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Ausgabe:

1915

Spalte:

173-174

Autor/Hrsg.:

Dunkmann, Karl

Titel/Untertitel:

Gehört Jesus in das Evangelium? 1915

Rezensent:

Dibelius, Martin

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173

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 8.

'74

Kittel hat kürzlich in der Einleitung zu feinem
Pfalmenkommentar (S. 48fr.) die Streitfrage Mifchmetra
oder durchlaufende Metra kurz berührt und dann in einigen
Hauptfätzen Stellung genommen. Er fagt da u. a., daß
der Text der Pfalmen im Laufe der Zeit Veränderungen
erfahren hat und daß dadurch ohne Zweifel auch die
metrifche Form der Lieder gelitten haben wird. ,So
mögen vielfach aus flüffigen Verfen weniger flüffige, aus
gleichartigen (glatten) Metren Mifchmetra, aus ftrofifchen
Gedichten folche mit verwifchten Strofen geworden fein'.
Liefern ruhig abwägenden Urteil ftimme ich rückhaltlos
bei. Ich bin weit entfernt davon, alle Texte, die uns jetzt
als Mifchmetra erfcheinen, für urfprünglich zu halten. In
vielen Fällen mag der häufige Wechfel des Versbaus
tatfächlich auf Textverderbnis beruhen. Aber R.s Theorie
beftreite ich entfchieden, und zwar auf Grund der über-
rafchenden Tatfache, daß fich in der at. Poefie kaum ein

Eaar Produkte zwanglos mit glatten Metren lefen laffen.
'as kann nicht bloß auf Text Verderbnis beruhen. Die
Mifchmetra müffen tatfächlich mindeftens fehr ftark verbreitet
gewefen fein, und wir haben kein Recht, auf Grund
der erften Zeilen einer Dichtung oder häufiger auftretender
gleicher Formen in ihr ein entfcheidendes Urteil über
den metrifchen Bau abzugeben. Das ift ein verhängnisvoller
Irrtum. Wird gar die Theorie vom durchlaufenden
Metrum erft durch textkritifche Operationen haltbar, die
nicht rein grammatifch und logifch begründet find, fondern
ad hoc gemacht werden, fo fpricht fie fich felbft das
Urteil. Es erfcheint mir von größter Wichtigkeit, gegen
ihre extreme Vertretung durch R. Front zn machen, denn
mit ihr hört alle Sicherheit in den Unterfuchungen über
den Versbau der at. Dichtung auf.

Jena. W. Staerk.

Dunkmann, Prof. D. K.: Gehört Jehls in das Evangelium?

(Salz u. Licht, Heft 21.) (30 S.) 8°. Barmen, Wuppertaler
Traktat-Gefell fchaft 1914. M. —40

Die im Thema geftellte Frage wird als religiöfes, nicht
als hiftorifches Problem gefaßt und in folgendem Gedankengang
beantwortet: Die Forderung des Evangeliums,
wie es in der Bergpredigt zufammengefaßt ift, geht auf
rechten Gehorfam gegen Gott, der fich in der rechten
Liebe zu den Brüdern auswirkt. In diefes Evangelium
fcheint Jefus nicht hineinzugehören; wer aber den Ernft
der Forderung überdenkt, fucht und findet in Jefus den,
der diefe Forderung erfüllt hat. So erfcheint Jefus zu-
nächft als ,Bürge und treuer Zeuge feiner Lehre'. Aber
er ift mehr; denn feine Perfönlichkeit hat die Sünder bezwungen
; fo fleht es im Evangelium, und diefe Gefchichten
find die Höhepunkte in den Evangelien. Wenn er den
Sündern aber die Sünde vergibt, wie nur Gott es kann,
fo ift feine Perfon, nicht feine Lehre, der Mittelpunkt des
Evangeliums; feine Perfon, deren Heiligkeit fich uns gerade
in feiner Liebe offenbart.

Wenn ich an diefen von warmer Gefinnung getragenen
Ur>d in erfreulichem Maße von Polemik gegen Andersdenkende
freien Ausführungen etwas auszufetzen habe,
fi> ift es dies, daß zwifchen der Wirkung Jefu auf feine
^e'tgenoffen und feiner Wirkung auf uns kein Unterfchied
fs"emacht wird. Hier liegt aber das Hauptproblem, und
Wer dies umgeht, darf nicht den Anfpruch erheben, er
fiabe die geftellte Frage befriedigend beantwortet. Denn
darüber ift wohl kein Wort zu verlieren: der unmittelbare
Eindruck der perfönlichen Begegnung — gerade etwa
g der von D. zitierten Erzählung Lukas 5 — ift fchlecht-
*jln_ unwiederholbar. Andrerfeits fleht das Bild Jefu als
Reffen, jn dem wir Forderung und Erfüllung des gött-
mhen Willens zugleich anfchauen, gefchloffener und vom
^enfchlichen befreiter vor den Chriften der Nachwelt als
Vor den Zeitgenoffen. Wer die geftellte Frage beantworten
will, muß darftellen, in welchem Maße die Perfon

Jefu — vom Zeitlichen befreit — auf die Seelen derer
wirkt, die heute fein Evangelium bekennen.

