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Ausgabe:

1915 Nr. 12

Spalte:

276-277

Autor/Hrsg.:

Lagrange, Marie-Joseph

Titel/Untertitel:

Saint Justin, Philosophe, Martyr 1915

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 12.

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wurde, wird begreiflich aus dem Zwange der Sieben-Zahl,
ja von hieraus verliehen wir nun auch, wie fo oft in diefen
Liften die Sieben-Zahl mit der Acht-Zahl wechfelt. Diefe
Lehre von den doppelten Elementen ift aber auch
fonft und zwar mit iiberrafchender Übereinftimmung in
den Einzelheiten nachzuweifen; ich bitte dazu Reitzen-
fteins Zwei religionsgefchichtliche Fragen S. 78 ff. und die
Nachweife aus Seneca und Varro zu vergleichen. Dazu
Helle ich noch Philo quis rer. div. haer. 136 und quae-
stiones in Genesim III, 5. Aus [Jamblichos,] de mysteris
VIII, 3 ergibt fich, daß wir es hier mit einer hellenifierten
ägyptifchen Spekulation zu tun haben, die wahrfcheinlich
in den hermetifchen Kreifen zu Haufe war. Der Apo-
kalyptiker wird dann diefes Schema der jüdifchen Apo-
kalyptik, ev. der jüdifchen Adam-Spekulation, wie fie uns
im flavifchen Henoch-Buch entgegentritt, entlehnt haben.
Für die Kompofition der Apokalypfe, aber ergibt fich
auch für B. die mir fehr erfreuliche Tatfache, daß alle
Quellenfcheidungen, die die verfchiedenen Siebener-Schemata
auf verfchiedene Verfaffer verteilen wollen, gegen-
ftandslos werden (B. S. 127).

Ich muß mich zum Schluß darauf befchränken, nur
das Wefentliche der letzten drei Kapitel des Werkes herauszuheben
.

Die wunderlichen Heufchreckengeftalten werden von B. überzeugend
aus den Centauren der babylonifchen Grenzfteine, die dann in den gereimten
Himmel der Griechen und Ägypter übergegangen find, erklärt;
auch Einzelheiten — ich verweife auf dieDauer der Plage von fünf Monaten,
daß die Menfchen den Tod fliehen und nicht finden können, auf die
langen Haare der Heufchrecken und das Höllenfeuer, das aus dem Brunnen
fchlägt, — finden ihre überrafchende Deutung. Die Weisfagung von
den vier Reitern ift den fogenannten Dodekaeteriden, den 12. Jahr-Zyklen
entlehnt, Weisfagungen, in welchen nach dem Charakter des jeweils herr-
fchenden Tierkreiszeichens !— Reiters in der Apk.) und des dazu gehörigen
Windes (= Rottes) der Charakter des Jahres beftimmt wird.
Aus einem Kreis folcher Zwölfer-Weisfagungen haben wir hier vier; und
zwar, da die Beziehung der Wage (beim dritten Reiter) ganz ficher fleht,
erhalten wir, wenn wir vorwärts und rückwärts rechnen, das Jahr des
Löwen, der Jungfrau, der Wage und des Skorpions. Einzelheiten erfahren
von hier wieder ihre überrafchende Tötung, ich mache namentlich auf
die Erklärung der Stelle aufmerkfam: ,01 und Wein follft du nicht
fchädigen'. Geradezu verblüffend aber ift endlich die faft bis auf jedes
einzelne Zeichen genaue Parallele, die B. zwifchen einer hermetifchen
Zwölf-Jahres-Weisfagung und der Baruch-Apokalypfe Kap. 27 nachweift;
ein Beweis wiederum, wie es durchaus im Bereich der Denkbarkeit liegt,
daß die jüdifch-chriftliche Apokalypfen-Literatur die aftrologifch hermetifchen
Aftrologien kannte und fich von ihnen befruchten ließ.

Den Höhepunkt der Bollfchen Unterfuchung bietet
endlich feine Auslegung des zwölften Kapitels des Götterweibes
mit dem Sternenkranz. Unter fcharfer Polemik
gegen Wellhaufens fpöttifche Abweifung diefer Art der
Erklärung vertritt auch B. natürlich die mythologifche
Erklärung und fucht auf der von Dieterich, Gunkel und mir
betretenen Bahn weiter vorwärts zu kommen. Da B.
Gunkels babylonifche Vermutungen abweift, fo bleiben für
ihn zwei Parallelen zu der Geftalt des Weibes in Ap. 12,
nämlich der von Dieterich herbeigezogene Leto-Mythos
und der von mir zur Erklärung verwandte ägyptifche
Hathor-Ifis-Mythos. Er entfeheidet fich für die letztere
Möglichkeit unter dem Hinweis darauf, daß die Leto nie
als Sternenjungfrau am Himmel erfcheint, und daß man
in der Apokalypfe unter allen Umftänden von der Erkenntnis
auszugehen habe, daß hier eine aftrologifche
Geftalt vorliegt (wofür B. neue Gründe in Hülle und Fülle
vorbringt). Dagegen ift die Gleichftellung der Ifis mit der
am Himmel flehenden Jungfrau mehrfach bezeugt.

