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Ausgabe:

1915 Nr. 10

Spalte:

233-234

Autor/Hrsg.:

Rost, Hans

Titel/Untertitel:

Die Parität und die deutschen Katholiken 1915

Rezensent:

Mulert, Hermann

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233

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 10.

234

Rolt, Dr. Hans: Die Parität u. die deutichen Katholiken. (Zeit-
u. Streitfragen der Gegenwart. 3. Bd.) (72 S.) gr. 8°.
Köln, J. P. Bachem 1914. M. I.60; geb. M. 2 —

Wie erwünfcht müffen uns in diefer Zeit, wo um der
nationalen Not willen aller konfeffionelle Streit fchweigen
foll und wo dem rückfichtslofen Pius X. ein vielleicht
diplomatifcherer, zum minderten noch nicht auf fcharfe
Tonart feftgelegter Papft gefolgt ift, Schriften fein, die
den Weg zu wirklicher Annäherung, zu friedlichem Nebeneinander
der Konfeffionen zeigen! Denn auf mehr, auf
volle Union, darf ja für abfehbare Zeit nicht rechnen, wer
die Gefchichte der Unionsverfuche kennt. Die vorliegenden
Arbeiten zeigen freilich auch mehr die Schwierigkeiten
der Sache, als daß fie ernftliche Hoffnungen erweckten
.

Die Verbindung chriftlicher Kirchen gegen den Unglauben
, die Auffeß anftrebt, würde dem Deutfchen Reich
vergleichbar fein, in dem doch jeder Einzelftaat feine
Eigenart behält. Er fchreibt warmherzig und verföhnlich,
aber wird der Katholizismus Neigung zu folcher Konföderation
haben? Man kann auf römifcher Seite den Satz
nicht zugeben: ,die Hauptfache ift denn doch das Chriften-
tum, nicht das Kirchentum' (S. 8). Andererfeits werden
proteftantifche Lefer meift für wichtiger als die von A.
befprochenen Meinungsverfchiedenheiten (Tradition, Prie-
ftertum) die über den Glaubensbegriff halten, deffen Erörterung
um fo erwünfchter gewefen wäre, da A. als
gläubiger Proteftant fchreibt.

Dem Franziskaner Menge fteht als Ziel die Rückkehr
der Proteftanten zur katholifchen Kirche vor Augen.
Daß er von da aus Vermittlungen, Abfchwächungen des
Katholizismus verwirft, ift folgerichtig; warum aber muß er,
da er doch edle Gefinnung und tüchtige Leiftungen auch
bei Proteftanten anerkennt, der Reformation fchlechte
Motive zufchreiben? (S. 5). Die Kenntniffe, die er von
der Gefchichte des Proteftantismus hat, flammen offenbar
fehr aus zweiter Hand, und bei folchen Streitpunkten, wie
Moralftatiftik und Konfeffion, kennt er eben nur katho-
lifche Schriftfteller, wie Krofe, und folche Nichtkatholiken,
die, weil fie rafch die Behauptungen katholifcher Autoren
fich angeeignet haben, von den Katholiken häufig lobend
erwähnt werden, wie Bornträger und Jul. Wolf, aber nicht
folche evangelifche wie Forberger (S. 33).

M. behandelt viele derartige Streitpunkte, und einige feiner Gedanken,
wie z. B. daß die kulturelle Überlegenheit eyangelifcher Länder z. T. einfach
geographifche Urfachen hat, find ganz richtig, aber im ganzen würdigt
er die proteflantifchen Einwendungen gegen den Katholizismus durchaus
nicht genügend. Ein Proteftant wird, wenn er Hafes Polemik gelefen hat,
die M. kennt und die er leichthin eine große Fälfchung der katholifchen
Lehre nennt (S. 189), nicht finden, daß M. den Katholizismus als die über-
legene Kirche dargetan hätte. Und bei der Fülle der von M. behandelten
Gegenftände ift das Einzelne oft zu kurz abgetan, fo z. B. die Frage, wie
Rom zur Freiheit der Wiffenfchaft ftehe, oder es ift unter Benutzung
»atholifcher Quellen fo dargeftellt, daß, wer die Dinge nicht ohnehin
*ennt, fie hier kaum verftehen kann (fo der Immanenzgedanke der Mo-
dernifteu).

Am Schluß entwirft M. das Programm einer .Gefell-
[chaft zur Förderung der Wiedervereinigung Deutfchlands'.
Was ihm, was feiner Kirche vorfchwebt, daß nämlich wir
ffoteftanten einfach wieder katholifch werden, diefer Plan
Jaßt fich durch Bücher bedeutfam fördern — warum follte
"lcbt ein neuer Möhler aufftehen, der auf viele Protestanten
tiefen Eindruck macht? Aber der Katholik, der
beute dergleichen verfuchen wollte, müßte einen weiteren
L>efichtskreis, eine beffere, nicht fo häufig aus zweiter
Hand flammende Kenntnis des Proteftantismus und ein
"eferes Verftändnis der Motive der modernen Kultur haben.

