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Ausgabe:

1915 Nr. 15

Spalte:

348-351

Autor/Hrsg.:

Rackl, Michael

Titel/Untertitel:

Die Christologie des hl. Ignatius von Antiochien 1915

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 15.

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des Nationalen führt, wenn fie nicht auf den Abweg gerät,
zur Karikatur des Menfchlichen zu werden, zu feiner reinften
Darftellung. Das beruht darauf, daß jede Individualität
eine Erfcheinungsform der Idee ift. Die Volksindividualität
fteht der Idee der Menfchheit näher als in der Regel
die Individualität eines einzelnen Menfchen, weil jene die
Summe vieler einzelnen Individualitäten ift' (S. 48f.) . . .
,Die höchfte Bildung der nationalen Individualität wird
nur im Wechfelverkehr mit der umgebenden Welt erlangt,
wie ebenfowenig die Individualität des einzelnen Menfchen
einen Höhepunkt zu erreichen vermag, wenn fie fich auf
fich felbft befchränkt' (S. 51). .. ,Es gibt allerdings auch
Formen des allgemein Menfchlichen im Leben der Nationen
, die nicht übertragbar find. Deshalb kann Berechtigung
der einzelnen Nation zur Exiftenz nicht nur aus
der Vermittlung einer Seite des Menfchheitsideals an die
gefamte Völkerwelt erwiefen werden. Vielmehr handelt
es fich in beftimmten Fällen um eine in fich felbft dauernd
wertvolle Sonderdarftellung diefes Ideals' (S. 52f.) . . .
,Im Leben der gebildeten Menfchheit werden Weltbürgertum
und Nationalitätsbewußtfein immer als ein nicht völlig
auszugleichender, weil durchaus berechtigter Gegenfatz
nebeneinander beftehen' (S. 53).

Daß es Baudiffin gelingt, der Betrachtung eines Problems
altteftamentlicher Forfchung fo viel Gegenwartswert
zu verleihen, zeigt nur, von wie hoher Warte aus er diefes
Problem betrachtet.

Göttingen. Alfred Bertholet.

Nairne, Prof. Alexander, B. D.: The Epistle of Priesthood.

Studies in the Epistle to the Hebrews. (V, 446 S.)
gr. 8°. Edinburgh, T. & T. Clark 1913. s. 8 —

Acht Effays (S. 1—296) und einen Kommentar
(S. 297—433) enthält dies Buch. Sein Wert beruht wefent-
lich in den einleitenden Effays. Auch wenn man von
den vielen Exkurfen und Abfchweifungen abfieht, die mehr
die große Belefenheit des Verfaffers und feine über das
Theologifche hinaus gehenden Intereffen beleuchten, als
daß fie den gefchichtlichen Charakter des Hebräerbriefs
ans Licht ftellen — bleiben einige interefiante Gedankengänge
, Gefichtspunkte und Auffaffungen.

Hebr. ift nach Nairne an einen Kreis von helleniftifch
gebildeten Judenchriften gefchrieben, die noch keine vollkommene
Einficht in das Wefen des chriftlichen Glaubens
befaßen und nun — beim Ausbruch der großen jüdifchen
Revolution — geneigt waren, mit den Juden gemeinfame
Sache zu machen. Die Thefe (Effay I) ift der Erwägung
wert; leider hat derVerf.es noch verfäumt, ihr eine ftrenge
exegetifche Begründung zu geben.

Den theologifchen Charakter des Hebr. findet N. vornehmlich
in dem fakramentalen Prinzip (Effay II—IV).
Ein Sakrament ift da zu finden, wo fichtbare Dinge Bedeutung
für die Ewigkeit gewinnen und uns in Gemeinfeh
aft mit Gott bringen. Das Sakramentale des Hebr. ift
darnach feine Lehre von der Inkarnation und von dem
Prieftertum Chrifti. Jenen Judenchriften in diefem Sinne
Chriftus als einen Hohenpriefter zu vergegenwärtigen, war
die Abficht des Hebr. Die Sündlofigkeit ift dabei ein
Hauptmoment: in ihr fchaut man die Gottheit des Herrn
fichtbar in feiner Menfchheit.

Die Priefterfchaft Chrifti wird durch den Typus Mel-
chifedeks, der eine Art von .natürlichem Prieftertum' vertrat
, und durch die Abfchattung in der levitifchen Priefter-
ordnung illuftriert (Kap. V—VI).

In der kritifchen Zeit, aus der der Hebr. flammt,
predigt er weiter die Erwartung der Parufie und, dadurch
motiviert, die Nachfolge Chrifti (Kap. VII). Hier fucht
der Verf. den Hebr. in die theologifche Entwicklung des
Neuen Teftaments einzureihen. Die primitive Lehre konzentriert
fich auf das Kreuz und die Parufie. Paulus vertieft
fie, indem er die myftifche Verbindung mit Chriftus
durch den meffianifchen Geift einführt. Das Neue in Hebr.
ift die Idee der Verbindung mit Chriftus durch gehorfame
Gefolgfchaft; fie fchuf ein neues Intereffe für ,die Tage
feines Fleifches'. Hebr. gibt nur eine Skizze davon: die
fakramentale Interpretation der Perfon und des Werkes
Chrifti durch Aufzeigung feiner Menfchheit. Die Ausführung
der Skizze ift erft Johannes zu danken.

