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Ausgabe:

1915 Nr. 8

Spalte:

178-179

Autor/Hrsg.:

Ficker, Johannes (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Bildnisse der Straßburger Reformation 1915

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 8.

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lag ihnen darum am Herzen. Auch die Abendländer
bewegten (ich in der gleichen Richtung. Uer Verfuch,
jeden Wiffensmangel der menfchlichen Natur Chrifti zu
leugnen, lag darum nahe genug. Zunächft nur vereinzelt
(Leontius von Byzanz, Leporius) auftauchend, zog er
weitere Kreife, als in Alexandrien und Paläftina die Agnoe-
ten das Nichtwiffen Chrifti zur Thefe formulierten. Sie
konnten allerdings nicht durchdringen. Die Gegner aber
fahen fich in der Bekämpfung genötigt, auf jene Gedanken
zu verzichten, die bis dahin als Mittel der Polemik wertvoll
gewefen waren. Die biblifchen Zeugniffe wurden ver-
fchleiert oder umgedeutet. Jede Wiffensbefchränkung
grundfätzlich abzulehnen, wurde fpekulative Forderung.
So finden wir es bei Johannes Damascenus. Göttliche und
menfchliche Weisheit der Menfchennatur Chrifti bleiben
zwar unterfchieden, werden aber inhaltlich nicht gegen
einander abgegrenzt. Die abendländilche Entwicklung
ging nicht andere Wege. Zwar benutzten die Adoptianer
noch einmal das von der Bibel bezeugte Nichtwiffen
Chrifti. Aber die karolingifchen Theologen lehnten faft
ausnahmslos die buchftäbliche Exegefe ab. So ftanden
!ni Often und im Welten einander fpekulative Forderung
und biblifche Ausfage gegenüber. Der Gegenfatz konnte
auf die Dauer nicht verborgen bleiben. Den Ausgleich
verbuchte die auffteigende Scholaftik.

Tübingen. Otto Scheel.

Below, Prof. G. von: Der deutfche Staat des Mittelalters.

Ein Grundriß der deut. Verfaffungsgefchichte. 1. Bd.:
Die allgemeinen Fragen. (XX, 387 S.) gr. 8°. Leipzig,
Quelle & Meyer 1914. M. 9—; geb. M. 10 —

Wir bringen hier den erlten Band eines, der allgemeinen
Aufmerkfamkeit würdigen Buches zur Anzeige.
Was den bekannten Freiburger Hiftoriker an der deut-
fchen Verfaffungsgefchichte befonders intereffiert, ift das
Fortleben und die Weiterentwicklung der ftaatlichen Idee,
deren Wefen und Wert er mit großer Liebe und mit
eindringendem Verftändnis verfolgt. So verlteht fich der
richtig gewählte Ober- und Haupttitel des Buches, das
im Untertitel als ein ,Grundriß der deutfchen Verfaffungsgefchichte
'bezeichnet wird. Die Bekämpfung aller Theorien,
die dem ftaatlichen Charakter des Deutfchen Reiches im
Mittelalter nicht gerecht werden, die ihn herabfetzen, ver-
wifchen oder gar ganz leugnen, tritt faft auf allen Seiten
des vorliegenden Bandes hervor. Ganz befonders dient
diefem Zweck der erfte Teil mit der Überfchrift .Literatur-
gefchichte des Problems' (S. 1—in). Er bringt eine fehr
inftruktive Überficht über die Forfchung des letzten Jahrhunderts
, beginnend mit der ,Reftauration der Staats-
wiffenfchaft' von Karl Ludwig v. Haller, und gibt von
der außerordentlichen Belefenheit des Verfaffers einen
%rken Eindruck, der auch in den folgenden Teilen immer
wieder erhärtet wird. Der ultramontane Konvertit v. Haller
mtereffiert den Verf. deshalb, weil er die gegenteilige
Anfchauung vom Staat begründet hat. Haller fah das
Deutfche Reich, wie überhaupt die meiften Staaten, als
einen rein privatrechtlich orientierten ,Patrimonialftaat'
an, und es hat auch feitdem nicht an Forfchern gefehlt,
nach denen die privatrechtliche (namentlich die lehns-
r^chtliche) Seite im mittelalterlichen Staat die entfcheidende
Rolle gefpielt habe. Der hofrechtlichen Theorie, die
wichtige ftaatliche Inftitutionen aus dem grundherrfchaft-
a?hen Hofrecht ableitet, und die durch Nitzfcb, G. L. v.
Maurer, Schmoller, Lamprecht u. a. in verfchiedener Art
Und Schärfe vertreten wurde, während v. Below ihr bereits
eit 1885 in zahlreichen Auffätzen und Büchern entgegengetreten
ift, gilt auch hier wieder ein guter Teil des
f^ampfs. Befonders Schmoller, dem unfer Verf. wohl nur
in negativer Hinficht gerecht wird, Sander, deffen Anwehten
fogar nicht einmal wiedergegeben werden (S. 104ff.),
nd Jaftrow, deffen Namen verfchwiegen wird (S. 111 Anm.),

