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Ausgabe:

1915

Spalte:

353-355

Autor/Hrsg.:

Hammacher, Emil

Titel/Untertitel:

Hauptfragen der modernen Kultur 1915

Rezensent:

Dorner, August

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Klöfter wird trotz des zeitlichen Auseinanderfallens zu-
fammen behandelt — hätte von felbft dazu geführt,
manche der geheimeren Fäden bloßzulegen. — In der
Wertung des gewonnenen Materials bin ich mit Götz vielfach
einverftanden. In dem ganzen Gebiete herrfchte

1555 ein bunter Wirrwar; das Eingreifen der Obrigkeit

1556 war eine Erlöfung für das ganze Land. Den Inte-
reffen des Landes entsprach allein die Einführung einer
evangelifchen Kirchenordnung. Die kath. Geiftlichen waren
nicht im Stande gewefen, die fittlichen Schäden, wie fie
1480 fich in erfchreckendem Maße zeigten, zu heben; der
evangelifche Klerus hatte allein einen höheren fittlichen
Stand zu erringen gewußt. Bei dem untätigen Zufchauen
der Obrigkeit konnten auch da fich allerdings fchlechte
Elemente einmifchen, aber Götz bemerkt felbft S. 146:
„Selbftverftändlich bilden die eben gefchilderten, fittlichen
Defekte nicht die Regel, im Gegenteil, bei den meiften
Kirchendienern ift vermerkt: ,hält fich gut', und fehr oft
geben die Vertreter der Gemeinde ein recht gutes Zeugnis
über fein Leben und feine Lehre'. Auf Grund deffen
muß ich aber den Bericht der Vifitatoren, mit dem Götz
fchließt, anders werten. Konnte man wirklich verlangen,
daß in wenigen Jahren die Geiftlichen die am Ausgang
des Mittelalters fittlich ganz darniederliegenden Gemeinden
von Grund aus vollftändig befferten? Zumal wenn
man bedenkt, daß es jeder ftützenden und leitenden Kirchenbehörde
ermangelte? Diefer Bericht legt vielmehr ein
lautes Zeugnis für die Wahrheitsliebe der evangelifchen
Geiftlichen ab und für ihren ernften Eifer, eine fittliche
Hebung des Volkes zu befördern. Denn auch hier ift
Erkenntnis des Fehlers der erfte Schritt zur Befferung.

Götz bemüht fich fichtlich, objektiv zu verfahren. Eben deshalb
darf wohl auf etliches aufmerkfam gemacht wrden, was feiuen Grundfatz
zu durchbrechen droht. S. i Z. 5 v. u. Lippert hat durch feinen Buchtitel
.Oberpfalz (Kurpfalz)' nicht eine Gleichfetzung beider Gebiete be-
abfichtigt, er wollte andeuten, daß er nur den Teil behandelt, der ehvft
zur Kurpfalz gehörte S. 3 fchließt die Bezeichnung ,fiarefie' bereits ein
dogmatifches Urteil in fich. An manchen Stellen geben Gegenüberftel-
lungen oder Zufammenfaltungen die Objektivität preis: S. 14 Z. r von
oben, S. 78 Z. 13 v. o. (wozu ,auch'f); S. 129 Z. 12 v. u. (.natürlich'
ift unnötig); S. 144 Z. 18 v. o.; öfters: .evangelifcli und beweibt'. Götz
erkennt an, daß die Sprache jener Zeit derber war als heutzutage. (S. 91
Z. 14 v. u.); dann ift aber der kath. Priefter Füeterer (S. 96) genau fo
einzufchätzen wie Freysleben (S. 84). Der Ausdruck: .unfruchtbar' S. 85
Z. 15 v. u. wäre durch .nicht ohne Wirkung' feiner Spitze leicht beraubt
worden. Ausführungen wie S. 86 Z. 16 v. u. (die evangelifche Freiheit
hat einen andern Inhalt) laffen den fonft ruhigen objektiven Ton nicht
erkennen.

Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Hammacher, Priv.-Doz. Emil: Hauptfragen der modernen

Kultur. (V, 351 S.) gr. 8°. Leipzig, B. G. Teubner
1914. M. 10 — ; geb. M. 12 —

Diefe Schrift, die im Einzelnen fehr viele beachtenswerte
Bemerkungen enthält, ift als Ganzes durchaus eklek-
tifch und bringt es zu keiner einheitlichen Weltanfchauung.
Sie zeigt ein lebhaftes Intereffe an der Metaphyfik, die
fchließlich in Myftik übergeht, fie zeigt in Bezug auf die
Welt eine Hinneigung zum Phänomenalismus, fie zeigt in
der Kritik Abhängigkeit von Nietzfche, aber auch von
Hartmanns Peffimismus, fie zeigt aber auch Abhängigkeit
von Hegels Unterfcheidung von Verftand und Vernunft,
die er zum Hauptmaßftab der Beurteilung macht, ohne
freilich zuzugeben, daß Hegels Weltanfchauung wie die
des klaffifchen Idealismus überhaupt, ein anderes Refultat
gezeitigt habe, als eine ins Unendliche fortgehende Entwicklung
, deren Relativismus in Widerfpruch ftehe mit
dem abfoluten Standpunkt, den er einnehme; und doch
vermag ich nicht zu fehen, daß Plammachers Gottesbegriff
über einen ähnlichen Widerfpruch hinausgekommen
wäre, wenn er einerfeits pantheiftifch Gott in der Welt
fich entfalten läßt und andererfeits doch die Welt in der
Myftik untergehen läßt, wenn er meint, das Abfolute fei
eine Auseinanderfetzung zu einer unendlichen Vielheit

