Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1914 Nr. 4

Spalte:

119-120

Autor/Hrsg.:

Richert, Hans

Titel/Untertitel:

Handbuch für den evangelischen Religionsunterricht erwachsener Schüler 1914

Rezensent:

Schuster, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

ii9

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 4.

120

aber für den Gläubigen das gnadenerfüllte Symbol der
Vereinigung Chrifti mit der Menfchheit.

So wird alfo das Wefen der Ehe — und darin findet
jene Unterfchätzung des Sittlichen feine Erklärung —
nicht aus dem fittlichen Ideal gewonnen, fondern aus dem
Dogma. Eph. 5,32 ift die Grundftelle. Der Ausgang der
Gedanken ift ein rationaler: die Ehe ift ein Sakrament
auch für den Ungläubigen durch den freien Vollzug der
Gefchlechtsgemeinfchaft. Alfo nicht der Priefter fpendet
das Sakrament der Ehe (S. 117) — folche Anfchauungen
feien vielmehr auf lutherifchem Boden gewachfen — für
den Gläubigen ift aber die Ehe ein Sakrament im eigentlichen
Sinne, nicht nur Sinnbild, fondern gnadenwirkendes
Symbol. Daraus wird dann das Recht der Kirche auf
gefetzgebende und richterliche Gewalt in allen Ehefragen
gefolgert. Freilich, diefelbe Kirche, die mit unnachficht-
licher Strenge die Unauflöslichkeit der Ehe fordert, erklärt
eine von einem Geiftlichen der höheren Weihen
gefchloffene Ehe nicht nur für unerlaubt, fondern auch
für ungültig (S. 72) — d. h. kirchliches Gefetz fteht über
fittlicher Pflicht.

So mag alfo die evangelifche Ethik, deren Ideal der
Ehe an fittlicher Reinheit das katholifche überbietet, im
praktifchen Leben nicht fo abfolute Maßftäbe geben können
wie jene — fie gehorcht darin der nicht in eine Formel
zu faffenden Fülle des fittlichen Lebens und überläßt dem
einzelnen Gewiffen, das feine Lage und feine Kraft am
beften kennt, die Laft und die Ehre der Verantwortung.

Hamburg. M.Steffen.

Richert, Dir. Hans: Handbuch f. den evangelilchen Religionsunterricht
erwachiener Schüler. In Verbindg. m. Dir.
G. Rothftein, Prof. F. Niebergall, Drs., Paft. A. Köfter
hrsg. (XII, 352 S.) gr. 8°. Leipzig, .Quelle & Meyer
1911. M. 7—; geb. M. 8 —

Das vorliegende Buch ift fo wertvoll, daß ich, trotz der
durch einen unglücklichen Zufall verfchuldeten Verfpätung,
eine Anzeige noch für nötig halte. Es zerfällt in zwei
Teile, einen allgemeinen Teil, von Oberrealfchuldirektor
Hans Richert in Pofen, und einen fpeziellen, von Lyceal-
direktor Dr. Rothftein-Minden (Altes Teftament; kurz
und gut, wie wir es von R. erwarten), Niebergall (Neues
Teftament, Kirchengefchichte, Gegenwartsfragen; befonders
intereffant durch die energifche Abzweckung des ge-
fchichtlichen Stoffes auf die brennenden Gegenwartsfragen)
und Pfarrer Arnold Köfter in Hamburg-Borgfelde (Glaubens
- u. Sittenlehre; charaktervolle gefchloffene Darftellung
im Ritfchl'fchen Geift, aber meines Erachtens für Schulzwecke
nicht befonders geeignet). Die hier angeführten Stoffe
find in der angedeuteten Reihenfolge für den Unterricht I
der Oberftufe höherer Schulen, Unterfekunda bis Ober-
prima beftimmt; fie dürfen als ein gutes Beifpiel dafür I
gelten, in welcher Weife etwa befonnene, erfahrene Religionspädagogen
fortfchrittlicher Richtung den Unterricht I
auf der Oberftufe erteilt wünfchen.

