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Ausgabe:

1915 Nr. 7

Spalte:

153-155

Autor/Hrsg.:

Jevons, F. B.

Titel/Untertitel:

Comperative Religion 1915

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 7.

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erzogenes Volk wird dem unehrenhaften Frieden den Krieg
in Ehren bedingungslos vorziehen' (24). Der Krieg ift (von
feltenen Ausnahmen abgefehen) ,wirklich ein Weltgericht'
(28). Den Gedanken Sch.s ftimme ich im Wefentlichen zu,
aber im Intereffe der Deutlichkeit und wiffenfchaftlichen
Behutfamkeit möchte ich ihm die Pflege eines einfachen
und ftrengen Stiles anraten.

Es fei mir geftattet, in diefem Zufammenhange auch
über meine eigene kleine Schrift28 zu referieren. In fechs,
vor Studierenden gehaltenen Vorträgen werden behandelt:
t. Krieg und Frieden. 2. Deutfchtum und Menfchentum.
3- Englifche Moral und deutfche Moral. 4. Deutfche
Charakterbildung. 5. Gewalt, Recht und Liebe. 6. Das
Chriftentum als Kraftquelle im Kriege. Nicht, theoretifche
Probleme theoretifch zu erörtern, war meine Abficht, fondern
die Behandlung der bekannten fchweren Probleme
ift in den Dienft der Gefinnungsbildung geftellt und der
Selbftbefinnung auf die Quellen unferer Kraft.

An Troeltfch's 29 packender Rede ift das Schönfte
feine dem vaterländifchen Empfinden vollen Ausdruck
gebende und doch zugleich rückhaltlos ehrliche Ausein-
anderfetzung über den ,Militarismus'. Das Einzige in dem
Vortrage, wohinter ich ein ftarkes Fragezeichen machen
möchte, ift die foziologifch bedingte Annahme, daß Wucht
und Leiftungsfähigkeit unferer deutfchen Armee auf der
,Übergangslage' Deutfchlands zwifchen ,feudal-arifto-
kratifch-patriarchalifcher' und ,individualiftifch-demokra-
tifcher' Gefellfchaftsverfaffung beruhe. Weshalb follte
nicht das Wertvolle in beiden, das T. meint, fich dauernd
erhalten laffen?

Etwas aus der Reihe heraus fällt, zumal dem Titel
nach, die Schrift von Chrift. F. Weifer30. In Form eines
amerikanifchen Reifeerlebniffes, der Begegnung mit einem
irifchen, aber vom Deutfchtum und der Romantik aufs
tieffte erfaßten Priefter werden tiefe religiöfe und politifche
Probleme erörtert. .Freiheit, Wahrhaftigkeit und Perfön-
lichkeit' bilden zufammen die Dreieinigkeit, die das Wefen
der Deutfchheit ausmacht. Kulturmiffion der Deutfchen
Amerikas ift es, über die Enge ihres konfeffionellen Kir-
chentums hinaus zu wachfen, um das Amerikanertum von
der angelfächfifchen Lüge zu befreien. Dem neuen Staatenbund
, den das fiegreiche Deutfchland begründen foll, wird
auch das befreite Irland beitreten. Dies der Grundgedanke
der fehr eigenartigen, oft anfprechenden Ausführungen
.

Titius, Göttingen.

Jevons, Prof. F. B., Litt. D.: Comparative Religion. (The
Cambridge Manuals of Science and Literature.) (VII,
154 S.) kl. 8°. Cambridge, University Press 1913.

s. 1 —

Mir ift nicht ganz klar geworden, unter welchen einheitlichen
Gefichtspunkt fich die verfchiedenen Kapitel
diefes kleinen Buches eigentlich recht zufammenordnen.
Der Verfaffer handelt auf 144 kleinen Seiten nach einer
Einleitung über Opfer, Magie, Ahnenverehrung, das zukünftige
Leben, Dualismus, Buddhismus, Monotheismus.
Man könnte das Buch etwa überfchreiben: Zerftreute
Gedanken über Wefen der Religion und Religionsge-
fchichte. Auch fehe ich nicht recht ein, wen fich der
Verfaffer als Lefer feines Buches denkt; für den Kenner
bietet er reichlich wenig, für den ferner Stehenden ift
[ein Buch zwar äußerlich betrachtet glatt und lesbar geichrieben
, aber man vermißt jede gründliche Einführung

28) Unter Krieg. Elhifehe Betrachtgu. (Religionsgefchichtliche Volksbücher
. V. Reihe, 17 u. 18. Heft.) (IV, 84 S.) TübingeD, J. C. B. Mohr
1915, M. 1 —; geb. M. 1.30

29) Unfer Volksheer. Rede, geh. am 3. II. 1914 in der vaterländ. Ver-
'ammlung im Nibelungenfaale zu Mannheim. (22 S.) 8". Heidelberg, C.Winter
"9H. M. —25

30J Die HoffnuDg des Iren. (Perthes'Schriften zum Weltkrieg. 4. Heft.)
I°°S.) Gotha, F.A.Perthes 1914. M. —80

I in die Probleme. Nur wer diefe fchon kennt, wird an
I einzelnen Wendungen erfehen können, wie feinerfeits der
I Verfaffer Stellung zu ihnen nimmt, und in welcher Rich-
j tung er fie aufzufaffen und zu fördern verfucht. Ich felbft
habe das Buch mit großer Enttäufchung, da ich nach
dem Namen, den der Verfaffer hat, viel erwartete, aus
der Hand gelegt. Ich kann das Urteil nur durch einige
wenige Bemerkungen illuftrieren.

