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Ausgabe:

1915 Nr. 7

Spalte:

159-160

Autor/Hrsg.:

Vigener, Fritz

Titel/Untertitel:

Die Mainzer Dompropstei im 14. Jahrhundert 1915

Rezensent:

Lerche, Otto

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159

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 7.

160

auf die Stoa, und unter Heranziehung von Galen,
Vitruvius, Plinius und Seneca erweift Schmekel den
Griechen Pofidonius, der zwifchen 73—67 a. Chr. fchrieb,
als den Schöpfer dieser Naturphilosophie. Aber die Stoa
ordnete auch das gefamte Kulturleben der Natur, der
(pvOtc, unter und machte damit prinzipiell die Kultur-
philofophie zu einem integrierenden Beftandteil ihrer Naturphilosophie
. Zugleich ftellt fie diefe unter den Gefichts-
punkt der Entwicklung und kam fo namentlich in ihrer
mittleren Epoche, der Pofidonius angehörte, im Anfchluß
an Plato und Ariftoteles zu einer ausgeprägten Gefchichts-
philofophie. Darnach war die römifche Weltmacht das
Ziel der hiftorifchen Entwicklung und ihre Verfaffung die
Idealverfaffung. An die Gedanken diefer ftoifchen Ge-
fchichtsphilofophie hat fich Sueton in dem von Ifidor benutzten
Werke angefchloffen. Zum Schluß kommt
Schmekel noch kurz auf die Darftellung der chriftlichen
Lehre in Iüdors Origenes zu fprechen, die diefer feinem
eigenen theologifchen Hauptwerk den ,Sententiarum libri
tres' entnimmt. Trotzdem Ifidor ftark unter dem Eindruck
der gewaltigen Perfönlichkeit Auguftins und feiner
Gefchichtsphilofophie ftand, hat er den Wert der alten
Kultur erkannt und in der Verbindung und Pflege der
klaffifchen Bildung mit der chriftlichen Lehre die Kulturaufgabe
der Kirche gefehen, fo daß er einer der intellektuellen
Hauptträger der erften Renaiffance in Karls des
Großen Weltreich geworden ift. Die Refultate der fehr
wertvollen Unterfuchung verdienen m. E. — in einzelnen
Detailfragen mag man anderer Meinung fein können —
volle Zuftimmung und laffen das Syftem Ifidors von Sevilla
und feine Quellen in neuem Lichte erfcheinen. Wir fehen
mit Spannung der Darftellung der begrifflichen Ergebniffe,
die fich auf diefe Quellenunterfuchung ftiitzen und im
erften Bande feiner Forfchungen erfcheinen wird, entgegen.

Münfter i. W. G. Grützmacher.

Vigener, Fritz: Die Mainzer Dompropitei im 14. Jahrhundert.

Aufzeichnungen über ihre Befitzgn., Rechte und Pflichten
aus den Jahren 1364—1367. (Quellen u. Forfchgn. zur
heff. Gefchichte. I.) (LIX, 186 S.) gr.8°. Darmftadt,
Großh. heff. Staatsverlag 1913. M. 6 —

Vigener bietet keine GefchichtederMainzerDompropftei,
auch an und für fich kein Kapitel zur Gefchichte des
Mainzer Domkapitels. Beide find interefiant und bedeutend
genug, daß man fich mit ihnen befchäftigen dürfte.
Vigener bietet lediglich einen Abdruck einer römifchen
Quelle betr. die Wirtfchaft und Finanzlage der Mainzer
Dompropftei ca. 1365. Diefem Abdruck, für deffen Genauigkeit
V., wie er in der Vorrede ausführlich darlegt,
glaubt einftehen zu dürfen, fchickt er allerdings eine höchft
wichtige, intereffante und auffchlußreiche Einleitung voraus
. Wie fich das Mainzer Erzbistum über viele deutfche
Hochftifter hinaus erhob, fo mußte auch im guten Mittelalter
das Mainzer Domkapitel eine Bedeutung gewinnen,
die nur wenige andre geiftliche Körperfchaften annähernd
erreichten. Und wie in jedem Klofter eine Scheidung
zwifchen Abtei- und Konventsgut eingetreten ift, fo hat
auch in Mainz eine Trennung von Kapitel- und Propftei-
gut ftattgefunden. Der Propft hatte die noch befferen
Weine. Der Propft war, wie in den Bistümern überhaupt,
fo befonders in Mainz, der erfte Wirtfchaftsbeamte nicht des
Kapitels allein, fondern auch des Erzftifts. Zwar war er zugleich
Archidiakon in einem wefentlichen Sprengel, doch
hatte das geiftliche Dekorum mehr der Dekan zu wahren.
Der Propft muß in erfter Linie guter Haushalter fein. Er
hat dafür zu forgen, daß den Domherren die Einkünfte ihrer
Pfründen voll zufließen, hat Ausfälle hier durch Über-
fchüffe dort zu decken und muß über die Finanzlage des
geiftlichen Staats ein waches Auge halten. Selbftverftänd-
lich wäre es darum auch, daß, wie alle Stifter und Korporationen
des Erzftiftes auf Befehl des Erzbifchofs 1354
Verzeichniffe über Güter und Einkünfte angelegt haben,
das Domkapitel, fpeziell wiederum die Dompropftei, folche
Verzeichniffe angelegt hat. Sie mögen angelegt fein:
erhalten find fie in Mainzifcher Überlieferung nicht. Aber
römifche Quellen können aushelfen. Das kommt daher,
daß die Kurie fehr früh die Mainzer Dompropftei als
eine päpftliche Pfründe eingezogen hat. Die Kölner,
Trierer und andre Dompropfteien find erft bedeutend
Ipäter — die Hildesheimer ift z.B. erft 1398 demErzbifchof
Konrad von Nikofia übertragen — von der Kurie vergeben.
Der Mainzer Propft jedoch hatte Anwartfchaft auf be-
fondere Afpirationen, einmal wegen der Bedeutung der
Mainzer Kirche überhaupt und fodann wegen der gewaltigen
Güter und Einkünfte, die mit der Stelle verbunden
waren. Im übrigen liegen hier Schwierigkeiten
und Streitigkeiten vor, wie in jedem ähnlichen Falle,
Eiferfüchteleien im Domkapitel, Anfpruch auf Refidenz-
pflicht ufw., auf die wir hier verzichten müffen näher einzugehen
. Sie find von V. außerordentlich klar und fachlich
dargelegt. Der Bearbeiter der Mainzer Regelten ift
ja auch der befte Kenner Mainzer Gefchichte, und als
folcher erweift er fich auch hier.