Roft hat in früheren Schriften beachtenswertes Material namentlich
' w'rtfchaftlichen Statiftik der Konfeffionen beigebracht. Die vorliegende
leid6' We.niS Ne"es; fie ift offenbar für weitere Kreife beftimmt, und ift
or. er agitatorifch im bedenklichen Sinne. Wenn der Staat der Unterzog
fchulpflichtiger Kinder in ausländifchen Ordenspenfionaten ent-
BeWnWlrkt (bekanntlich find bisher rheinifche Kinder vielfach fo nach
Mäd 1? gefcnickt worden), fo fragt R., ob nicht taufendfach proteftantifche
gefch- r? 'Q auslanaifchen Penfionaten untergebracht würden. Gewiß
lieht das, aber erft dann, wenn fie dem fchulpflichtigen Alter ent-

wachfen find, die Staatsfchule durchgemacht haben! Die Errichtung einer
katholifch-theologifchen Fakultät in Straßburg war ,mit großen Hinder-
niffen verbunden'. Allerdings, aber die lagen bei Papft und Bifchöfen;
wozu alfo der Regierung Vorwürfe machen, die fich lange darum bemüht
hat? Hertling konnte in Bonn ,nahezu fein 2 5]ähriges Privatdozentenjubi-
läum erleben'; tatfächlich war er 13 Jahre Privatdozent; lange genug, um
fo unnötiger ift jene Übertreibung. Verbietet der preußifche König evan-
gelifchen Offizieren, fich bei Eingehung einer Mifchehe folchen Forderungen
der katholifchen Kirche zu fügen, die eine Herabwürdigung des
evangelifchen Bekenntniffes bedeuten, fo wird diefe Abwehr der römifchen
Intoleranz von Roft als intolerant bekämpft, ufw. Wo fo wenig Neigung
oder Vermögen vorhanden ift, den proteftantifchen und den ftaatlichen
Standpunkt zu verftehen, lohnt die Auseinanderfetzung nicht; möchten
nach dem Kriege die Erörterungen über konfeffionelle Streitfragen wie
die Parität, über die in der Tat allerlei zu fagen ift, fachlicher geführt
werden, als in diefer vor dem Kriege erfchienenen SchriftI

Berlin. H. Mulert.

Liefe, Doz. D. Wilhelm: Wohlfahrtspflege und Caritas im
Deutfchen Reich, in Deutfch-Ölterreich, der Schweiz u.
Luxemburg. Mit e. Ortskatafter u. aiphabet. Regifter
der einfehlägigen kathol. Einrichtgn. Mit l Grundriß
u. 24 Trachtenbildern. (XV, 477 S.) gr. 8°. M.-Glad-
bach, Volksvereinsverlag 1914. M. 6.50; geb. M. 7.50

Mit einem ftaunenswerten Sammelfleiß hat der Verf.
eine ungezählte Menge von Notizen und Daten zufammen-
getragen, die den Lefer mit der Gefchichte der Liebestätigkeit
in der katholifchen Kirche und dem Stande der-
felben in der Gegenwart auf den einzelnen Gebieten der
Caritas wie der mannigfachen Vereinigungen zu ihrer
Ausführung bekannt machen. Wer fich darüber im einzelnen
fchnell orientieren will, findet dafür in dem Buche
ein reiches und zuverläffiges Hilfsmittel. Die Gabe ge-
fchichtlicher Darfteilung, die aufs Ganze geht, tritt aus
der Arbeit des Verf. nicht hervor; fo bietet fie im Grunde
nicht mehr als eine ftatiftifche Überficht über das Quellenmaterial
, welches ein fpäterer Bearbeiter des behandelten
Gegenftandes wird benutzen können. Da hier zum erften-
mal der Verfluch gemacht ift, die großartige Betätigung
der Wohlfahrtspflege und Caritas der römifchen Kirche
in Deutfchland, Deutfch-Öfterreich, der Schweiz und
Luxemburg ihrem ganzen Umfange nach zu veranfehau-
lichen, fo wird man das Gebotene nur mit Dank entgegennehmen
können, auch wenn man die Form, in der es
fich einführt, gern anders gefehen hätte, zumal der Verf.
mit anzuerkennender Befcheidenheit in dem Vorworte
von ,der ungeheuren Schwierigkeit' fpricht, ,ein fo weit-
fchichtiges aktuelles Werk beim erften Wurf gleich vollkommen
zu geftalten'. Das Buch ift ,zunächft' für folche
Katholiken gefchrieben, .welche fich für moderne Wohlfahrtsarbeit
intereffieren'; es berückfichtigt indeffen nicht
bloß die .einfehlägigen katholifchen Einrichtungen', fondern
auch ,die wichtigften Einrichtungen der evangelifchen
und humanitären Wohlfahrtspflege', und zwar gefchieht
dies, wie wir gern bezeugen, mit fachgemäßer Objektivität.
Um fo auffallender ift es, daß der Vf. dem Begründer
einer felbftändigen Gefchichte der chriftlichen Liebestätigkeit
, dem verftorbenen Uhlhorn, eine kaum zutreffende
Zenfur gibt, wenn er von ihm fagt, er ,ftehe allem katholifchen
Wefen verftändnislos gegenüber' (S. 18), und von
feinem bekannten Werke ,Die chriftl. Liebestätigkeit' bemerkt
, der Vf. laffe .trotz des umfaffenden Titels befonders
die Reformationszeit hervortreten in ziemlich fchroffer
Bekämpfung der katholifchen Caritas' (S. 421). Der Vf.
weiß allerdings von jener Zeit zu fagen: die Reformation
hat keine günftigen Folgen für das Armenwefen gehabt,
tatfächlich hat fie dasfelbe .nicht gefördert' (vom Vf.
unterftrichen), ,auch nicht in organilätorifcher Hinficht'
(S. 19). Mit dem Urteile wird er wohl allein bleiben. —
Eine hübfehe Beigabe zu dem Buche find die Bilder, die
anziehende Charakterköpfe von männlichen und weiblichen
Perfonen im Dienfte der Caritas in Kloftertracht
bringen. Während die meiften Trachten der katholifchen