In feiner Einleitung entwickelt der Verfaffer etwa folgende Ge-
dauken: die Religion baut fich auf auf dem Trieb der Selbfterhaltuug und
zwar gegenüber geheimnisvollen Mächten, deren Wirken nicht einfach
und klar zu überfchauen ift. Die Bedrohung von Seiten diefer geheimnisvollen
Mächte kann fich entweder beziehen auf den Einzelnen oder auf
die Gefamtheit. Wo der Gedanke an die Gefamtheit vorwaltet, kommt
es, foweit ich den Verfaffer verftehe, zur eigentlichen Religion, nämlich
zur Annahme göttlicher Mächte. Wo dagegen das eiuzelue Leben fich
bedroht fühlt, entfteht die Magie, oder doch nur eine halbe Religion.
Als Mächte, die das Einzelleben bedrohen, können nämlich einerfeits
menfchliche Perfönlichkeiten betrachtet werden, Zauberer und Hexen, auf
der andern Seite aber (es wird nicht recht klar, wie diefe Erfcheiuungen
eigentlich zu verliehen und abzuleiten find) Geifter, in erfter Linie Toten-
geifter. Von vornherein haben der Kultus der Götter und der Kultus der
Geifter infofern eine verfchiedeue Richtung in ihrer Eutwicklung genommen
, als bei dem erfteren fich fehr bald der Gedanke einer gewiffen
Gemeinfchaft mit dem höheren Wefen einftellte, während der letztere
bei dem Streben fteheu blieb, die fchädigenden Mächte aus dem Umkreis
des menfchlichen Lebens zu entfernen.

Das find fo etwa die Grundgedanken von denen der
Verfaffer ausgeht und die im Folgenden feine Darftellung
im einzelnen beherrfchen. Ich kann nicht finden, daß in
diefen Sätzen eine fehr tiefe Erfaffung des Problems von
Wefen und Urfprung der Religion vorliege. Auch in den
Haupteigentümlichkeiten feiner Auffaffung von Religion
vermag ich J. im einzelnen nicht zu folgen. Nicht in
feiner die Tatfachen vergewaltigenden Abfcheidung des
Geifterglaubens vom Götterglauben, auch nicht in feinen
Sätzen über den Unterfchied von Magie und Religion,
die er dann in feinem dritten Kapitel näher begründet
und ausführt. Nach dem Verfaffer liegt die Sache fchein-
bar ganz einfach: ,So ift ein Unterfchied zwifchen Magie
und den meiften Formen von Religion klar. Magie ift
eine Sache von Individuen, Religion der Gemeinfamkeit'.
Ich leugne nicht, daß einiges Richtige in diefem Satze
liegt, ich gebe dem Verfaffer auch zu, daß im eigenen
Bewußtfein der in Betracht kommenden Primitiven diefer
oder ein ähnlicher Unterfchied fich vielfach nachweifen
laffen wird, obwohl fchon hier die Frage erhoben werden
muß, ob die eigenen Ausfagen der Primitiven hier wirklich
als voll angefehen werden können; aber im Ganzen
halte ich den Satz für eine ungeheure Übertreibung.
Eine derartige Ausfcheidung der individuellen Elemente
aus der Religion der Primitiven entfpricht einerfeits einfach
nicht den Tatfachen und ftellt uns andererfeits vor
das unlösbare Problem, wie es kommt, das dasjenige
Element des religiöfen Lebens, das wir bei den höher-
ftehenden Religionen als abfolut wertvoll empfinden, nämlich
das Individuelle, bei den niedriger flehenden Religionen
eine verbotene Ware fein follte. Ich kann hier
nur im Vorübergehen auf die feinfinnige und viel tiefer
grabende Unterfuchung über das fchwierige Problem
Religion und Magie in Söderbloms vortrefflichem Werk
.Gudstrons Uppkomft' S. 202ff. hinweifen, um meinen
Widerfpruch zu begründen. Geradezu erftaunlich oberflächlich
ift das Urteil des Verfaffers über den Buddhismus
S. 106: ,Buddhas Lehre war fpezififch unreligiös, und
wenn feine Nachfolger ihr treu geblieben wären, dann
würde der Buddhismus, fo bedeutfam er an fich war,
keine Religion fein, er würde keine Gottesverehrung fein
und keinen Gott haben'. Nach der Meinung des Verfaffers
ift dann der Buddhismus dadurch als Religion
gerettet, daß feine Anhänger die Verehrung Buddhas als
eines Gottes in diefe einführten. Alfo einer vorgefaßten
Theorie zu Liebe, nach der keine Religion ohne Götter und
Gottheit vorhanden fein foll, muß der urfprüngliche Buddhismus
aus der Religionsgefchichte geftrichen werden,
anftatt daß der Verfaffer fich dreifach und hundertfach

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