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Ausgabe:

1914 Nr. 4

Spalte:

101-102

Autor/Hrsg.:

Anneler, Hedwig

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte der Juden von Elephantine 1914

Rezensent:

Beer, Georg

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101

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 4.

102

So gut die Darlegung des Tatbeftandes ift, fo hätte
ich gewünfcht, daß fich der Verfaffer nicht mit ihr begnügt
, fondern auch die innern Gründe aufzudecken ver-
lucht hätte, die zu diefem Wandel in Schätzung und Dar- |
bringung der Mahlopfer geführt haben. Daß der Verfaffer 1
diefe Opfer zufammenfaffend mit Vorliebe als ,Dankopfer' j
bezeichnet, ift übrigens kein fehr glücklicher Ausdruck.

Im Einzelnen hätte ich zur Quellenbehamllung von Lev. 19, 5—8
22,29 t. (S. 23) fowie zur Behauptung einer Verbindung von Opfermahlen
mit den regelmäßigen Morgen- und Abendopfern der Königszeit (S. 7)
ein Fragezeichen zu machen. Am Verföhnungstag werden nach dem
Gefetz (Lev. 16, 5 Kum. 29,8) nicht 2 (S. 9), fondern es wird nur 1
Widder dargebracht; auch die Zählung von 3 Ziegenböcken für diefes
Feft (S. 11) verliehe ich nicht. I Sam. 1,24 (S. 27 oben) ift ficher
ibr- nE zu lefen (f. LXX und vgl. Gen. 15,9). Zur Erklärung des
Nafiräeropfers (ad p. 15) darf ich jetzt wohl noch auf meine Biblifche
Theologie (Stade II S. 53) verweilen.

Tübingen. Alfred Bertholet.

Anneler, Dr. Hedw.: Zur Gelchichte der Juden von Elephantine.

Buchfchmuckv.KarlAnneler. (VIII, 155S. m.Abbildgn.)
gr. 8°. Bern, Akademifche Buchh. v. M. Drechfel 1912.

M. 6.45

Eine anziehende und fleißige, gelehrte und gründliche
Studie ift diefe von Marti in Bern angeregte Arbeit über
die Schickfale, die innere Entwicklung und den Urfprung
der durch die Funde feit 1904 uns näher gerückten Judengemeinde
in Elephantine.

Erfahren wir über diefe jüdifche Filialgemeinde auf
ägyptifchem Boden fchon mancherlei durch die Skizze,
welche Sachau feiner bekannten Textpublikation 1911
S. XIff. beigefügt hat und hat dann insbefondere Ed.
Meyer durch feine, der Verfafferin erft nach Fertig-
ftellung ihrer Arbeit bekannt gewordene Schrift ,Der
Papyrusfund von Elephantine 1912' das gefchichtliche und
kulturgefchichtliche Verftändnis der Texte gefördert, fo j
erhalten wir durch die Abhandlung unferer gelehrten Dame
noch allerlei anregende und wertvolle Beobachtungen.
Der Stoff ift gefchickt geordnet. Ein L Kapitel befchäftigt
fich mit Lage, Bedeutung und Bevölkerung Elephantines
und Affuans. Das II. Kapitel fucht die Stellung der Juden
innerhalb der Gefamtbevölkerung von Elephantine-Affuan
zu beftimmen. Die Juden gehörten ,zur militärifchen Bevölkerung
von Elephantine' (S. 52). Befonders anziehend
ift die Schilderung, die in Kap. III dem Innenleben der
jüdifchen Gemeinde gewidmet ift. Der offizielle Gott des :
jüdifchen Heeres' — fo nennt bekanntlich felbft fich die !
jüdifche Kolonie — ift Jaho (S. 88). Vielleicht denkt die
Verfafferin über den Monotheismus jener ägyptifchen
Juden zu rofig! Nicht minder intereffant ift die Stellung
der Judenfchaft von Elephantine zu dem übrigen Judentum
, insbefondere zu dem im Mutterland Paläftina, Kap.
IV, gezeichnet. Wir erfahren beim Elephantiner Jahu-
tempel nichts von Afcheren, Maffeben und Qedefchen,
die zum Inventar des vorexilifchen Jerufalemer Tempels
gehörten — und trotzdem hatte für die paläftinifchen
Juden das ägyptifche Jahweheiligtum keine volle Gültigkeit
(S. 95). Wir nähern uns dem intereffanteften Teil der
Schrift, einer Unterfuchung über die Entftehung der jüdifchen
Kolonie von Eleph. (Kap. V) und einer kurzen
Darftellung ihrer Gefchichte (Kap. VI). Fräulein Anneler
weiß ihre Argumente gut zu arrangieren, fo daß fich der
Schluß aus ihnen ergibt, daß die jüdifche Kolonie zvvifchen
585—570 entftand (S. 116). Sie wurde von Teilen der
Flüchtlinge gegründet, die Jer. 44,1 f. nach 586 unter ge-
waltfamer Mitnahme Jeremias nach Ägypten wanderten.
Nach Jer. 44, 1 wurden jene Flüchtlinge inMigdol, Daphne,
Memphis und im Lande Patros angefiedelt. ,Alle 3 Städte
find als Feftungen bekannt.' Patros ift Oberägypten.
Höchftwahrfcheinlich feien daher andere Teile in der
Feftung Elephantine in Oberägypten angefiedelt worden.
Wir müffen abwarten, ob die auch von anderer Seite
befürwortete Gründung der Judenkolonie in Elephantine

bald nach 586 fich auf die Dauer behaupten wird. Es
fpricht ja in der Tat gar manches dafür! Gewiß ift auch,
daß die Zerftörung des Jahwetempels in Elephantine im
Jahre 411/410 der Anfang von dem Untergang der jüdifchen
Kolonie dafelbft gewefen fein wird. 404 hörte die
perfifche Herrfchaft in Ägypten auf — mit ihr erlofch
wohl auch das Leben der Judengemeinde in Elephantine,
die feit 525 unter befonderer Hut der perfifchen Regierung
geftanden hatte.

