftellergruppe zu befchränken, die doch kein befonderes
Dogma entwickelt hat, man könnte die Abgrenzung dies-
feits des Neuplatonismus (vgl. S. IX), der ficher doch
eine lange Vorbereitung gefunden hat, beanftanden, aber
eine folche Erweiterung hätte die Unterfuchung zu einem
größeren Werke auffchwellen laffen, das der Verfaffer
diefer Studie nicht beabfichtigte und auch nicht zu fchaffen
brauchte. Denn innerhalb diefes von ihm gefpannten
Rahmens hat er ein überaus lebendiges und mit pein-
lichfter Sauberkeit bis ins Einzelne ausgeführtes Bild gemalt
, nicht ohne mit kundiger Hand einen wirkungsvollen
Hintergrund zu entwerfen. A. führt uns die Engel- und
Dämonenlehre des Juftin, Tatian, Athenagoras, Theophilos
unter nachfolgender kurzer Berückfichtigung des Ariftides,
Meliton, Hermias vor, fchließt daran eine Behandlung der
griechifch-römifchen Dämonologie und unterfucht dann
das Verhältnis hellenifcher und chriftlicher Anfchauungen
zu einander. Sicher wäre es wirkungsvoller gewefen, hätte
A. den umgekehrten Weg eingefchlagen, hätte er den
griechifchen Dämonismus zuerß in Angriff genommen
und durch gründliche Quellenunterfuchung z. B. über
Plutarch, Maximus, Apuleius — alle drei befchäftigen
fich doch mit Sokrates' Daimonion — die Lehre des
Pofeidonios zurückzugewinnen verfucht, um dann noch
einen Ausblick in die neuplatonifche, mit diefem fo nahe
verbundene Anfchauung zu werfen. Aber ein folches
Unternehmen wäre immerhin ein periculosae plenum opus
aleae geworden, und A. hat fich mit Recht bemüht, lieber
fichere Ergebniffe auf kleinerem Raum zu gewinnen. An
Weitblick aber fehlt es ihm dabei wahrhaftig nicht. Eine
ungeheure Maffe von Literatur über den Gegenftand und
feine Nebengebiete, ca. 200 Bücher und Artikel find durchgearbeitet
oder durchgefehen, mit Recht werden dabei
auch alte Anfchauungen wieder zu Ehren gebracht; nur
einen kleinen Schönheitsfehler zeigt diefer gewaltige Fleiß
in der allzu häufigen Mitteilung längerer wörtlicher Zitate
aus den benutzten Schriften, ein Mangel, dem man übrigens
oft genug in Arbeiten von Anfängern begegnet.

A. hat die Auffaffungen der einzelnen Apologeten
von Engeln und Dämonen gut gekennzeichnet, das Individuum
, namentlich ein Athenagoras tritt bei ihm klar
hervor; die Quellen des Juftin (die chriftlich-jüdifche Lehre,
dazu Reminiszenzen aus Piaton) werden m. E. richtig
erkannt; namentlich wird mit kräftigem Nachdrucke auf
das Beftreben der Apologeten hingewiefen, trotz mehrfacher
Anleihen bei den Hellenen eine eigne Geifterlehre
der heidnifchen entgegenzuftellen, und die Unabhängigkeit
des chriftlichen Engelglaubens von der heidnifchen
Dämonologie betont. Ich will hier natürlich nicht A.'s
gründlichen Studien eine neue Unterfuchung gegenüber-
ftellen, aber ich möchte doch eins zu bedenken geben:
wir willen, daß Porphyrios von Engeln gefprochen hat,
wir kennen eine Infchrift aus dem 2. Jahrhundert: CIL
XIV 24 I. 0. M. A7igelo Heliopolitano; da Bellen fich
doch Möglichkeiten früherer heidnifch-fynkretifiifcher
Engelslehre heraus. Ferner, was die Dämonen angeht:
wir kennen des Porphyrios böfe Opferdämonen, Athenagoras
' Anfchauung (27) von den Dämonen, die fich Götternamen
beilegen, Beht in naher Beziehung zu Plutarch
(de Is. et Os. p. 36od; de def. orac p. 417c), die Platon-
Belle, auf die Juftin fich Bützt (Tim. 40; 41), gehört zu
den fo oft von Griechen und ChriBen zitierten Stücken;
Pofeidonios' Dämonen leben in der reineren und feineren

Luft, wie Tatians Engel mit allerfeinBer Materie ausgeBattet
find, und wenn endlich die Dämonen bei JuBin die Bibel
zu entBeilen wiffen, fo erinnert diefe unheilvolle Tätigkeit
nicht fo ganz wenig an die von Plutarch berührte Verwirrung
des hellenifchen Götterglaubens zu GunBen jener
GeiBer. Daß ich meine Meinung gerade herausfage: es
muß in einer die Zukunft beflimmenden Weife in Pofeidonios
' Timaioskommentar über die &eol 9-ecöv (Tim. p.
41a) eingehend die Rede gewefen fein.

