Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1915 Nr. 14

Spalte:

316-317

Kategorie:

Religiöse Kriegsliteratur, Kriegspredigten, Kriegspädagogik

Autor/Hrsg.:

Smend, Rudolf

Titel/Untertitel:

Krieg und Kultur 1915

Rezensent:

Titius, Arthur

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

315

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 14.

316

dem Zeichen des deutfchen Idealismus fucht, verweift
Doft6 aufLagarde als Begründer eines eignen deutfchen
Lebensftils, gibt aber leider ftatt einer eindringenden
Analyfe feiner Gedanken über nationale Religion kaum
eine erfte Einführung in fein Leben und Denken. —
Tiefer gräbt der durch fein Buch über Fichte (1914,
Sp. 628 f.) den Lefern fchon bekannt gewordene Go-
garten7; ihm handelt es fich um eine Frömmigkeit
.deren Gedanken nicht nur in einzelnen Stücken, fondern
in der ganzen Anlage des Weltbildes anders gehen, als
fie das in der alten Frömmigkeit tun, und deren innerftes
Verhältnis zur Zeit und Ewigkeit anders geworden ift'.
Aber er weiß auch, daß ,das moderne Lebensgefühl und
die moderne Welt aus der alten Frömmigkeit flammt' (28)
und daß es nächft dem Leben felbft nichts gibt, ,was fo
fehr unfrer Frömmigkeit dient, wie das altgläubige
Chriftentum es tut mit feinem von garnichts Irdifchem
ftillbaren Lebensbedürfnis und feiner ewigkeitshungrigen
Innerlichkeit' (18). Wie fich unter den Anregungen von
Fichte, Nietzfche, A. Bonus die neue Frömmigkeit Gs.
geftaltet, läßt fich einftweilen erft mehr erraten, als daß
es ausdrücklich gefagt würde. Ihre Beziehung zum Volkstum
wird gemäß dem Fichtefchen Anfatz entwickelt. —
Maßvoll und befonnen verfuchtSeeberg8 Grundlinien
für die Neugeftaltung unfers Volkes in feinem fozialen
Leben, feiner Weltanfchauung, feiner religiöfen Stellung
abzuftecken. Neben einer Stärkung der nationalen Idee
bei allen Parteien hält er eine Steigerung der ftaats-
fozialiftifchen Tendenzen (mit Ausfchaltung patriarcha-
lifcher Velleitäten) für fehr wahrfcheinlich. Nicht einer
bloßen Rückkehr zum Idealismus, wie vor 100 Jahren,
fondern einer Verftärkung der praktifchen realiftifchen
Richtung, einem Ausgleich praktifcher Organifationskraft
mit Idealismus und Glaube wird die Zukunft gehören.
In religiöfer Hinficht erhofft er eine Vertiefung des Ver-
ftändniffes der chriftlichen Frömmigkeit in ihrer Eigenart
und ihre Verbindung ,mit den ihr konvergierenden Ideen
der modernen Weltanschauungen', insbefondere eine Verbindung
des .idealiftifchen Stürmens und Drängens' mit
den .voluntariftifchen Elementen' des Chriftentums. Die
Einzigartigkeit der chriftlichen Religion dürfe weniger
auf ,den Zufammenbruch der natürlichen Erkenntnis und
die Nichtigkeit der menfchlichen Moral' begründet als an
dem pofitiven Gedanken erwiefen werden, daß das Chriftentum
,die Vollendung der Denk- und Kulturarbeit der
Menfchheit' erbringt. Auf eine Ausfegung des Partei-
wefens aus der Kirche fei nicht zu hoffen, ja fie fei, fo-
weit religiöfe Gegenfätze in Frage kommen, garnicht zu
wünfchen. Nur eine Milderung laffe fich erwarten, wenn
gegenfeitiges Vertrauen Platz greife, zumal wenn die
Parteiprogramme fich mehr als bisher auf praktifche
Dinge richteten. Es wäre gewiß erfreulich, wenn die Zukunft
die von S. ausgefprochenen Hoffnungen, die ich
durchaus teile, erfüllen würde. — Gegenüber v. Wiefe,
der nach Analogie der Entwicklung vor 100 Jahren eine
Neubelebung des Individualismus als Grundlage neu-
deutfcher Politik und Kultur erwartet, macht Hey de9
geltend, daß man zwifchen geiftigem, politifchem und
ökonomifchem Individualismus unterfcheiden müffe. Nur
der letztere fei bei hemmungslofer Entwicklung heute mit
der Anerkennung der Überwertigkeit des Staates unvereinbar
und bedürfe daher ftarker Einlchränkung; der
Kulturindividualismus dagegen fowie der politifche fei die
notwendige Ergänzung ftaatsfozialiftifcher Tendenzen. —

6) Dort, Georg: Paul de Lagardes nationale Religion. 1. bis 3.
Taufend. (Tat-Flugfchriften 4.) (19 S.) gr. 8». Jena, E. Diederichs 1915.
M. —40

7) Gogarten, Friedrich: Religion und Volkstum. 1. bis 3. Taufend
. (Tat-Flugfchriften 5.) (35S.)gr. 8°. Jena.E.Diederichs 1915. M. —80

8) Seeberg, Reinhold: Was follen wir denn tun? Erwägungen u.
Hoffnungen. (IV, 60 S.) 8°. Leipzig A. Deichen Nachf. 1915. M. 1.50