Heidelberg. Georg Beer.

Clemen, Prof. D. Dr. Carl: Die Entftehung des Johannesevangeliums
. (VIII, 493 S.) gr. 8°. Halle, M. Niemeyer
1912. M. 14 —

Es ift auf den elften Blick eine energifche Verteidigung
der Einheit des Johannesevangeliums bis faft
zum letzten Buchftaben gegenüber allen modernen Be-
ftreitungen, die Clemen hier bietet. — Selbft der weithin —
auch von einem fo entfchloffenen Bekämpfter der neueften
Phafe der johanneifchen Kritik wie Arnold Meyer — zu-
geftandenen unfchuldigen Annahme eines Glofiators, durch
welche man doch das Evangelium von fo manchen Unebenheiten
und Unftimmigkeiten mit leichter Hand fäu-
bern kann, wird das Lebenslicht ausgeblafen. Nur mit
äußerftem Widerftreben und auch da zum Teil nur halb
wird an wenigen Stellen (vgl. zu 10,6 5,28. 29) die Möglichkeit
einer Gloffe zugeftanden.

So drängt fich die Annahme einer Gloffe doch für 11,2 (über Maria
von Bethanien) förmlich auf (beachte auch, was Cl. nicht bemerkt, das
Vorkommen von xvQiog in diefem Vers, das in den Kapiteln vor der
Auferftehung fonft im Johannesevangelium nicht nachweisbar). Aber
Clemen urteilt (S. 204), daß die Annahme einer Gloffe wenig wahr-
fcheinlich fei, weil alle Textzeugen mit Ausnahme eines (Andreas von
Kreta) den Vers in Zufammenhang bezeugten! Daß die von vielen Seiten
beanftandeten Sätzchen, 6,39. 40. 44. (54) (ävaari/aa) airtöv iv rj? toyaxq
rjfieQa) aus fachlichen und aus formalen Gründen nicht recht in den Text
paffen, gefleht Cl. zu, aber ,das ift bei dem fonftigen Stil des Evangeliften
noch kein genügender Grund''. Schwartz' und meine Befeitigung der geo-
graphifchen Unmöglichkeit von 1,28 (Bethania jenfeits des Jordan) durch
Annahme eines Gloffators, der durch flüchtige Lektüre von 10,40ff diefe
Schwierigkeit erft gefchaffen, wird mit dem Machtfpruch .vollends unglaublich
' abgelehnt (S. 66). Dabei hat Clemen die Begründung, die ich
diefer Thefe gegeben: ich nehme an, daß der Irrtum aus 10,40-f- 11 1
entftand und lege auf 11,7 keinen Wert — nicht genügend berü'ckfichtig't;
4,8 fleht an unrichtiger Stelle, in der Syra Sinaitica ift er vor 4,7 ge-
ftellt. Clemen gibt zu ,die Angabe ift nachgetragen'. „Aber braucht das
erft durch einen Späteren gefchehen fein?" (S. Iii). Gewiß nicht, wenn
man wieder und wieder in Johannes einen außerordentlich nachläffigen
Schriftfteller erblickt. Nur ift die Annahme einer Randbemerkung, die
dann an verfchiedenen Stellen in den Text geraten ift, eben wahr-
fcheinlicher. So haben mich auch die Ausführungen zu 1,24 (S. 60);
4,1—2, (teilweife außerordentlich fchwer verftändlich, namentlich S. 109I
nicht überzeugt.

Um die Einheit der Schrift fo durchweg zu behaupten
, arbeitet der Verfaffer mit immer wiederkehrenden
Motiven. Eine Hauptrolle fpielt hier vor allem der Hinweis
auf den ,törichten' Redaktor, den die Kritiker anzunehmen
gezwungen feien. Wieder und wieder erhebt er
die Frage, ob man denn diefen hellen Unfinn einem Bearbeiter
zutrauen könne, oder die andere, ob diefe und
jene Unftimmigkeit nicht auch ebenfogut dem Verfaffer
zur Laft gelegt werden könnte (vgl. z. B. S. 102. 158.
170. 172. 261. u. s. f.) Es ift gewiß berechtigt, gegen die
Art, wie bei kritifchen Operationen dem Redaktor unbe-
fehen alle Torheit und jeglicher Unverftand aufgebürdet
werden, zu proteftieren. Aber man darf dies Motiv auch
nicht zu Tode hetzen. Denn das ift doch nun wieder
ficher, daß in vielen Fällen von Unftimmigkeiten die Annahme
einer Bearbeitung, namentlich einer gloffierenden
Bearbeitung, deren Bemerkungen man fich an den Rand
gefchrieben zu denken hat, leichter ift, als die einer exorbitanten
Nachläffigkeit des Verfaflers, — und namentlich
dann, wenn derartige Beobachtungen fich häufen. So
kommt dabei heraus, daß Clemen es mit der Pfychologie
eines etwa anzunehmenden Redaktors fehr genau nimmt,
dem Evangeliften aber die gröbften Widerfprüche und