So bei dem Babylonier Teukros im erften Jahrhundert nach Ch.:
im Bilde der Jungfrau fteige eine Göttin auf, die auf einem Throne fitze,
und ein Kind nähre, welche man als die Ifis bezeichne, die den Horos
nähre. Ebenfo ift denn auch der große Gegner der Göttin Ifis, Typhon,
als Sternbild nachweisbar, und diefe wird als deffen Wächterin gedacht.
Wie ift der Mythos in die Apokalypfe hineingekommen? B. weift zu
meiner Freude jeden Gedanken an eine jüdifche Vermittelung ftrikte ab,
unter der Annahme eines jüdifchen Charakters würde ihm das ganze
Kapitel unverftändlich bleiben. Ein Chrift hat den ganzen Mythos
direkt auf Chriftus übertragen. Dabei hat ihm allerdings nicht mehr
irgendwie das Bild des irdifeheu Jefus vor Augen geftanden, auch nicht
das Dogma von dem wunderbar auf Erden Geborenen, fondern der Mythos
von dem himmlifchen präexiftenten LTmenfchen, der hier auf Erden nur
kurze Zeit erfchien, um wieder zu feinem Throne entrückt zu werden.

Ich ftimme B. hier völlig zu. Warum follte nicht auch in einem Zeitalter
, in welchem der paulinifche Mythos von dem präexiftenten Chriftus
die Perfou des irdifchen Jefus zu verfchlingen begonnen hatte, fich ein
Chrift fein Bild in diefer Weife haben darftellen können? Dafür, daß
eine folche direkte Übertragung im Bereich der Möglichkeit liege, will
Ii., wenn es überhaupt noch nötig fein follte, noch einen direkten Beweis
bringen. Er weift auf eine arabifche Bearbeitung der oben zitierten
Teukros-Stelle hin, in der es direkt von dem urfprünglicheu Ifis-Knaben
heißt: ,diefen Knaben nennen einige Völker Jefus'. liefonders dankbar bin
ich B. fchließlich für die zum Teil auch noch gegen meinen Kommentar
gerichtete bellimmte Abweifung jeglicher Beziehung des himmlifchen Weibes
auf das idealificrte Jerufalem refp. Gottesvolk.

Ich kann zum Schluß nur noch einmal darauf hinweifen
, daß wir im Buche B.s eine Arbeit vor uns haben,
welche das Verftändnis der Apokalypfe derart fördert, daß
die Forfchung auf lange Zeit von ihr beftimmt fein dürfte.

Göttingen. Bouffet.

Lagrange, M.-J., O. Praed.: Saint Justin, Philosophie, Martyr.
(,Les Saints') (XII, 203 S.) kl. 8«. Paris, V. Lecoffre
1914.

Der Dominikaner Lagrange, der bekannte Bibelforfcher
und frühere Herausgeber der ,Revue Biblique', deffen
Schriften unter Pius X. durch ein Dekret der Konfiftorial-
kongregation für den theologifchen Unterricht verboten
wurden, bleibt mit der vorliegenden Veröffentlichung in-
| fofern in feinem Fache, als fie fich mit einem Manne be-
I faßt, der für feine Zeit, und nicht bloß für fie, der Wortführer
der Auseinanderfetzung des Chriftentums mit dem
Alten Teftament geworden ift. Wie er im Vorwort felbft
mit Recht fagt, ift das Bändchen vielleicht in der ganzen
Sammlung ,Les Saints' dasjenige, das am wenigften einer
Biographie gleicht. Es ift in der Tat noch weniger ,bio-
graphifch' gehalten als das Bändchen über Cyprian von
Monceaux. Der Grund liegt im Gegenftand felber: wir
kennen von Juftin nicht viel mehr als feine Heimat, feine
Liebe zur Philofophie, feine Bekehrung, feine Schriften
und fein Martyrium. So ift die Schrift ganz überwiegend
literargefchichtlich und dogmengefchichtlich gerichtet, fo-
weit man bei des Verfaffers dogmatifch gebundener Betrachtungsweife
von Dogmengefchichte fprechen kann.
Juftins Auseinanderfetzung mit den Juden, feine Verteidigung
des Chriftentums gegen das Heidentum und die
römifche Staatsgewalt, feine Bedeutung als Theologe und
als Kirchenmann bilden den hauptfächlichen Inhalt. Ihrem
Zweck, in die Gedankenwelt Juftins einzuführen, wird fie
im allgemeinen gerecht, wenn natürlich auch da und dort
eine andere Auffaffung am Platze wäre, ja fchließlich die
ganze Grundlage der Betrachtung anders gewählt werden
müßte. So ift es eine vollendete Verwechflung von
Glauben und Wiffen,, wenn es S. 63 heißt: ,Aujourd'hui
tous les fideles de l'Lglise savent que les ämes les plus
pures sont admises ä la vision beatifique aussitot apres
la mort'. Im Vorwort S. IX wird verfichert, daß die
Jrrtümer' Juftins nicht ,par Süffisance philosophique ou
par manque de docilite aux enseignements de l'Eglise'
entftanden, fondern nur ,le resultat d'une exegese encore
inexperimentee' feien. S. 174 wird von der ,doctrine
catholique' über das Verhältnis des Sohnes zum Vater
gefprochen, aber nicht verraten, wo diefe Lehre zur Zeit
Juftins niedergelegt und zu finden war. Lagrange ift
überzeugt, daß Juftins Logoslehre ,n'a certainement pas
fait dependre la generation du Fils des desseins de Dieu
sur le monde' (S. 171), daß aber nach ihr ,le Fils est ne
en vertu d'un dessein reflechi, d'une volonte libre du
Pere, sans rien dire de la necessite de cette filiation'
(S. 174). Ift es da nicht von vornherein fehr wahrfcheinlich
, daß der die Zeugung des Sohnes herbeiführende
,dessein reflechi' wie bei andern Apologeten der Frühzeit
mit den ,desseins sur le monde' in Verbindung fleht?
S. 175 erblickt L. gar im mariologifchen Gedanken Juftins
(Dial. c. 100) ,une des convenances du dogme de
l'Immaculee Conception' — fo fehr ift er durch feine Er-