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Ausgabe:

1915

Spalte:

151-153

Autor/Hrsg.:

Titius, Arthur

Titel/Untertitel:

Religiöse Kriegsliteratur 1915

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 7.

Deutfche Reden in fchwerer Zeit22 haben zwölf
Lehrer der Berliner Univerfität vom 27. Auguft bis 18.
November 1914 in verfchiedenen Gegenden Berlins gehalten
, die alle zunächft einzeln veröffentlicht wurden;

Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff, Krieges Anfang. Guftav
Roethe, Wir Deutfchen und der Krieg. Hans Delbrück, Über den
kriegerifchen Charakter des Deutfchen Volkes. Otto v. Gierke, Krieg
u.Kultur. Adolf Laffon, Deutfche Art u. deutfche Bildung. Adolf v.
Harnack, Was wir fchon gewonnen haben u. was wir noch gewinnen
muffen. Wilhelm Kahl, Vom Recht zum Kriege u. vom Siegespreis.
Alois Riehl, 1813— Fichte — 1814. Theodor Kipp, Von der Macht
des Rechts. Max Sering, Die Urfachen u. die weltgefchichtliche Bedeutung
des Krieges. Adolf Deißmann, Der Krieg und die Religion.
Franz von Liszt, Von der Nibelungentreue.

Nicht Vermittlung neuer Erkenntniffe war das Ziel —
wenngleich es auch hieran nirgends fehlt. Namentlich
Delbrück, Kipp und Sering find mir unter diefem Gefichts-
punkt wertvoll gewefen — fondern ,was alle fühlten, follte
auf die Höhe eines gemeinfamen Erlebens gehoben werden
'. In den Reden, fo urteilt mit Recht das von Wal-
deyer und R. v. Erdberg unterzeichnete Vorwort, ,lodert
aller Zorn und alle Leidenfchaft diefer Tage, aber in ihnen
findet auch das ruhige Befinnen auf uns felbft, auf unfere
höchften Güter und auf die aus diefer großen Zeit erflehenden
Pflichten feinen ernften Ausdruck'. Der Akzent
der Leidenfchaft ift wohl am ftärkften bei Roethe, das
ruhige Befinnen bei Riehl und v. Harnack und, zugleich
mit einem Stich ins Überfchwengliche und Altväterifche,
bei Laffon. Überall werden die fittlichen Volkskräfte in
den Vordergrund gerückt, kaum irgendwo auch fehlt der
religiöfe Ton. Bei Riehl ift es ,der Glaube an die Wirklichkeit
der geiftigen Welt, an das das Dafein des Einzelnen
überragende Leben des Ganzen' (210), bei Roethe der
,Glaube an die weltgefchichtliche Sendung des Deutfchen
Volkes' (32); v. Wilamowitz fpricht von dem ,Gefühle, daß
wir Menfchen nicht atmen können, wenn in diefem Weltenganzen
, in der Natur und in der Geifteswelt nicht das
Gute regiert' (12), v. Gierke weift darauf hin, daß ,in allen
großen Epochen der deutfchen Gefchichte' ,die Bekehrung
zum Vaterlande auch eine Bekehrung zu Gott' war; ,die
deutfche Kultur ift zuletzt nicht im Vergänglichen, fie ift
im Ewigen verankert' (98). v. Harnack bezeugt es als
feine Erfahrung, daß auch folche, die ,mit dem Munde
Atheiften' ,doch ihres Gottes innerlich gewiß find' (161).
Deißmann beantwortet die beiden Fragen, was der Krieg
der Religion und was die Religion dem Kriege leifte auf
Grund zahlreicher Äußerungen namentlich aus dem Felde,
die in ,Beilagen' großenteils abgedruckt werden, eine fehr
verdienftliche Arbeit, die hoffentlich von ihm fortgefetzt
wird.

Die einft von Friedrich Althoff zur Pflege internationaler
Verftändigung begründet .Internationale Monats-
f ehr ift für Wiffenfchaft, Kunft und Technik', läßt die
Hefte des 9. Jahrganges2 3 als Kriegsnummern erfcheinen,
deren Inhalt auch unfere Beachtung verlangt. Über die
Kataftrophe der internationalen Wiffenfchaft fprechen fich
Diels und Wilamowitz-Moellendorf (Heft 2) aus, vom Standpunkt
der rechtsgefchichtlichen Forfchung Brunner (Heft 3),
während E. Troeltfch (Heft 1) allgemeinere Gefichtspunkte
über die Internationalität der geiftigen Kultur und ihr
Verhältnis zum Staate zu gewinnen fucht. Das Verhältnis
zur englifchen Kultur und Theologie tritt in dem in Heft 1
veröffentlichten Schriftwechfel Harnacks mit englifchen
Theologen fehr markant hervor und erhält fein Pendant
in der Beziehung der deutfchen katholifchen Theologie
zur franzöfifchen, wie fie Schrörs vorführt (Heft 2). Die Idee
desPanflavismuszerpflückt Alex. Brückner (Hefts). Doch
richten fich die wuchtigften Angriffe gegen England (fo
Wagner, Loofs (Heft 1), W. Wundt, J. Kaftan (Heft 2), Lujo
Brentano (Heft 3). Das Problem des Islam und feines heiligen
Krieges behandelt Enno Littmann (Heft 5) und — in aus-

