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Ausgabe:

1915 Nr. 10

Spalte:

228-229

Autor/Hrsg.:

Widmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Die religiösen Anschauungen des Fürsten Metternich 1915

Rezensent:

Loesche, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 10.

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veranlaßte Menno, fich mit der Tauffrage zu befchäftigen.
Unter der Literatur, die er lieft, befinden sich auch zwei
Schriften Bernh. Rothmanns. Menno, der fpäter freilich
hiervon Manches verfchwiegen hat, vertrat einen ftarken
Glauben an Chrifti baldige Wiederkunft und die Aufrichtung
des neuen Jerufalems, doch lehnte er dann die ge-
waltfame Herbeiführung durch Johann v. Leiden ab, er
ift alfo Melchiorit im Sinne des Meifters Hoffmann felbft.
Das Problem des Eides und der Wehrlofigkeit hat ihn
zunächft noch gar nicht befchäftigt, ebenfowenig die
fpäter fo wichtig gewordene Bannfrage. Trat er 1536
— übrigens offen — aus der römifchen Kirche aus, fo
tritt er doch erft vier Jahre fpäter als der Retter der
Brüderfchaft an die Spitze des Täufertums, indem er nach
dem Abfall von Obbe Filips an deffen Stelle rückt; und
jetzt lehnt er, der früher die Taufe eines Münfterfchen
Sendlings ruhig anerkannt hatte, die durch die gemein-
fame Wurzel M. Hoffmann gegebene Fühlung mit Münfter
radikal ab. In den Jahren 1536 —1543 hielt er fich in
Oldersheim bei Emden verborgen, bis ein Edikt der Gräfin
Anna ihn aus dem Lande trieb. Die Organifation der
,Obbeniten' machte aber Schwierigkeiten; von den fünf
durch Menno in Gemeinfchaft mit Dirk Filips bevollmächtigten
Sendboten (diefe Ausfendung hat übrigens auch
im Melchioritismus ihr Vorbild) ift kein einziger lange im
Amte geblieben, fie mußten von Menno entfetzt werden,
und die energifche Perfönlichkeit des fechften, Leonhard
Bouwens, drängte Menno in neue Bahnen. Jener vertrat nämlich
die rückfichtslofefte Handhabung des Bannes, die
damit nicht einverftandenen fanden in Menno ihren Für-
fprecher, in den Verhandlungen mit Bouwens jedoch ließ
fich Menno durch die (gelinde gefagt) Unverfrorenheit
feines Gegners imponieren und trat nunmehr auch für die
ftrenge Handhabung des Bannes ein, um damit freilich
es mit den Oberdeutfchen völlig zu verderben und fich
felbft auf dem Totenbett als ,Menfchenknecht' zu verurteilen
. Geftorben ift er am 31. Januar 1561 (de Hoop
Scheffer hatte 1559 angenommen).

So haben wir jetzt zum erften Male einen klaren
Lebensaufriß diefes Täuferführers, und die Dokumente zur
felbftändigen Überprüfung feiner Forfchungen hat Vos im
Anhange beigegeben. Es ift aber nicht der Lebensabriß
Mennos allein das Wertvolle an diefem Buche, alle die
ihn umgebenden Gefährten rücken in neue Beleuchtung,
nicht minder Menno's Theologie, in deren Zentrum bekanntlich
Chrifti Menfchwerdung in, aber nicht von Maria
fleht, es darf eben, gut fektiererrifch-fupranaturaliftifch,
Geift und Fleifch nicht vermengt werden, nur der Vater
(der heil. Geift) bildet den Sohn. Sehr wertvoll find
S. 188 ff. die Ausführungen über die foziologifche Struktur
der täuferifchen Gemeinden; Vos formuliert ganz richtig:
die Gemeinde ift Heilsinftitut, und feine Ausführungen
über das Erfordernis der göttlichen Sendung der Älteften
laffen aufs Neue (ich habe das fchon 1901 in den Göttinger
gel. Anzeigen vertreten, und Troeltfch hat es in den ,Soziallehren
' wie 1er aufgenommen) die Beeinfluffung der Calvin-
fchen Kirchenverfaffung durch das Täufertum als fehr
wahrfcheinlich erkennen. Wichtig wäre die Frage, wann
und wodurch die urfprünglichen Älteften des Kreifes um
Menno ihre Amtsbefugnis im Dienfte der Gefamtge-
meinfchaft (als Nachfolger der Apoftel — daher ihr
Anfpruch auf göttliche Sendung!), die fie z. T. noch heute,
z. B. in den füddeutfchen Mennonitengemeinden haben,
verloren und Presbyter der Einzelgemeinde wurden;
von der alten Stellung her bleibt ihnen aber bis auf den
heutigen Tag in den Mennonitengemeinden eine Oberauf-
ficht über die Prediger — wie bei Calvin, der vielleicht
noch eher als die Täufergemeinden felbft jene Umformung
des Älteftenamtes vornahm. Man beachte auch die Vor-
ftellung, daß nicht die Gemeinden, fondern Gott den Bann
handhabt (S. 197 ff.), die Älteften find feine Stellvertreter,
wenn fie ihn verhängen. Den debitus usus gladii hat
Menno anerkannt, ebenfo, daß ,Kriegsleute auch in einem