Heidelberg. Martin Dibelius.

Norden, Eduard: Jofephus undTacitus über Jehls Chriltus und
eine mellianifche Prophetie. Sonderabdruck aus dem
XXXI. Bde. der Neuen Jahrbücher f. das klaff. Altertum
ufw. (30 S.) Lex. 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1913.

M. 1 —

Corffen, P.: Die Zeugniffe des Tacitus u. Pfeudo-Jofephus über
Chriftus. (Zeitfchrift f. die Neuteft. Wiffenfchaft 1914,
2. Heft, S. 114—140.) Gießen, A. Töpelmann.

Norden hat die Verteidigung der Echtheit des Jofe-
phuszeugniffes über Chriftus durch Harnack in der Internationalen
Monatsfchrift zum Ausgangspunkt einer erneuten
Unterfuchung diefes viel umftrittenen Zeugniffes gemacht
und man darf wohl urteilen, daß er die Frage der Echtheit
definitiv im verneinenden Sinne entfchieden hat. N.
weift vor allem nach, daß der Paffus Ant. XVIII 3,3 in
diefem Zufammenhang garnicht geftanden haben kann.
Er unterbricht das von N. nachgewiefene Kompofitions-
Schema, das Jofephus hier befolgt, indem er die Dar-
ftellung der Regierungszeit des Pilatus nach einzelnen
&OQvßoi ordnet, die in ihr fich ereignet haben. Was Stil
und Sprachgebrauch diefes kleinen Stückes anbetrifft, fo
bringt N. erhebliche Beweife gegen die Behauptung Har-
nacks bei, daß der Abfchnitt fo neutral fei, daß man von
ftiliftifchen Argumenten abzufehen gezwungen fei. An-
dererfeits muß er allerdings zugeben, daß in einigen
Kleinigkeiten doch der Sprachgebrauch des Jofephus befolgt
fei. Doch will N. daraus nur den Schluß zugeftehen,
daß der Interpolator feinen Autor kannte, er urteilt bei
diefer Gelegenheit meines Erachtens mit Recht ,der Interpolator
fchreibt nicht als Chrift, fondern in der Maske
des Jofephus'. N. hätte bei diefer Gelegenheit vielleicht
noch auf die durch neuere Unterfuchungen bekannt gewordenen
verwandten flavifchen Jofephusfragmente hinweifen
dürfen, die für feine Thefe, daß der Interpolator
in der Maske des Jofephus fchreibe, eine gute Parallele
abgeben. — Corffen ftimmt in der Behauptung der Unecht-
heit des Fragmentes in der vorliegenden Form durchaus
zu, glaubt aber nicht, daß es N. durch die Beobachtung
des Kompofitionsfchemas gelungen fei, den Nachweis zu:
führen, daß an der betreffenden Stelle garnichts geftanden
haben könne, und unternimmt von neuem, auch auf die
oben angedeuteten Sprachbeobachtungen geftützt, den
fchon oft gemachten und meines Erachtens ganz ausfichts-
lofen Verfuch, ein echtes und urfprüngliches Stück, das
unter anderem den Hinweis auf Pilatus enthalte, aus der
Fälfchung auszufcheiden. — N. befchäftigt fich weiter mit
der Behauptung Harnacks, daß Tacitus in feinem berühmten
Zeugnis über Jefus Ann. XV 44 von unferer Jofephus-
Stelle abhängig fei. Er weift diefe Möglichkeit mit großer
Beftimmtheit ab und ift nach Cichorius der Meinung, daß.
Tacitus während feiner mit der des Plinius etwa gleichzeitigen
Statthalterfchaft in der Nachbarprovinz Afien
derartige Notizen über die Entftehung der Chriften-Sekte
leicht hätte erhalten können. Corffen ift auch hier wieder
anderer Meinung; er beftreitet die letztere Möglichkeit
mit kaum überzeugenden Gründen und ift feinerfeits der
Anficht, daß Tacitus hier von dem von ihm rekonftruierten
echten Zeugnis des Jofephus abhängig fein könnte. — Harnack
hatte zur Unterftützung feiner Thefe von der Abhängigkeit
des Tacitus von Jofephus darauf hingewiefen, daß
an einer anderen Stelle, nämlich Hift. V 13, Tacitus ficher
von Jofephus, Bellum VI 5,4 abhängig fei. Es handelt
fich hier um die Darftellung der Prodigien vor Jerufalems
Fall und jene merkwürdige Weisfagung meffianifchei
Art, die dann Jofephus in feiner bekannten Weife auf
Vefpafian umgedeutet hat. N. leugnet auch hier die