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Ausgabe:

1915 Nr. 15

Spalte:

342-343

Kategorie:

Religiöse Kriegsliteratur, Kriegspredigten, Kriegspädagogik

Autor/Hrsg.:

Braun, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der Krieg und das christliche Gewissen 1915

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 15.

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Diefem Bekenntnis ftellt fich mindeftens gleichwertig zur
Seite das des Sozialdemokraten Fendrich 12. Er bekennt,
daß feine Partei durch das Erlebnis des Krieges vom Dogma
des Internationalismus geheilt und für bewußt vaterlän-
difches Denken und Handeln gewonnen fein. (Natürlich
ohne Preisgabe ihrer fozialiftifchen Überzeugungen.) Alfo
eine Art .Bekehrung'. Für deren Möglichkeit gibt F. ebenfo
einfach wie tief wahr als Grund die Ehrlichkeit der Gerinnung
an. ,Dem Aufrichtigen läßt es der Himmel immer
gelingen.' Wie ehrlich F. es meint, zeigt fein Schluß. Er
erhofft vertrauensvoll ein befferes Landtagswahlrecht,
aber er fordert es nicht. Er fordert, weil Wehrkraft
jetzt die Lofung fein wird(I), eine Wohnungsreform
allergrößten Stils, damit wir eine gefunde Jugend erhalten 1
Wenn er für diefe Jugend auch einen .guten Schulfack'
wünfcht, fo wird diefer Gedanke von Muthefius 13 ausgeführt
. Er fchildert die Bedeutung der deutfchen Bildung
für die deutfche Wehrhaftigkeit und begründet feine
Wünfche auf Vertiefung, Ausdehnung und Verdeutfchung
unferes Schulwefens: die deutfche Einheitsfchule.

Die beiden, eng verbundenen Nürnberger Pfarrer
Rittelmeyer und Geyer14 beantworten in ihren zwei
Kriegsvorträgen zwei zusammengehörige Fragen. R.: Was
verlangt von uns der Krieg? Befiegung der inneren
Feinde: Peflimismus, Schrecken, Trauer; Bekämpfung der
wirtfchaftlichen und fozialen Not; Bewährung von Treue,
Brüderlichkeit, Gewiffenhaftigkeit, Gerechtigkeit; Bezeugung
des deutfchen Volksgemüts in Humor, vor allem
in Glaube und Liebe. G: Was bringt uns der Krieg?
G. erhofft vor allem inneren Gewinn: Den Sieg eines
jugendfrifchen Idealismus, fozialen Frieden, Schätzung des
Kinderreichtums und gefchlechtiicher Reinheit, Durchdringen
der Alkoholfeindfchaft, Stärkung deutfchen Selbft-
bewußtfeins, Erneuerung der Frömmigkeit, hauptfächlich
im Sinne der Lebensverinnerlichung durch Gemeingefühl
und Liebe fowie der Lebenserweiterung durch ftarke
Kwigkeitshoffnung. — Blau 15 befpricht den Krieg im
Lichte des chriftlichen Glaubens, im Urteil der chrift-
lichen Ethik und in der Praxis des chriftlichen Lebens.
Was er zu den beiden erften Fragen fagt, wird im wefent-
lichen auf allgemeine Zuftimmung rechnen können. Ich
perfönlich empfinde die Spannungen ftärker und verbuche
die Löningen zum Teil etwas anders. Doch kommt
darauf nicht viel an. Der originellfte und mir intereffan-
tefte, aber auch anfechtbarfte Teil ift der dritte. Ich finde
es fe'hr dankenswert, daß Blau nicht wie manche oder gar
viele andere kritiklos nur die Segnungen des Krieges preift,
fondern auch feine fchweren Gefahren für das chriftliche
Leben befpricht. Er deutet die äußeren Schwierigkeiten
(Verminderung der nötigen Kräfte u. a.) kurz an, befpricht
genauer drei innere Schäden oder Gefahren: Verrohung
(.daß folche Gerinnung auf ein nach Kriegen geborenes
Gefchlecht auf dem Wege natürlicher Vererbung übergehen
kann', ift doch wohl richtige Gefpenfterfurcht), Gefahr
einer Verbiegung der fittlichen Maßftäbe(Nietzfchefche
Herrenmoral), Gefahr der Verfchiebung des Schwergewichts
chriftlicher Frömmigkeit aus ihrem Mittelpunkt heraus. Was
das erfte und zweite anlangt, fo ift die Gefahr fexueller
Zuchtlofigkeit leider zu beklagen und auch öfter beklagt;
fonft fieht aber B. m. E. zu fchwarz. Der intereffantefte
Punkt ift der dritte. Wenn Blau hier mit Schleiermacher
befürchtet, die Frömmigkeit wiederherabgewürdigt zu fehen