feiigen Stande fein können' (S. 206 ff), über den Eid hat
er fpäter rigorofer gedacht als früher, den Begriff der
Erbfünde kennt er, aber er bedeutet ihm nichts, die
Prädeftination biegt er zur Vorfehung um. Wenn Vos
betont (S. 217) daß Menno bis ca. 1556 maßgebenden
Einfluß gehabt hat und man mit Recht den alten Tauf-
gefinnten den Namen ,Menniften' geben könne, fo dürfte
meine in den ,mennonit. Blättern' einmal ausgefprochene,
aber von den holländifchen Taufgefinnten bekämpfte
Forderung, die Gefchichte der Mennoniten mit Menno zu
beginnen und die allmähliche Ankriftallifierung an feine
Gemeinfchaft zu verfolgen, doch zu Recht beftehen. —
Zweifelhaft fcheint mir die Erklärung von Vos, daß keine
Spur von Verpflanzung fchweizerifchen Täufertums nach
den Niederlanden vorhanden fei (S. 20); man vgl. dem
gegenüber den Bibliotheca reform. Neerlandica VII S. 24ff.
abgedruckten Bericht der fchweizerifchen Täufer an ihre
Glaubensgenoffen in den Niederlanden vom 30. Nov. 1525.

Hoffentlich gibt diefes wertvolle Buch baldigften Anlaß
zur Ausführung des von dem leider verftorbenen
Cramer gefaßten Planes eines kritifchen Neudrucks der
Schriften Mennos. Vos wäre der gegebene Mann dazu.

Zürich. Walther Köhler.

Widmann, Dr. Ernft: Die religiöfen Anfchauungen des Flirrten
Metternich. (VIII, 105 S.) gr. 8°. Darmftadt, C. F.
Winter 1914. M. 1.40

Demmel, Hans Jof: Gefchichte des Alt-Katholizismus in
Öfterreich. (II, 98 S.) gr. 8°. Kempten, Verl. des Reichs-
verbandes altkathol. Jungmannfchaften 1914. M. 1 —

Die auf- und abrollenden Wogen des gefchichtlichen
Urteils haben den Fürften Metternich wieder in rettende
Höhe geworfen. Nach Friedjung und Spahn rühmt der
Romantiker Richard v. Kralik in feiner farbenprächtigen,
aber auch überftiegenen und gewalttätigen ,Ofterreichifchen
Gefchichte' (1913): ,daß der Befreiungskampf für ganz
Europa mit vollem Erfolg gelang, das ift vor allem Metternichs
Hauptwerk. Er hat mit genialer Intuition das
Wefen des öfterreichifchen Gefamtftaatsgedankens walten
und wirken laffen' h Nun hat fich fogar Widmann nicht
verdrießen laffen, das heikle Thema der religiöfen Anfchauungen
des Fürften eingehender zu behandeln; er
will freilich das Problem nicht erfchöpfen, nur einen Vor-
ftoß auf bisher unbetretenes Land machen.

Seine Hauptquelle bilden die acht Bände ,Nachge-
laffene Papiere' Metternichs, die fein einziger Sohn aus
zweiter Ehe, Fürft Richard, einft Botfehafter am Hofe
Napoleons III., 1880—84 herausgeben hat. Er weiß allerdings
, daß die darin abgedruckten memoirenhaften Aufzeichnungen
des Fürften größtenteils vor der hiftorifchen
Kritik nicht ftand gehalten haben, und daß der Sohn
Alles, was den Vater in ein ungünftiges Licht fetzen konnte,
nach Möglichkeit wegließ.

Widmann geht von dem lebhaften religiöfen Bedürfnis
des Knaben aus; das Treiben an den geiftlichen
Höfen ließ die guten Keime nicht zur Entfaltung kommen
. Die eigentlich deutfehe Geiftesbildung, die in ihrem
bellen Teil im Proteftantismus wurzelt, blieb ihm zeitlebens
fremd. Keinen religiöfen oder fittlichen Damm
vermochte er dem ihn umgebenden Zynismus entgegen
zu werfen; zahllos find feine Liebfchaften. Das Chriften-
tum hatte lange keinen Einfluß weder auf feine fittliche
Haltung, gefchweige auf feine Diplomatie und Politik.
Daher ftand er auch dem Proteftantismus im Lande, den
Bibelgefellfchaften, religiöfen Sekten verftändnislos gegenüber
. An diefem Punkte hätte fich Widmann noch
Beftätigung holen können in meinem Buch: ,Von der

1) Kraliks vielfach fehlgehende Behandlung des Proteftantismus in
Öfterreich habe ich im Jahrbuch für die Gefchichte des Proteftantismus
in Öfterreich' 35 (1914), 225—234, beleuchtet.