22) Berlin, C. Heymann 1914. (XII, 350 S.) 8». M. 4 —

23) Leipzig, B. G. Teubner. Es liegen vor Heft I—7 (1. Oktober
1914— 15. Februar 1915 ; jedes Heft einzeln für 25 Pf.

führlicher, höchft intereffanter Polemik gegen den Altmeifter
Snouck Hurgronje — C. H. Becker (Hett 7). Über das Problem
des Krieges äußert fich am prinzipiellften O. Ritfehl
(Heft 7), der eingehend Jefu Stellung dazu unterfucht, aber
doch eben am entfeheidenden Punkte ein Verfagen der Analogie
konftatieren muß. Erwähnenswert find auch kurze Auf-
fätze zur Würdigung des Krieges von Deißmann, (Hett 2),
R. Seeberg (Heft 3), Feine (Heft 5) und dem Juriften Niemeyer
(über .gerechten' Krieg Heft 3), fowie Mirbts Artikel
über das Auslandsdeutfchtum und die chriftlichen Miffionen
in der Gegenwart (Heft 5). Von allgemeinftem Intereffe find
auch Roethes Charakteriftik deutfeher Art (.wahrhaft und
treu' Heft 2) und Karl Neumanns Eintreten für eine deutfeh-
nationale bildende Kunft in erneutem Anfchluß an die
Romantik (Heft 3).

Auch die Zeitfchrift für den evangelifchen Religionsunterricht24
bringt neben fonltigen reichhaltigen
Darbietungen Kriegsartikel. Erwähnt feien Schufters Auf-
fätze ,über die Aufgaben des Religionsunterrichts gegenüber
dem Kriege' (darunter: Bewährung durch Geduld;
das Gefetz des Opfers, Jefu Vorbild, Heft 2; befonders gut
gelungen: Mut und Tapferkeit, Heft 4) fowie eine .Trauerfeier
1914' für die gefallenen ehemaligen Schüler von
Schwartzkopffund eine,Weihnachtsfeier'vonVollert(Heft 2),
auch eine Befprechung ,religiös-ethifcher Kriegsliteratur'
von Schufter (Heft 4).

Dorn er26 will die in feiner .philofophifchen Ethik' aus-
gefprochenen Überzeugungen auf die heutige Lage des
Vaterlandes anwenden. Das Recht gilt ihm nicht nur als
Ausdruck für die Macht des Stärkeren, fondern als Er-
fcheinung einer Vernunftidee; alle Rechtsformen follen
.zuletzt nur die freie fittliche Betätigung ermöglichen'.
Wie die Idee der Gerechtigkeit das Verhältnis der Staaten
aber auch der Stände und der Konfeffionen zu einander
geftalten müffe, wird eingehender befprochen. Aber D.
weiß, daß fich der Idee des Rechts nur mit Hilfe einer
genügenden Macht Geltung verfchaffen läßt, und er glaubt
,die deutfche Nation von der Vorfehung auserfehen, eine
machtvolle Politik zu vertreten, die in den Dienft der
höchften ethifchen Güter geftellt wird' (30), daß dagegen
,bei der Zähigkeit, mit der England feine abfolut egoifti-
fchen Intereffen brutal verfolgt, nur eine gründliche
Niederlage in dem eignen Land es zur Befinnung bringen
kann' (20). — S. 22 oben find 4 Zeilen flehen geblieben, die
den Zufammenhang völlig fprengen.

Als Verteidigung des gottgegebenen Berufes in der
Völkerwelt rechtfertigt Ihmels20 den gerechten Krieg.
Man dürfe nicht im Namen der fittlichen Ideale der Bergpredigt
gegen Rechtsordnungen Sturm laufen, die doch
die Sünde notwendig macht, wohl aber müffe, bei allem
berechtigten fittlichen Zorn, der Chrift auch die Pflicht des
Krieges zugleich im Geift der Bergpredigt erfüllen und
für die von Gott heraufgeführte Entfcheidungsftunde des
Reiches Gottes in vollem Verantwortlichkeitsbewußtfein,
ernfter Arbeit und Opferwilligkeit fich bereit machen.
Schlichten Gemütern, die dem Kriege gegenüber religiöfe
Bedenken haben, kann das Schriftchen einen Dienft tun.

H. Scholz27 bekämpft den .paeififchen' Idealismus
im Namen des .kritifchen' als der .Fähigkeit, das Sinnvolle
im Wirklichen aufzufinden und auszudrücken' (S. 5), während
der .religiöfe' Idealismus, der allerdings das letzte
Wort behalten foll (24), in einer fpäteren Monographie zur
Darftellung kommen wird. Sch.s Grundgedanke ift die Erkenntnis
, ,daß die Kräfte des höchften Lebens ihrer Natur
nach kriegerifche Zündftoffe enthalten' (20). ,Ein idealiftifch

24) 26. Jahrgang., Heft 1—4. Berlin, Reuther & Reichard; das Heft
M. 1.50

25) Politik, Recht u. Moral m. Beziehg. auf den gegenwärt. Krieg.
(30 S.) gr. 8°. Stuttgart, W. Spemann 1914. M. —60

26) Der Krieg im Lichte der chriai. Ethik. Vortrag. (32 S.) 8°. Leipzig,
A. Deichert Nachf. 1915. M. —60

27) Der Idealismus als Träger des Kriegsgedankens. (Perthes' Schriften
zum Weltkrieg. 3. Heft.) (VI, 29 S ) Gotha, F. A. Perthes 1915. M. — 60