Ein letztes Kapitel (VIII) behandelt die Verwendung
des Alt. Teft. in Hebr.

Neben anregenden Ideen enthält das Buch viel pro-
blematifches. Das hängt an der Methode; fie ift nicht
philologifch-induktiv, fondern konftruktiv und intuitiv. Die
Diskuffion über Hebr., die in Deutfchland geführt ift, ift
dem Verf. nicht unbekannt, doch berückfichtigt er fie
wenig.

Die Auslegung teilt den Hebr. in drei Teile: c. 1—4,
5—10, 18 das Prieftertum, 10, 19—13 Ermahnung; daß
diefe Teilung wenig glücklich ift, bedarf nicht des Be-
weifes.

Leiden. Hans Windifch.

Rackl, Prof. Dr. Mich.: Die Chriltologie des hl. Ignatius v.
Antiochien. Nebft e. Vorunterfuchg. Die Echtheit der
7 ignatian. Briefe verteidigt gegen Daniel Völter. (Frei-
• burger theolog. Studien, 14. Heft.) (XXXII, 418 S.)
Freiburg i. B., Herder 1914. M. 8 —

Es find nun zwanzig Jahre vergangen, feitdem der
Unterzeichnete feine Erftlingsarbeit über Ignatius von
Antiochien als Chrift und Theologe veröffentlichte. Seitdem
find noch mancherlei einzelne Arbeiten über Ignatius
erfchienen, aber keine die ausführlich feine theologifchen
Gedanken unterfucht. Erft das vorliegende Buch nimmt
dies Thema an einem entfeheidenden Punkt wieder auf,
indem es eine ausführliche Darfteilung der Chriftologie
des Ignatius und ihre dogmengefchichtliche Würdigung
verfucht. Der Verfaffer fetzt fich daher auch fortgehend
mit meinen damaligen Ausführungen auseinander. Das ift
mir eine willkommene Gelegenheit, meinerfeits zu diefen
Fragen meine Stellung kundzugeben, foweit eine Befpre-
chung an diefer Stelle dazu einen Raum bietet. R.s Buch
ift keine unbedeutende Leiftung. Nicht nur der ausführliche
Literaturnachweis (17 Seiten!), auch die fortgehende
Bezugnahme zeigt ihn mit der ganzen einfehlägigen Literatur
vertraut. Überall ift er bemüht, gründlich zu arbeiten
und auf alle vorgebrachten Argumente gewiffenhaft einzugehen
. Deshalb verdient das Buch eine ernfte Auf-
merkfamkeit.

Wenn der Verfaffer freilich tadelt, daß ich mich damals auf den
Standpunkt der proteftantifchen Wiffenfchaft geftellt hätte anftatt auf
den Standpunkt ,der Wiffenfchaft überhaupt', um einen neutralen Boden
als Ausgangspunkt zu gewinnen, fo ift fein Buch felbft ein Beweis dafür,
wie unmöglich die Forderung einer ,vorausfetzungslofen' Wiffenfchaft ift.
Das geht immer nur eine Strecke weit — dann aber muß es fich geltend
machen, zumal bei einem Thema wie diefem, von welchen theologifchen
Grundanfchauungen und von welcher begrifflichen Schulung der Vertaner
herkommt.

Wenn es uns proteftantifchen Theologen fchon oft fchwer fällt, auch
bei rein gefchichtlichen Unterfuchungen von unfern Frageftellungen und
Gefichtspunkten uns frei zu machen, wieviel mehr ift der katholifche
Gelehrte innerlich und äußerlich gebunden, mag er auch von der heften
perfönlichen Abficht geleitet feiD, fich auf dem Standpunkt ,der Wiffenfchaft
überhaupt' zu ftellen.

In einer Vorunterfuchung (S. 1—86) befchäftigt fich
R. nochmals mit der Echtheitsfr age in Auseinanderfetzung
mit Daniel Völter. Diefer Teil feiner Arbeit lag fchon
1911 der Theologifchen Imkultät zu Freiburg vor und
enthält eine gute Zurückweifung der Völterfchen Hypo-
thefen. Diefe nur ,problematifch' zu nennen, wie manche
Befprechungen getan haben, finde ich fehr euphemiftifch.
Die Ausführungen von Rackl tun von Neuem dar, daß
der Völterfche Verfuch mißlungen ift. Er war hoffentlich
der letzte, die Echtheit der neben ignatianifchen Briefe in