mit dem Ziele der Verwirklichung des Selbftbewußtfeins.
die Einheit des Abfoluten fchließe die Einheit und Vielheit
in fich, fei die teleologifche Entfaltung zu abfolutem
Reichtum, und wenn er doch felbft das .zeitliche Werden
Gottes' wieder als Zeichen der Unvollkommenheit an-
fehen will. Kein Wunder, daß die Kultur in der Myftik
wieder zum ,wefenlofen Scheine' wird, indem nicht nur ,alle
Zeitlichkeit und Unvollkommenheit, fondern auch alle
Sittlichkeit und Weltwirklichkeit nun überwunden ift'. Da
ift es nicht zu verwundern, wenn fchließlich ganz befon-
ders die ökonomifch foziale Kultur, die nur der Körper
der geiftigen Kultur ift, zur vollen .Gleichgültigkeit' herabgedrückt
wird und nur phänomenalen Charakter trägt,
wenn aber ebenfo auch vom politifchen Leben getagt
wird: ,daß wir den Staat innerpolitifch mehr und mehr
aus der metaphyfifchen Sphäre in die foziale hineindrängen
und durch Leugnung der Übereinftimmung des
geiftigen und politifchen Lebens die ftaatlich geleitete
nationale Einheitskultur vernichten. Diefe Tatfache der
Entfremdung fchließt ein, daß nunmehr der Weltgeift
endgiltig die Stufe verlaffen hat, auf der er feine volle
Befriedigung im politifchen Leben fand.'

Der Grundgedanke, der in diefem Buche, wenn auch
nicht ohne gelegentliche Inkonfequenzen, durchgeführt
wird, ift der, daß die Verftandesaufklärung eine Zerfetzung
der Kultur herbeiführe, die ausfichtslos fei, daß
nur Wenige (Geniale!) zu der Myftik vordringen, in der
zuletzt alle Kultur aufgeht, die ihren Zweck darin hat,
daß die Gottheit zum Selbftbewußtfein kommt. Alles
Andere als das myftifche religiöfe Bewußtfein ift vorübergehender
Natur, und man wird lebhaft an Hartmann erinnert
, wenn er fagt: Gott fei unvollkommen, und fo .erkläre
fich die Notwendigkeit der endlichen Geifter, an
dem Erlöfungsprozeß Teil zu nehmen. Sie find nicht nur
abgefehen von der Form der Endlichkeit metaphyfifche
Wefen, fondern haben außerdem ihr Korrelat in der allgemeinen
Erlöfungsbedürftigkeit und Unvollkommenheit
der Unerfchaffenen und erhalten von hier aus ihre
Aufgabe'.

So kritifiert er hauptfächlich die gegenwärtige Kultur
als Produkt der Aufklärung, und wenn er auch gelegentlich
einen Anlauf nimmt, ein neues Kulturideal ins Auge
zu faffen, fo endet er doch peffimiftifch in einer abforp-
tiven Myftik, die aber nur Wenige erreichen, während die
Kultur der nicht genialen Mittelmäßigkeit an ihrem Antagonismus
zu Grunde geht.

Die gegenwärtige Kultur ift nach ihm Verftandes-
kultur der Aufklärung. Sie analyfiert Alles, wirkt zerfetzend
, führt zum Spezialiftentum, vernichtet die zufam-
menfaffende Einheit, erzeugt eine Atomiftik im Volksleben
, verliert mit dem Metaphyfifchen den geiftigen Gehalt
, führt zum Wohlleben und Eudämonismus, gleich, ob
in individueller oder fozialer Form, und erzeugt den Fundamentalirrtum
, an die Stelle des Metaphyfifchen das
Soziale zu fetzen, und ruft den Antagonismus von Individuum
und Maffe hervor, zertrümmert die Perfönlichkeit,
indem fie das Überindividuelle im fozialen Wohlfein ftatt
im Metaphyfifchen findet. ,Ein Fundamentalirrtum unferer
Zeit, eine Folge der Aufklärung ift die Identifizierung
des Überindividuellen mit dem Sozialen, das Außeracht-
laffen des metaphyfifchen Überindividuellen.' So wird
auch das Soziale an die Stelle der Religion gefetzt.
Und doch ift das Sozialfein nur der Körper der Menfch-
heit als Gefäß ihrer Seele. Die Aufklärung führt zu der
Entpersönlichung, und damit entfteht Korruption. Pfy-
chologifch wird die Perfon aufgelöft, ein reflektierendes
Wefen tritt an die Stelle des Unmittelbaren und Naiven
. Die Religion wird durch Erforfchung ihrer Anfänge
zerfetzt. Die Menfchen werden weich, willenlos, oder
durch eine Reaktion des anti-intellektualiftifchen Voluntarismus
werden dunkle Maffeninftinkte aufgewühlt, und es
entfteht ein Kampf zwifchen Maffe und Individuum auf
Tod und Leben, ein Kampf um den Nutzen. Die Exten-