9) Heyde, Dr. Ludwig: Der Krieg und der Individualismus. (24 S.)
gr. 8°. Jena, G. Fifcher 1915. M. —75

In glänzender Ausführung polemifiert Ed. Schwartz10
gegen die Unart, das deutfche Selbftbewußtfein durch
Herabfetzung andrer Nationen zu fteigern, und gegen die
Vermeffenheit, den .unendlichen Geift unfers noch lebenden
Volkes in irgend eine befchränkende und einengende
Beftimmung einzufperren' oder ihm für die Zukunft eine
beftimmte Rolle zuweifen zu wollen. Vielmehr gilt es
fich zu fammeln in der unmittelbar allen zum Bewußtfein
gekommenen, gefchichtlich gewordenen Idee des deutfchen
Volksftaates, in dem jeder feine Kraft und fein
Leben einfetzt für das Ganze, weil nur das Ganze ihm
möglich macht, ein freier und fittlicher Menfch zu fein
und in erlöfendem Streben fich aus dem eigenen Ich
hinauszuheben. Von der franzöfifchen wie der englifchen
Auffaffung vom Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen
fei diefe deutfche charakteriftifch verfchieden.

Külpe11 verfucht, durch eine allgemeine ethifche
Würdigung des Krieges einen Ausweg aus dem .Doppelleben
', das für uns angebrochen ift, zu eröffnen. Der
fchlechthinnigen Verwerfung des Krieges ftellt er entgegen
, daß mindeftens der Krieg in Notwehr und die
daraus abfolgenden Nothandlungen als ethifch berechtigt
(ich würde fagen: ethifch notwendig) gelten müffen. Der
Tatfache, daß es auch übernationale Leiftungen und
Werte gibt, entfpringt nicht nur eine Begrenzung der
Feindfeligkeiten auf das Notwendige, fondern auch die
Forderung, daß refp. die Frage, ob Schutz und Fortbe-
ftand des bedrohten Volkstums (mit Staat und Kultur)
auch im Intereffe der Menfchheit liege. Das letzte Bedenken
fchwindet durch die Erwägung, daß die Idee des
ewigen Friedens (wie übrigens auch Kant gefehen hat)
ohne wefentliche Veränderung der menfchlichen Gattung
unausführbar ift und daß fomit dem Glauben an einen
tieferen Sinn der gefchichtlichen Entwicklung auch der
Krieg als ein (allezeit?) .notwendiges und gerechtes Mittel
zu feiner Verwirklichung' erfcheinen könne. — In durchaus
fchlichter und gemeinverftändlicher Weife führt E. W.
Mayer12 den Nachweis, daß auch unter dem Gefichts-
punkt des Liebesgebotes der Krieg als notwendiges
Mittel zur Aufrechterhaltung der (wieder dem höchften
Ziele menfchlicher Beftimmung dienenden) Rechtsordnung
gerechtfertigt werden könne, wenn auch die mög-
lichfte Erfetzung diefes zweifchneidigen Rechtsmittels
durch ein zuverläffiger wirkendes (Schiedsgericht) anzu-
ftreben fei. Noch durchfchlagender würde m. E. die
Ausführung werden, wenn auf den doch nur fehr künft-
lich durchzuführenden Gedanken, daß nur die allgemeine
Nächftenliebe Motiv eines echt fittlichen Handelns fein
könne, ausdrücklich verzichtet würde. — RudolfSmend13
weift darauf hin, daß gegenüber der in den Haager Abmachungen
gipfelnden Entwicklungslinie, welche die
Kulturwerte immer mehr aus dem Kriege auszufcheiden
und zu fichern fuchte, der jetzige Krieg, der fich zu einem
Ringen der Kulturen im ganzen ausgewachfen habe, ein
Neues bedeute. Ob man darin einen Rückfehritt erblicken
folle, wie die Pazififten oder einen Fortfehritt wie
die Chauviniften, hänge von den Gedanken ab, die man
fich über das prinzipielle Verhältnis von Krieg und Kultur
mache. In Wirklichkeit könne nicht eine Meinung
vom Nutzen und von der Kulturaufgabe des Krieges
unfer Kriegführen rechtfertigen, fondern ausfchließlich die
Lebensnotwendigkeit des Staates und die darin fich
gründende Gewißheit unferer Pflicht, die uns dann ,den
ungelöften und unauflösbaren dunkeln Reil, der von allem

10) Schwartz, Prof. E.: Das deutfche Selbftbewußtfein. Rede.
(18 S.) gr. 8°. Straßburg, K. J. Trübner 1915. M. —50

11) Külpe, Prof. Oswald: Die Ethik u. der Krieg. Nach e. Kriegsvortrag
der Univerfität München, geh. am 19. Februar 1915. (Zwifchen
Krieg u. Frieden 20.) (44 S.) 8°. Leipzig, S. Hirzel 1915. M. —80

12) Mayer, Prof. D. Dr. E. W.: Der Krieg u. die chriftliche Liebe.
(36 S.) gr. 8». Straßburg i. E., J. H. E. Heitz 1915. M. 1.20

13) Smend, Prof. Dr. Rudolf: Krieg und Kultur. (Durch Kampf
zum Frieden. Tübinger Kriegsfchriften. Heft VIII.) (20 S.) gr. 8". Tübingen
, Kloeres 1915. M. — 50