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Ausgabe:

1914 Nr. 6

Spalte:

169-170

Titel/Untertitel:

Judaica. Festschrift zu Hermann Cohens 70. Geburtstage 1914

Rezensent:

Beer, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 6.

170

her Erreichten eine knappe und gute Anfchauung bietet, ; fchen, neupythagoräifchen und jüdifchen Elementen annatürlich
unter einem beftimmten Gefichtswinkel, den nicht lieht, fondern ihn weit mehr aus jüdifcher Spekulation
alle teilen werden. ableitet und ihn mit dem biblifchen ,Wort' Gottes iden-

Ob eine neue Auflage wohl des Verfaffers eigenen i tifizieren möchte S. 303ff. Für Cohen ift es gewiß: ,Die
Text ftatt der Revised Version zu Grunde legen wird? j Vergöttlichung Jefu und die Lehre von der Fleifchwerdung

Marburg. K. Budde.

Judaica. Feftfchrift zu Hermann Cohens 70. Geburtstage-
(VIII, 721 S.) gr. 8°. Berlin, B. Caffirer 1912.

M. 16 — ; geb. M. 19 —

Die zum 70. Geburtstag des bekannten früheren Marburger
Philofophen Hermann Cohen von 43 namhaften
jüdifchen Theologen hergeftellte Feftfchrift ift ein beredtes
Zeugnis von der großen Verehrung und Bewunderung,
deren fich der Gefeierte bei feinen Glaubensgenoffen erfreut.
Wenn auch für uns Cohen nicht ,der deutfche Philofoph
katexochen' ift, als der er ,von einem fpruchbefugten Kritiker
' gepriefen worden ift(S.405), fo freuen wir uns doch aufrichtig
, daß durch einen Philofophen wie C. das Judentum
unferer Tage auf die hohe Bedeutung des altteftament-
lichen Prophentums wieder hingewiefen worden ift
(S. 93). Auf diefem Boden läßt fich vielleicht auch
eine tiefere Verftändigung zwifchen Juden und
Chriften anbahnen, was eine der dringendften
Aufgaben von Gegenwart und Zukunft ift!

Die Beiträge erftrecken fich auf Altes Teftament,
nachbiblifche jüdifche Literatur, Mifchna, Talmud, Philo-
fophie und deren Gefchichte (befonders Philo, Saadja,
Maimonides, Spinoza), praktifche jüdifche Theologie, Phi-
lologifches. Wenigftens einige der mir charakteriftifch
fcheinenden Auffätze feien aus dem reichen Inhalt kurz
erwähnt

Eine Einführung in die Cohen'fche Philofophie bedeutet
der Auffatz von Kellermann, Die philofophifche
Begründung des Judentums 75fr. K. ift auf Hegel nicht
gut zu fprechen: ift er ihm doch ,der philofophifche Bannerträger
des kirchlichen Chriftentums' (S. 78) und ,der Philofoph
des Darwinismus' (S. 82). Nach Perles S. 103 hat
,das Judentum in allen Phafen feiner Entwicklung fich zur
Heteronomie' der Sittlichkeit bekannt. Es werden dann
einige Stellen aus dem jüdifchen Schrifttum (z. B. Wajikra
rabba 2,10. Elia rabba c. 7. Syr. Baruch 57,2 Siffa, ed.
Weiß 86a zu Levit 18,4) befprochen, welche einer Autonomie
der Sittlichkeit das Wort reden. Derartige An-
fchauungen find nach Perles aus Schriften Philos durch
bis jetzt nicht näher nachweisbare Kanäle in das Judentum
gedrungen. Steckelm acher fitzt über den Pfalmen-
kommentaren von Duhm und Gunkel zu Gericht und wirft
ihnen Antifemitismus vor S. 55, weil fie — mit gutem
Recht — die gelegentliche Befchränktheit der Theologie
und Ethik im Pfalter betonen — darüber follte Steckelm.,
wenn er ein unbefangener Hiftoriker fein will, nicht nervös
werden! Unter den von Maybaum erklärten biblifchen
Stellen hat er für Jes. 1,18b in der Faffung des Textes
als Frage an Duhm einen Vorgänger S. 408 f. (Bei dem
letzten Zitat S. 410 muß es übrigens I, nicht II Kön. 18,44
heißen.) Solide ift die kleine Monographie Bachers
über Jofeph ibn Kaspi als Bibelerklärer (1. Drittel des
XIJ-Jahrh.) S. 119fr. In der Idee, daß zwifchen Menfchen
und Pflanzen eine Bruderfchaft beftehe, ift Jofeph ibn
£ /V«? u .R S- !32f. vielleicht von Franz von Affifi
tlfanW frumflHßt Wertvoll für die Ausgänge der alt-
uber Ä ift die Studie von Bergmann