find fcharf mitgenommen. Ihnen gegenüber vertritt
v. Below die Thefe, daß in der Verfaffung des Deutfchen
Reichs zwar allerhand privatrechtliche Faktoren eine
große Rolle gefpielt haben (neben dem Lehnsrecht
namentlich die Immunität und die Einungen, wie Zünfte
und Bünde), daß daneben aber die rein ftaatsrechtlichen
Gedanken lebendig und wirkfam geblieben find. Das
mittelalterliche Deutfche Reich war weder ein Patri-
monialftaat noch ein Lehnsftaat; nur den Ausdruck
Feudalftaat will Verf. (S. 278 ff., 322) gelten laffen, fofern
man unter Feudalismus nicht nur das Lehnswefen, fondern
auch andere Erfcheinungen der mittelalterlichen
Verfaffung (z. B. die Einungen und manche grundherrlichen
Rechte) begreift. Über die Berechtigung diefer
Scheidung von Feudalismus und Lehnswefen mag man
ftreiten; dem Grundgedanken des Buches kann man nur
vollkommen zuftimmen. Wie es denn auch in den andren
auf germanifcher Grundlage entwickelten Reichen mit
dem Beharren des ftaatlichen Gedankens immer ebenfo
gewefen ift.

Vielleicht hätte gelegentlich noch mehr darauf hingewiefen werden
können, daß auch im Mittelalter die Grenzen zwifchen ftaatlichen und
privaten Rechten keineswegs überall unbeftritten waren. Die Anfchauung,
daß Staatsgefangene nach dem Tode des Königs freizugeben feien, die
Fälle, wo Reichserbfchaften von beteiligter Seite privat aufgefaßt wurden
(Königreich Burgund, Salifches Erbe), hätten in dem Abfchnitt Uber
König und Reichsperfönlichkeit berührt werden dürfen. Auch über die
wichtigen weitergreifenden Probleme, die in großer Zahl zur Sprache
kommen, kann man unbefchadet des Gefamturteils manchmal anders
denken. Verf. nimmt mit neuen Gefichtspuukten in dem alten Ficker-
Sybelfchen Streit über Nutzen und Schaden der Kaiferpolitik für Deutfch-
land Stellung und gibt in wefentlichen Punkten der Anficht Sybels von
der Schädlichkeit der univerfalen Politik recht. Und ganz befonders abfällig
, z. T. im Anfchluß an die Deutfche Gefchichte Dietrich Schäfers,
wird hier wieder einmal über die füddeutfehen Staufer abgeurteilt. Mir
fcheinen beide Urteile nicht an einem zeitgenöffifchen Maßftab, fondern
aus Intereffen und Stimmungen fpäterer Jahrhunderte gewonnen und
darum unzulänglich zu fein. Das Urteil über die Staufer infonderheit
berückfichtigt nicht die erften 15 Jahre der Regierung Friedrich Barba-
roffas und die Gründe, weshalb es zum Bruch kommen mußte. Daß
die Staufer das Herzogtum Schwaben befaßen, fpielte dabei in Wahrheit
gar keine Rolle. Unmittelbar an die Tagespolitik fchließlich gemahnen
einige Ausfälle des (konfervativ gerichteten) Verfaffers gegen den Liberalismus
und Rationalismus und das, was er für ihres Gleichen hält; vgl.
S. 62, 75, 103 Anm. 4, 205, 209 Anm. fein Schriftfteller von der poli-
tifchen Richtung des Berliner Tageblatts'), 297 (,nach Zeiten dunkler
rationaliftifcher Nacht') ufw. Das geht fchließlich fo weit, daß es einem
Hiftoriker von der Bedeutung Julius Fickers zur Schande angerechnet
wird, feine Neigung der Frankfurter Zeitung zugewendet zu haben, als
hätte er dadurch feine Wertfehätzung deutfeher Art verleugnet 1 (S. 344
Anm.) Solche Kriterien für das Vorhandenfein oder den Mangel nationaler
Gefinnung darf man gewiß ablehnen; und Ficker infonderheit hatte
vollkommen recht damit, daß die Anfchauung von ftaatlicher Allgewalt
durchaus ungermanifch ift. Diefe politifcheu Seitenblicke und Seitenhiebe
gereichen dem Ganzen leider nicht zum Vorteil. Wo findet fich
derartiges in den Werken Rankes?

Aber folche Einzelheiten fallen gegenüber der Ge-
famtleiftung wenig ins Gewicht. Wir empfehlen das Buch
v. Belows allen, die ein felbftändiges Urteil über das
deutfche Mittelalter und einen tieferen Einblick in das
Wefen feiner verfaffungsmäßigen Ordnungen gewinnen
wollen. Und wir hoffen auf ein baldiges Erfcheinen des
zweiten Bandes, der die einzelnen ftaatlichen Organe und
Einrichtungen behandeln foll.

Gießen. Robert Holtzmann.

Bildniffe der Straßburger Reformation. Mit Text van Johs.
Ficker. (Quellen u. Forfchungen zur Kirchen- u. Kul-
turgefchichte v. Elfaß-Lothringen 4.) (13 Bildnistaf.
u. 20 S. m. 2 Abbildgn.) Fol. Straßburg i. E., K. J.
Trübner 1914. M. 3.20

Eine prächtige Gabe, wie fie eben nur Johs. Ficker
mit feiner Kenntnis der Straßburger Reformation und der
Kunftgefchichte leiften konnte. Er bietet auf 13 Tafeln
erft vier Medaillonbilder von Jakob Sturm, Martin Bucer,
Kafipar Hedio und Joh. Sturm; dann folgen die drei Straßburger
Politiker Jakob Sturm mit zwei Bildern, Klaus Kniebis,