Indes fo wertvoll diefer zweite, befondere Teil ift,
mein Hauptintereffe haftet doch an dem erften Teil, an
den grundfätzlichen Ausführungen, die von dem Herausgeber
felber flammen. Er begründet in feinem Vorwort
die Notwendigkeit feines Unternehmens, eines befonderen
Buches für den Religionsunterricht erwachfener Schüler,
durch den Hinweis, es fei ,der Fundamentalfehler diefes
Unterrichts die mechanifche Übertragung der Methoden
des kindlich-autoritativen Unterrichts auf den Unterricht
erwachfener Schüler'. Dem gegenüber ftellt R. die Erziehung
zur fittlichen Autonomie als den königlichen Weg
hin und rechtfertigt in einem bedeutfamen Kapitel diefen
Weg gegen die gewichtigen und vollauf gewürdigten Bedenken
von Fr. W. Foerfter (,Autorität und Freiheit').
Nicht durch Autorität will R. die Gefahren des Subjektivismus
überwinden, fondern durch den echten Individualismus
, der fich freiwillig den höchften objektiven
Mächten als den erkannten oder geahnten höchften
Werten beugt. Füge ich noch hinzu, daß R. fich der
Grenzen deffen, was Unterricht leiften kann, im Ganzen
wohl bewußt ift (allerdings in dem Kapitel ,Ift denn nun
Religion lehrbar?' fcheint er mir die Wirkungskraft des
Stoffes zu überfchätzen. Auch der befte Stoff kann durch
verkehrteBehandlung leicht um feine,Einfühlung'fchaffende
Kraft gebracht werden; genau wie in der Poefie) und
wiederholt betont, der Unterricht fchaffe nur Erziehungsmöglichkeiten
, die eigentliche Entfcheidung falle auch
normaler Weife in ein fpäteres Alter: fo kann ich zu
diefer Grundthefe, Autonomie als Erziehungsprinzip, nur
meine volle Zuftimmung erklären. Es ift mir fchlechter-
dings unmöglich, mit Primanern anders zu verfahren; auch
wo ich fie auf die engen Grenzen menfchlichen Begreifens
und ihrer befonderen noch unreifen Erfahrung hinweife,
ift es mein Bemühen, in ihnen ein inneres Erkennen und Anerkennen
diefer Schranken zu erwecken. Sollte das nicht
möglich fein, fo bleibt nichts übrig, als auf zukünftige
Erfahrung und richtige Entfcheidung zu verweifen und zu
hoffen. Aber Erziehung zur (fittlichen) Autonomie und
durch Autonomie muß unfer Leitftern fein.

R. hat feine Hauptthefs unterbaut durch eine religi-
onsphilofophifche Orientierung, die den genauen Kenner
unferer neueren Philofophie bekundet (vgl. fein Bändchen
,Philofophie' in der Teubner'fchen Sammlung Natur u.
Geifteswelt), und hat fie begründet durch eine Darfteilung
der ,Religionspfychologie des erwachfenen Schülers' in
der er die Ergebniffe der modernen Jugendpfychologie
(Starbuck, James) mit befonnener Kritik benutzt. In der
.Methodik' befchreibt er dann das .induktiv-pfychologifche'
Verfahren; er will zeigen, welche ,Einfühlungsmöglichkeiten'
für Religion (als das zufammenfaffende und höchfte Werturteil
) zu gewinnen find von den verfchiedenen Provinzen
des Geifteslebens aus (Naturgefühl, foziale Gefühle, Moral,
Kunft, Wiffenfchaft). Diefer Propädeutik und Apologetik
foll noch eine befondere thetifche Darfteilung des chrift-
lichen Glaubens (etwa im Sinne Herrmanns) folgen. Aber
man kann doch fragen (und Matthes hat fo gefragt),
ob die Zeit reicht zu fo forgfältiger Propädeutik und ob
eine fo ausführliche befondere Apologetik unfern Unterricht
nicht in eine fchiefe Stellung bringe, als bedürfe fein
Gegenftand der Verteidigung. Darauf wäre zu fagen:
R.'s Warnung vor dem Hiftorizismus ift fehr berechtigt,
unfere Primaner find für Probleme der Gegenwart im
Durchfchnitt viel mehr intereffiert als für die Gefchichte;
fodann: Apologetik ift an fich kein Armutszeugnis, es
kommt auf den Geift an, in dem fie getrieben wird, und
der ift bei R. zuversichtlich und tapfer; endlich: wer einen
befonderen propädeutifchen Gang ablehnt, kann doch aus
R. lernen, in der Kirchengefchichte oder Glaubenslehre
wirkfame, pofitive Apologetik zu treiben, indem er zeigt,
wie alle Werte des Geifteslebens in die Religion als den
höchften zufammenfaffenden Wert münden.

Hannover. Schufter.

Referate.

Demmler, Thdr.: Die Grabdenkmäler des wiirttembergifchen Fürften-
hauies und ihre Meister im 16. Jahrb. (Studien zur deutschen
Kunstgeschichte, 129. Heft.) (XXI, 148u.39S.m. 30 Taf.) Lex. 8».
Straßburg, J. H. E. Heitz 1910. M. 14 —

Lange genug hat Janffens Thefe, daß die Reformation das
Geistesleben und die Kultur gefchädigt habe, die Geifter beherrscht
. Noch S. 21 der 13. Aufl. des 6. Bandes feiner Gefch.
des deutfchen Volkes etc., die Paftor beforgte, ift zu lefen: ,Das
ganze Kunftleben nahm faft mit einem Schlag ein Ende. . .. Die
religiöfe Umwälzung konnte eine direkt kunstfeindliche Art nicht
verleugnen'. Für die Mußk in Württemberg hat Ref. in der Gefchichte
der Hofkapelle von 1550—1657 in den württembergifchen
Vierteljahrsheften 1898 bis 1912 das Gegenteil nachgewiefen. Für
die bildenden Künste aber bietet Dr. Theod. Demmler, der einstige
Stiftsrepetent und jetzige Direktorialaffiftent der Mufeen in Berlin,