™,dä'% Philofophie und die jüdifche Frömmig-
sSsr r u } d?n Einfluß des Meffianismus auf alt-
judifche Gebete wie das Kaddifch, die Tefilla, die Bene-
diktionen vor und nach dem Bekenntnis (Schema) ufw.
verbreitet fich Elbogen Sehr anziehend und in mancher
Hinficht der wichtigfte Auffatz ift L. Cohns Arbeit über
den Logos bei Philo, eine geharnifchte Auseinanderfetzung
mit Ed. Schwartz, der den Logos bei Philo nicht, wie
meift gefchieht, als eine Mifchung aus platonifchen, ftoi-

des Logos find nicht auf dem Boden des Judentums er-
wachfen, fie haben ihren Urfprung in Vorftellungen des
griechifch-römifchen Heidentums' (§. 331). Um die ganze
Fülle des in den Feftfchrift Gebotenen zu überfchauen,
fei hingewiefen auf fo entgegengefetzte Materien wie etwa
J. Löw's, Aramäifche Lurchnamen — nebenbei gefagt,
die gelehrtefte Abhandlung, aus der S. 334 auch etwas
über nz3l»3n im AT. zu lernen ift — und J. Guttmann's
Studie über Spinozas Zufammenhang mit dem Ariftotelis-
mus, H. Flefch, Akzenlftudien und L. Geiger's Briefe
von W. Wolffohn an B.Auerbach!

Die Auffätze fcheinen gedruckt worden zu fein, wie
fie gerade einliefen. So erklärt fich das Durcheinander in
der Reihenfolge. So fitzen z. B. die aramäifchen Lurche
(333 ff.) zwifchen dem philonifchen Logos (303 ff.) und den
Vorboten der Judenemanzipation in Kurmainz (347ff.)!

Heidelberg. Georg Beer.

Gardner, Percy: The religious Experience of Saint Paul.

(XVI, 263 S.) 8°. London, Williams & Norgate 1911.

s. 5-

Der Verfaffer, von Haus aus Hiftoriker und Archäo-
log, hat doch auch früher fchon theologifche und philofophifche
Schriften veröffentlicht, von denen in Deutfch-
land namentlich das kleine Buch über the Origin of the
Lord's Supper (1893), weniger das umfangreichere Werk:
Exploratio Evangelica (1899) bekannt geworden ift. Neuerdings
hat er zu den Cambridge Biblical Essays (1909)
einen Auffatz über die Reden des Paulus in der Apoftel-
gefchichte beigefteuert, und aus den Vorarbeiten zu diefem
ift zugleich das vorliegende Buch entftanden. Es ift fo
inhaltsreich, daß ich darauf verzichten muß, einen voll-
ftändigen Überblick darüber zu geben; ich befchränke
mich alfo auf dasjenige, was G. felbft als the crucial point
of the present treatise bezeichnet.

Das ift das Verhältnis des Paulus zu dem griechifchen
Myfterienwefen und dem daraus entftandenen Myftizismus.
G. unterfucht zunächft (in Kap. 4), ob bei ihm Myfterien-
ausdrücke vorkommen, und bezeichnet als folche fivoz/jQiov
und Ltvatöfrai, zeZeiog und (pcozi&iv. Aber von zeXeiog ift
das nicht nachzuweisen (vgl. zuletzt meine Schrift: Der
Einfluß der Myfterienreligionen auf das ältefte Chriftentum
1913, 24L), und livOzrjQiov gebraucht Paulus weniger in
dem technifchen Sinne, als G. Wort haben will (vgl. ebd.
24). Er felbft bezeichnet die Reinigungszeremonie, in der
fich zunächft der ,myftifche Anftrich' des paulinifchen
Evangeliums zeige, als wefentlich von der in den Myfterien
üblichen verfchieden: ,the Greek way did not in practice
exclude the sensual life: the way of Paul was thrilled
through and through with ethical passion' (82). Weiterhin
hätte, wie Wendland (Zeitfchr. f. d. neuteft. Wiff.
1904, 353) gezeigt hat, zur Erklärung des Begriffs ocozr^Qia
auch an den Herrfcherkult erinnert und vor allem nicht
überfehen werden follen, daß die Heilande der Myfterien-
kulte, wenn fie auch euhemeriftifch gedeutet wurden, in
der fernen Vergangenheit gelebt haben follten, Jefus dagegen
fozufagen in der Gegenwart.

Im nächften Kapitel werden die Sakramente noch
befonders nach ihrem Verhältnis zu dem Myfterienwefen
unterfucht. Dabei wird vom Taurobolium angenommen,
daß es urfprünglich zum Mithraskult gehört habe, auch
daß die jüdifche Befchneidung von Izates von Adiabene
als fühnendes Blutvergießen aufgefaßt worden und auf die
eine oder andere Weife der Ausdruck: mit dem Blut
Chrifti befprengen zu erklären fei — all das ohne genügenden
Grund. Um fo richtiger ift es, wenn G. betont,
daß ,spiritual and ethical in all things, Paul would never