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Ausgabe:

1915 Nr. 15

Spalte:

346-347

Autor/Hrsg.:

Baudissin, Wolf Wilhelm Graf

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte der alttestamentlichen Religion in ihrer universalen Bedeutung 1915

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 15.

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Für Tammuz lag fchon die ausgezeichnete Monographie
Zimmerns vor, in der er alles gefammelt hat, was wir
über diefen Gott und feinen Kult wiffen. Irgendwie neues
Material hat L. nicht mehr beigebracht.

In einem zweiten Kapitel behandelt der Verf. die
Muttergöttin. Seine Konftruktionen werden aber wohl
kaum alle Lefer überzeugen. Nach ihm hätten die
Sumerer, die nach feiner Anficht vor vielen Jahrtaufenden
im Hochlande Zentralafiens lebten, von ihren Urfitzen den
Kult der Göttin Gestin-anna (des göttlichen Weinftocks)
mitgebracht. Später habe fich die Göttin Gestin-anna in
die Göttin Nina verwandelt, deren Namen nach L. ,Herrin
des Waffers' (nin-a) bedeute. Im theologifchen Syftem
galt fie als Schwerter des Ningirsu. Nina ift dann nach
L. wieder identifch mit Ishara und Nanä. Das Zentrum
des Kults diefer Göttin war feit den älteften Zeiten Erech,
wo fie befonders als Herrin der Herden und Weiden verehrt
wurde. In fpäterer Zeit zeigt die Iftar befonders
zwei Funktionen: fie war die Göttin des Krieges (als
folche wurde fie auch Anunit genannt) und der Liebe.
Vor allem ihr Kult als Liebesgöttin mit ihren kafernierten
Hierodulen und Kurtifanerf- hat dann ausgelaffene und
unzüchtige Formen angenommen, die noch Herodot entfetzten
. Daneben erfcheint fie aber auch als Herrin des
Rechts und als Herrin des Himmels und der himmlifchen
Heerfcharen, aber auch der Unterwelt und der Geifter der
Unterwelt. Zuweilen wird fie auch mit Aia, der Gemahlin
des Sonnengottes identifiziert; aber auch Gula und Bau
hält L. nur für Emanationen der Nina. Ihr Tier ift der
Löwe; als Göttin der Fruchtbarkeit fprießen ihr Mohnköpfe
und Ähren aus den Schultern; ihr Emblem ift der
Venusftern.

Ob L. mit Recht alle diefe weiblichen Gottheiten identifiziert
und als Emanationen einer und derfelben Muttergöttin
anfieht, fcheint mir äußerft fraglich. Es ift gewiß
fchwierig, die verfchiedenen weiblichen Gottheiten des
babylonifchen Pantheons auseinander zu halten, aber ich
kann den Beweis, alle verfchiedenen Göttinnen von derfelben
Urform herzuleiten, nicht als geglückt anerkennen.
Eine abfchließende Unterfuchung über die weiblichen
babylonifchen Gottheiten bleibt m. E. noch zu fchreiben.

Das dritte Kapitel befchäftigt fich mit den Schlangen-
und Orakelgottheiten. Ningiszida, dem Genoffen des
Tammuz, ift der große Schlangendrache heilig. Er wird
daher auch dargeftellt mit zwei aus den Schultern wach-
fenden Schlangen. In der Stadt Der an der elamifchen
Grenze wurde die Gottheit Kadi wohl unter der Form
einer Schlange verehrt. Hierher gehört auch der Gott
Siru (= Schlange), der auf den Grenzfteinen als Schlange
dargeftellt wird. Diefe Schlangengottheiten hatten be-
fondere Macht über die Krankheiten. Kadi heißt Herrin
des Lebens, und die Schlangen des Ningiszida find noch
heute das Zeichen der Gefundmacher, der Ärzte. Auch
die Göttin Ishara, deren Emblem der Skorpion war, hatte
Beziehungen zu Schlangen; man fchwört bei der Schlange
der Ishara. Im Anfchluß an diefe Auseinanderfetzungen
überfetzt L. mehrere Orakel, die Asarhaddon von der Iftar
von Arbela erhalten hat. Zwei diefer Texte waren fchon
vorher bekannt; einen dritten, leider nicht fehr gut erhaltenen
, publiziert L. hier zum erften Mal. Auch aus der
Zeit Afurbanipals ift ein Text mit Orakelantworten erhalten
und vom Verf. hier behandelt. Die Überfetzung diefer
fchwierigen Infchriften ift aber nicht immer gut gelungen;
die wilde Art, mit der er Schwierigkeiten wegzuräumen
verfucht, fordert vielfach Widerfpruch heraus.

In dem folgenden Abfchnitt befpricht L. die Korngöttin
Nidaba, im letzten fchließlich Tammuz und Ninni
als aftrale Gottheiten. Hier wird der Nachweis verfucht,
daß der Kult des Venusfternes von den Semiten zur Zeit
Sargons I. in Babylonien eingeführt wurde.

