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Ausgabe:

1914

Spalte:

111-112

Autor/Hrsg.:

Greving, Joseph (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Reformationsgeschichtliche Studien und Texte. Heft 21 und 22 1914

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Seite 1

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III

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 4.

nommen habenl. Doch foll daraus dem Verfaffer kein
Vorwurf gemacht werden.

Bonn. Horten.

Reformationsgeichichtliche Studien und Texte, Hrsg. v. Prof.
Dr. Jofeph Greving. Heft 21 u. 22. Briefmappe.
1. Stück, enth. Beiträge v. G. Bufchbell, F. Doelle, J.
Greving, W. Köhler, L.Lemmens, J. Schlecht, L. Schmitz-
Kallenberg, V.Schweitzer, I.Staub,E.Wolff. (VIII,284S.)
gr. 8°. Münfter i. W., Afchendorff 1912. M. 7.20

Mit Freuden ift die Sammlung von Briefen der Vertreter
des alten Glaubens in der Reformationszeit zu begrüßen
. Ift fie doch das Angeld auf das manchfach, auch
vom Ref. ThLZ. 1908, Nr. 16 als Bedürfnis nachgewiefene
Corpus Catholicorum. Der Titel Briefmappe ift eigenartig
, die Anordnung nach den Bearbeitern etwas unfachlich
unbequem. Die chronologifche oder die nach
Autoren wäre vorzuziehen. Doch helfen drei gute Regifter
diefem Mangel ab. Der Ernft, mit dem die Aufgabe
angefaßt wird, ift nicht zu verkennen. Der Wert der
Briefe für die Zeitgefchichte wird anerkannt. Als Endziel
gilt ,rückhaltlofe Förderung der Reformationsgefchichte';
auch ,Mitarbeit von andersgläubigen Fachgenoffen' wird
willkommen geheißen. Nüchtern ift die Kritik, z. B. an
v. Guliks Gropperbiographie, forgfältig die Einleitung, die
Textbearbeitung und die Erläuterung, wenn auch nicht
immer gleichwertig.

Z. B. gegenüber der biblifchen Beweisführung der Franziskaner zu
Celle S. 112, wo der Zusammenhang die von Lemmens nicht feftgeftellten
Verfe fordert Mat. 28, 18 ff. Marc. 16, 15. Luc. 24,47. Mat- 10, 9 ff. Marc.
6,8. Luc. 10,4. Act. 2,42f. 4,32. Gal. 2,10. Rom. 15,15—24. I Cor.
16, 1, 2. 2 Cor. 8,2—15. Joh. 16,33. 1 Jon- 2> '5—'7- 1 Sam. 10, 10.
19,20—24. 1 Reg. 18,13. 2 Reg. 4, 1, 8, 38. Num. 6, 2ff. Act. 2,3, 4.
4,8,32fT.

Verheißungsvoll ift die Nachricht, daß der Carteggio
Farnesiano in Neapel annähernd 2000 Faszikel enthält,
von denen erft 400 katalogifiert find. Der Gewinn für die
Ref.G. ift nicht gering. Hervorzuheben ift die Korrefpon-
denz Ecks, feine Bemühung um die Bulle Exsurge domine,
feine Gefahren bei ihrer Veröffentlichung — er ift auf
dem Wagenhals umhergeritten —, das in Rom doch wohl i
gedruckte Verzeichnis der libri erronei Luthers, fein freimütiges
Urteil über Bifchöfe und Papft S. 215. Ganz 1
befonders merkwürdig ift fein Schreiben an Paul III, dem
er fich rühmt als primus in laboribus pro fide et honore
sedis apostolice, aber auch zuruft: ne postremus habear |
in premio. Denn est verecundia sedi apostolice, tot in- 1
doctos, plures etiam semiluteranos, infarcire preposituris I
et Eckium egere. Sehr merkwürdig ift die Charakteriftik
Ecks durch Gervafius Wain (S. 160). Den Eidgenoffen I
gegenüber nennt fich Eck einen armen Pfaffen, aber
ftolz urteilt er S. 153 über den Landpfarrer, der mit Kühen
und Schweinen umgeht (Geypfaffen), und über Luther, den
.ohnmächtigen Mönch, der ganz Deutfchland zu Ketzern
und Schismatikern zu machen droht' (S. 215). Jämmerlich
ift der Eindruck von Cochläus, der fich gegenüber
dem Sekretär des Nepoten Alex. Farnefe in unwürdiger
Weife wegwirft, fich homuncio infimae sortis nennt und
dagegen den Nepoten wie einen Heiligen in den Himmel
erhebt (S. 251), und doch verdient der ehrliche, gelehrte

1) Die arabifchen Ariftoteliker (X) haben die Ewigkeit der Welt
nicht im Sinne des Arifloteles behauptet (vgl. Horten: Ringfteine Farabis
S. 301 ff.). Daß zwifchen dem Koran und diefer Lehre keine unüber-
fteigbare Kluft befteht (8, 8 unt.), war die fefte Überzeugung der islamifchen
Philofophen. S. 12, 16 fteht Gewohnheit für gewohnheitsmäßiges Wirken
Gottes. Durch die Erleuchtungstheorie (36 A. 2) wird die Unterfcheidung
zwifchen Theologie und Philofophie nicht unmöglich gemacht; denn die
Offenbarung beruht auf einer ganz anderen Erleuchtung als das natürliche
Erkennen. Beide find wefentlich verfchieden (vgl. Horten: Texte zum
Streite zwifchen Glauben und Wiffen im Islam; Bonn 1913). Die arifto-
telifchen Lehren galten für die Philofophen des Islam durchaus nicht als
endgültige Entfcheidungen (28, I unt.). Sie werden vielfach korrigiert und 1
weitergebildet. Einen Autoritätsglauben gibt es bei den islamifchen Phi- I
lofophen nicht.