Nach verfchiedenen Verfuchen, die Mainzer Dompropftei
zur päpftlichen Pfründe zu machen, ift das fchließlich nach
I der Mitte des des 14. Jahrhunderts gelungen. Doch war Wil-
I heim Pichon, ein befcheidener ffanzöfifcher Kleriker im
I Gefolge Karls IV., der erfte vom Papfte providierte Mainzer
Dompropft, ein nachgiebiger, freundwilliger Mann, der dem
Domkapitel faftin allen Fällen nachgab und zu emfterenBe-
fchwerden keinen Anlaß bot. 1363 jedoch trat ein Pfründenjäger
erften Ranges, der Kardinalbifchof Raimund von
Paleftrina, die Dompropftei an und zog aus ihr jahrelang
bedeutende Einnahmen. Nur dadurch, daß er in feinem
Bevollmächtigten, dem Domherrn Bertrand von Lodeve,
einen überaus gewiffenhaftenSachwalter gefunden hatte, hat
die Dompropftei felbft nicht bedeutend gelitten. Nikolaus
hat zwar die Intereffen feines Herrn, des Kardinaldom-
propftes, wahrgenommen, hat aber andrerfeits auch die
Lebensbedingungen des Inftituts erkannt und gefchützt.
Er war der eigentliche Verwalter der Dompropftei und
ift zweimal in feiner Wirtfchaft gewefen, einmal im erften
Jahre, dann nochmal nach zwei Jahren. Da hat er zu-
nächft ein Inventar, den ,liber ubi loca, census, curie,
honores, officia, beneficia et alia iura necnon onera
domino preposito et prepositure incumbentia continentur'
aufgeftellt. Diefer liber wird mit den folgenden Rechen-
fchaftsberichten von Vigener zum Abdruck gebracht.
Aus ihm erhellt die bedeutende Stellung der Mainzer
Dompropftei in glänzender Weife. Der Dompropft war
Landesherr in verfchiedenen Gegenden am Mittelrhein
und am unteren Main, er war Gerichtsherr und auch
Grundherr außerhalb feines Territoriums. Verpachtete
Güter und Zinfen brachten große Summen ein. Am be-
deutendften war die Einnahme aus den Zehnten, zumal
aus den Weinzehnten (Lorch). Die genaue Aufzeichnung
aller Rechte und Einkünfte verdanken wir dem Domherrn
von Lodeve, der uns mit feinem ,liber' einen unmittelbaren
Einblick in die kirchliche Wirtfchaftsverfaffung der
Mitte des 14. Jahrhunderts gibt, der einzig dafteht. Vigener
hat uns diefe Quelle in muftergültiger Weife dargeboten
und außerordentlich reichhaltig und zweckmäßig kommentiert
. Die Hiftorifche Kommiffion für das Großherzogtum
Heffen hat mit diefem erften Bande ihre Quellen und
Forfchungen, fowohl was hiftorifche Bedeutung und
wiffenfchaftliche Leiftung wie auch was typographifche
Ausftattung anlangt, außerordentlich glücklich eingeführt.

Leipzig. Otto Lerche.