12) Fendrich, Ant.: Der Krieg u. die Sozialdemokratie. (Der
deutfche Krieg. Politifche Flugfchriften. 25. Heft.) (31 S.) gr. 8". Stuttgart
, Deutfche Verlags-Anftalt 1915. M. —50

13) Muthefius, Karl: Das Bildungswefen im neuen Deutfchland.
(Der deutfche Krieg. Politifche Flugfchriften. 37. Heft.) (36 S.) gr. 8».
Stuttgart, Deutfche Verlags-Anftalt 1915. M. —50

14) Rittelmcyer, Pfr. Dr. Fr., u. Hauptprediger D. Dr. Geyer:
Aus der großen Gegenwart. Zwei Kriegsvorträge. Was verlangt von uns
der Krieg? Von«. — Was bringt uns der Krieg? Von G. (35 S.) gr. 8°.
Ulm, H. Kerler 1914. M. — 70

15) Blau, Gen.-Superint. D. Paul: Krieg und Chriftentum. Drei
Vorträge. (71 S.) 8°. Berlin, Trowitzfch & Sohn 1915. M. I —

! zu einer bloßen Dienerin der Not und der Schmerzen',
: fo wird ihm jeder Ernfthafte zuftimmen. Aber ob B.
: Recht hat, das Chriftentum des 2. Artikels zum Maßftab
' zu nehmen? Wenn er das ernftlich täte, müßte er das
! Allermeifte und nicht das Schlechtefte unferer heutigen
j Kriegsfrömmigkeit ablehnen. Glücklicherweife vergißt er
I diefen Maßftab, wo er die Guthaben zufammenzählt, und
kommt fo doch zu einem überwiegend erfreulichen Ab-
fchluß. — Die Frage: Ift der Krieg fittlich berechtigt
? hat Wilke10 zu einer förmlichen Kriegsethik ausgearbeitet
. Ihre Kapitel heißen: 1. Das chriftliche Liebesgebot
. 2. Völkifche Gefinnung oder Weltbürgertum?
3. Schiedsgericht und Völkerleben. 4. Der Notkrieg. 5. Der
Militarismus. 6. Das Wirtfchaftsleben. 7. Die Geiftes-
kultur. 8. Die Lebensauffaffung. W. beurteilt den Krieg,
wie Treitfchke und Moltke, als Erlöfer und Erzieher; und
da er ihn ,mit männlichen Augen' anfieht, fo fagt er,
befonders in den erften fünf Abfchnitten, viel Wahres,
Schönes und Tapferes. Doch unterfchätzt er m. E. die
verderblichen Wirkungen des Krieges; das Kapitel über
die Geifteskultur bleibt vielfach in Äußerlichkeiten flecken
(Abtuung fremder Bräuche, Moden, Namen); fonft würde
es nüchterner im Urteil fein müffen. Fremd hat mich
zuweilen die ftarke Betonung des Raffenftandpunktes
berührt. Kurz, ich vermute, W. würde fich mit Stolz
einen Alldeutfchen nennen. So kann ich diefe Kriegsethik
nicht ohne eine gewiffe Zurückhaltung empfehlen.
1 — Braun 17 will den Krieg vor dem chriftlichen Gewiffen
rechtfertigen durch reinliche Scheidung von Recht und
Liebe: Der Staat feinem Wefen nach Rechtsordnung, die
Kirche Liebesordnung. Darum muß der Staat Übeltäter
(trafen und nötigenfalls Krieg führen; denn ,der Krieg
ift der geordnete Rechtsgang unter den Völkern'.