Eiferer um Rom Mitleid, z. B. bei feinem Mißgefchick
nach des Herzogs Georg Tod (S. 98). Lehrreich ift der
Widerftand der Klöfter in Braunfchweig, Winfen und
Celle gegen die Reformation, die gereizte Stimmung der
Bürgerfchaft gegen die Mönche in Braunfchweig, koftbar
der Syllogismus der Celler Brüder: die 4 Evangeliften
find fterbliche Menfchen, alle Menfchen aber find lügen-
haftig, alfo haben die evg. Prediger zu beweifen, daß den
vier Evangeliften mehr zu glauben fei, als dem Evangelium
Nikodemi oder Bartholomäi (S. 114). Schön ift die
Ermahnung Groppers zur Treue in Seelforge und Predigt
(S. 128). Den um die Kurie hochverdienten einftigen
Legaten Kardinal Morone als verdächtigen Ketzer in langer
Haft zu fehen, überrafcht. Wer die Verzweifler und Hell-
kreutzer in Ecks Ketzerkatalog (S. 158) find, verdient
weitere Nachforfchung. Dem ganzen Unternehmen aber
Glückauf!

S. 34. Zu B. Leyckam vgl. Schornbaum, Kafimir 147 Anm. 35.
ARG 4,404. S. 43. Matth. Judicis wohl der fpätere Flacianer Judex.
S. 62 Casale wohl der fpätere Bifchof von Leirla Casp. C. S. 96. Der
neue Pfarrer von Überlingen ift der eifrige, gelehrte Verteidiger der alten
Kirche in Geislingen Dr. Ge. Oswald ZKG. 1900, 89. Zu G. Wain S. 159
vgl. Bl. f. wurttb. KG. 1894, 53 S. 221. Zu dem Domprediger in Barns
berg, der contumax ift, d. h. nichts nach dem Bann fragt, vgl. Kropat-
fcheck, Joh. Dölfch von Feldkirch S. 40. S. 228 frater Leonardus ift
Reiff, Beyer, RE. 163, 555. S. 230 Auftrafien ift nicht Öfterreich, fondern
das merowingifche Auftrafien. S. 12 Z. 5 v. u. in kumer fchlagen =
fequeftrieren. Grimm, D. W. 5, 2594. S. 16 Z. 3 veringe = Wegfuhrung,
Verhaftung vgl. vorveften S. 17 Anm. I, S. 257 certi zuverläffige Leute.

Stuttgart. G. Boffert.

M ei Bing er, Lic. Karl Auguft: Luthers Exegele in der Frühzeit
. (VII, 86 S.) 8°. Leipzig, M. Heinfius Nachf. 1911.

M. 2.75

Meißingers Arbeit ift auf fehr foliden und forgfälti-
gen Einzelftudien aufgebaut, methodifch und fachlich
gleich zuverläffig. In der Formulierung feines kritifchen
Urteils über Leiftungen der vorangegangenen Forfchung
läßt er freilich manchmal den Refpekt vermiffen, den
verdiente Forfcher auch dann beanfpruchen dürfen, wenn
fie geirrt haben. Und der Hinweis auf die der Forfchung
noch harrende Fülle von Aufgaben ift wohl etwas plero-
phorifch ausgefallen. Aber hier mag M. fpäter zurückhaltender
werden. Und jedenfalls kann er für fich in
Anfpruch nehmen, auf Mängel, Lücken und neue Aufgaben
hingewiefen zu haben. Seine textkritifchen Ver-
befferungsvorfchläge nicht nur zur Ausgabe der erften
Pfalmenvorlefung Luthers in WA, fondern auch zu der befonders
forgfältigen Fickerfchen Ausgabe des Römerbriefkommentars
Luthers verdienen alle Beachtung. Ebenfalls
feine Ergänzung der Bibelzitate in der Ausgabe der
Pfalmenvorlefung. Kawerau felbft, dem leider M. zuweilen
unbillig begegnet, wäre der letzte, dies zu beftreiten. Die
Lutherforfchung ift durch M.s Arbeit erheblich gefördert
worden und wird wohl noch manche wertvolle, gelehrte
Unterfuchung von M. erwarten dürfen.

Aus dem Inhalte des Buches fei folgendes herausgehoben
. Als Exeget ift Luther kein Gelehrter. Er reicht
weder an Faber, Erasmus und Melanchthon noch an Lyra
und Paul von Burgos heran. Seine Exegefe ift ganz überwuchert
von dogmatifchen und erbaulichen Intereffen.
Seine Arbeitsweife wird charakterifiert durch einen felt-
famen Wechfel von Feinarbeit und Flüchtigkeit. Anfänglich
hat er noch die Vulgata dem Urtext vorgezogen.
Aber fchon in den fpäteren Partien der Pfalmenvorlefung
wird er kritifch gegen die Vulgata, vollends in der Römer-
briefvorlefung, der graecus ift von vornherein Autorität.
Es bedurfte kaum mehr eines Erasmus, um das Anfehen
der Vulgata zu fchwächen. Die griechifchen Kenntniffe
Luthers find dürftig. Als Grundsatz hat zu gelten, fie
möglichft reftlos aus fekundären Quellen abzuleiten. Ohne
eigene Kenntniffe des Hebräifchen hat er doch die durch
Reuchlin gebotene Gelegenheit zur Verbefferung und Verdeutlichung
der überkommenen Überfetzung benutzt. Mit