Zum Schluß gibt L. Text, Umfchrift und Überfetzung
von zwei nicht direkt hierher gehörigen Infchriften.

Der Inhalt des Buches ift, wie man fieht, recht mannigfaltig
und voll von neuen Ideen und Anregungen, doch
ift es m. E. dem Verf. keineswegs immer gelungen, feine
Thefen zu beweifen oder auch nur wahrfcheinlich zu
machen.

Breslau. Bruno Meißner.

Baudiflin, Wolf Wilhelm Graf: Zur Gefchichte der alt-
teltamentlichen Religion in ihrer univerfalen Bedeutung.

Zwei akadem. Reden. (56 S.) gr. 8°. Berlin, G. Stilke
1914. M. 1 —

Unter obigem Titel faßt Baudiffin die beiden fchönen
Reden zufammen, die er als Rektor der Berliner Univer-
fität gehalten hat. Die erfte: ,Die altteftamentliche Wiffen-
fchaft und die Religionsgefchichte' ift ein eigentliches
Dokument religionsgefchichtlicher Betrachtung der alt-
teftamentlichen Religion. Baudiffin nennt drei Faktoren, die
für ihre Entwickelung wirkfam geworden feien: eine volkstümliche
Veranlagung, Einflüffe fremder Religionen, Führung
durch religiöfe Heroen (S. 22). Damit ift in der Tat
der Raum gewonnen für eine richtige Einfehätzung fowohl
religionsgefchichtlicher Abhängigkeit als auch religionsgefchichtlicher
Eigenart der ifraelitifchen Religion. In der
Anerkennung der Einflüffe fremder Religionen geht Baudiffin
bis zum Zugeftändnis, daß man auch die von den
altteftamentlichen Schriftftellern vertretene Religion eine
fynkretiftifche nennen dürfe, weshalb er denn auch als
Vorbedingung ihres richtigen Verftändniffes fordert, daß
wir die Herkunft der einzelnen Momente kennen follen
(S. 15). Und wieder rückt er ifraelitifche Volksreligion
von der prophetifchen foweit ab, daß er fagt: ,Die Maffe
des ifraelitifchen Volkes wird fich durch die ganze vor-
exilifche Zeit hindurch in ihren religiöfen Übungen kaum
wefentlich unterfchieden haben von ihren kanaanäifchen
oder aramäifchen Nachbarn, die einen Einfluß ausübten
auf die Ifraeliten und ihrerfeits unter denfelben auswärtigen
Einwirkungen ftanden wie diefe' (S. 14). Ifraels volkstümliche
Veranlagung' findet Baudiffin auf Seiten der den
femitifchen Völkerfchaften gemeinfamen ,Auffaffung von
der Größe Gottes oder, wenn man meint, für die älteften
Zeiten nicht an eigentlichen Gottesglauben denken zu
dürfen, von der Größe der über den Menfchen Macht
habenden Wefen' (S. 19). Der Propheten Werk bezeichnet
er alsdann als die Umbiegung und Weiterführung jener
Auffaffung zu der Anfchauung von der Gottheit als einer
von der Vielheit des Naturaliftifchen verfchiedenen und
über das Gebundenfein an ein beftimmtes Volk erhabenen
Macht, die nicht äußerlichen Kult verlangt, fondern einen
I Dienft in ethifchen Leiftungen (S. 20). — Über die Dar-
j ftellung diefes Entwickelungsprozeffes hinaus aber fetzt
1 Baudiffin dem Religionshiftoriker noch ein weiteres Ziel:
die Erfahrung deffen, was in diefer befondern Religion
I als ,Religion fchlechthin' zu bezeichnen ift: ,Dies eigent-
I lieh Religiöfe ift ein rein Innerliches' (S. 23). Der Nach-
[ weis, wie gerade hierfür das Alte Teftament ein befonders
fruchtbares Forfchungsgebiet bildet und wie diefes die
Bedeutung einer Vorfchule für religionsgefchichtliche For-
fchung überhaupt erlangen kann, ift noch befonders
dankenswert.

Der zweite Vortrag: Nationalismus und Univerfalis-
I mus' ift, obgleich fchon ein Jahr vor Kriegsausbruch ge-
| halten, von geradezu aktueller Bedeutung. Zwar führt er
von der Gegenwart zunächft weit ab, indem er der Beobachtung
des Neben- oder Ineinanders von Nationalem
und Univerfalem innerhalb der Gefchichte, genauer: der
Religionsgefchichte des ifraelitifchen Volkes gilt; aber auf
Grund diefes Beobachtungsmateriales erhebt fich Baudiffin
zur Betrachtung von Problemen, zu denen gerade die
gegenwärtige Zeit wieder intenfiv hindrängt. Es genüge,
die folgenden Sätze mitzuteilen: ,Die höchfte Steigerung

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