Unter denKriegsfchriften18d es Kai f er-Wilhelm -
Dank erwecken mehrere auch unfere Teilnahme. Heft 9
Troeltfch, Deutfcher Glaube und Deutfche Sitte
in unferem großen Kriege zeigt uns, wie im Unter-
fchied von dem Engländer, dem das göttliche Recht feiner
Sache in naiver Selbftgerechtigkeit zum voraus eftfteht
und der nur nach dem gefchäftlichen Nutzen ernftlich
fragt, der gewiffenhafte Deutfche fich forgt und müht
um das fittliche Recht feines Krieges. Tr. findet nun
dies Recht weniger in der Tatfache der uns aufgezwungenen
Verteidigung als in den Gütern unferer Kultur
und vor allem in dem fittlichen Wert unferes deutfchen
Staates und deutfch-ftaatlicher Gefinnung. — Ausgehend
von einer trefflichen Schrift des Aufklärers Thomas Abt
fchildert Roethe in Heft 11 Die Idee vom Tode fürs
Vaterland in ihrer Entwicklung durch Gefchichte und
Literatur, endigend mit einer tief empfundenen, fchönen
Würdigung ihrer heutigen Erfcheinung — Eugen Mittwoch
(Heft 17, Deutfchland, die Türkei und der Heilige
Krieg) fchildert zuerft die politifche Lage, die die Türkei
zum Kriege nötigte, und fodann Urfprung und Entwicklung
des Dfchihad; er unterfcheidet den aggreffiven
und den defenfiven Dfchihad. Der jetzige ,heilige Krieg'

16) Wilke, Prof. Dr. Fritz: Ift der Krieg fittlich berechtigt? (135 S.)
8°. Leipzig, Dieterich 1915. M. 1.50

17) Braun, Pfr. Lic. Wilh.: Der Krieg u. das chriftliche Gewiflen.
(24 S.) 8°. Karlsruhe i. Ii., Evangelifcher Schriftenverein 1915. M. —30

18) Unterm eifernen Kreuz 1914. Kriegsfchriften des Kaifer-Wil-
helm-Dank. 8». Berlin, Kameradfchaft.

9. Troeltfch, Prof. Ernft: Deutfcher Glaube und deutfche
Sitte in uuferm großen Kriege. (30 S.) 1914. M. —30.

11. Roethe, Prof. Dr. Guft.: Vom Tode fürs Vaterland.
Rede, geh. am 2. üktbr. 1914. (29 S.) 1914. M. —30

17. Mittwoch, Prof. Doz. Dr. Eug.: Deutfchland, die Türkei
u. der Heilige Krieg. (30 S.) 1915. M. — 30

19. Schubert, Geh. Kirchenr. Prof. Dr. Hans v.: Die Weihe
des Kriegs. Kriegsvortrag. (28 S.) 1915. M. — 30

21. Kaftan, Geh. Üb.-Konfift.-R. Ob.-Kirchenr.-Mitgl. Prof.
D. Dr. Jul.: Vorm Jahr noch — und heute? Vortrag. — Brackmann
, Prof. Dr. A.: Kaifertum u. Militarismus. (4c S.) lote
M. — 30 ' y 3'

25. Schmeck, Vik. A.: Das religiöfe Lied im Kriege. (32 S 1
1915- M. — 30

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