Doch dies foll alles keine Widerlegung fein, kaum
eine Verbefferung. Denn auch bei einer folch Barken Erweiterung
der Unterfuchung behielte A. doch wohl grund-
fätzlich mit feiner Anfchauung recht; entdeckte man, woran
ich nicht zweifle, noch zahlreichere und Bärkere Fäden
zwifchen der heidnifchen und chriBlichen GeiBerlehre, fo
könnte doch niemals das BeBreben der ChriBen, eine
eigne Lehre zu geBalten, geleugnet, noch die Erreichung
diefes Ziels, wenigflens in gewiffem Sinne, in Frage ge-
Bellt werden.

Zuletzt wird die intereffante Frage aufgeworfen, wie
die altteBamentliche GeiBerlehre in fpätjüdifcher Ausbildung
und die helleniBifch-römifche Dämonologie zu
ähnlichen Anfchauungen gekommen feien, und aus dem
gemeinfamen orientalifchen Einfluß erklärt. Iranifche und
babylonifch-affyrifche Dämonenlehre, heißt es, müffen
dazu in ihren Quellen unterfucht werden: dann wird man
auf eine alte, objektiv wahre, von den erßen Verkündigern
des Evangeliums angenommen Tradition zurückkommen
(v. Dunin-Borkowski). A. wird begreifen, daß ich ihm
hier nicht zu folgen vermag.

Die fchriftßellerifche Perfönlichkeit diefes katholifchen
Forfchers macht einen fehr erfreulichen Eindruck. Entgegen
fo manchem unferer jüngeren Gelehrten, die, eben
flügge geworden, anmaßend tadeln, herablaffend loben,
fogar mit guten Ratfchlägen nicht kargen möchten, herrfcht
in diefer Arbeit der ruhig vornehme Ton rein fachlicher
Unterfuchung, deren Methode und Ergebnis Theologen
und Philologen gleich befriedigen dürften.

RoBock. Joh. Geffcken.

Poetae latini minores. Post Aemilium Baehrens iterum rec.
Fridericus Vollmer. Vol. V. Dracontii De laudibus
Dei. Satisfactio. Romulea. Orestis tragoedia. Frag-
menta. Incerti aegritudo Perdicae. (X, 268 S.) kl. 8°.
Leipzig, B. G. Teubner 1914. M. 4—; geb. M. 4.40

In Rahmen der Poetae lat. min. gibt Vollmer des
Dracontius Dichtungen heraus, nachdem er eine größere
Ausgabe in den Monumenta Germaniae historica, auctorum
antiquissimorum tomus XIV, Berlin 1905 gemacht hat.
Damit hat der 5. Band der PLM ein ganz neues Ausfehen
bekommen. Während in der erßen Auflage nur die
profanen Gedichte des Dracontius aufgenommen waren,
daneben aber auch eine ganze Reihe anderer Dichter, iß
diefer Band der zweiten Auflage zu einer Gefamtausgabe
des Dracontius geworden. Mit aufgenommen iß auch die
aegritudo Perdicae eines unbekannten Dichters, die man
aber mit ziemlich großer Wahrfcheinlichkeit auch dem
Dracontius zufchreibt. So entfpricht diefe Edition im
wefentlichen der großen, iß aber nicht etwa ein bloßer
Abdruck, fondern eine verbefferte Ausgabe.

In einer kurzen Einleitung befpricht V. die hand-
fchriftliche Überlieferung im Anfchluß an feine Ausführungen
in der gr. Ausgabe und feinen Artikel Dracontius
in Pauly-Wiffowas Realenzyklopädie V, p. 1635—1644.
Die Haupthandfchriften hat er noch einmal verglichen
und die Frage ihrer Abhängigkeit von einander überprüft.
Danach kann er feine Anficht, daß der cod. Ambrosianus
O 74 sup., in dem der Oreßes erhalten iß, eine felbßändige
Überlieferung darßellt, nicht mehr aufrecht erhalten, fondern
muß fich Haafes FeBBellung anfchließen, daß er
vom cod. Bernensis 45 abhängt. Der Text unterfcheidet