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Ausgabe:

1914

Spalte:

83-88

Autor/Hrsg.:

Vogt, Johann Gustav

Titel/Untertitel:

Der absolute Monismus. Eine mechanist. Weltanschauung auf Grund d. pyknot. Substanzbegriffes 1914

Rezensent:

Beth, Karl

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Theologifcke Literaturzeitung 1914 Nr. 3.

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die Erfahrung und den ganzen Reichtum ihrer konkreten
Geftaltungen eintritt, der aber doch ebenfo nachdrücklich
über das bloß Gegebene und Vorzufindende hinausftrebt,
als ein folcher alfo, der mit heißer Liebe zur Empirie die
glühende Sehnfucht nach dem Überempirifchen zu verbinden
weiß und der demgemäß dazu anleitet, diefes
doppelfeitige Intereffe auch in der wiffenfchaftlichen Bearbeitung
von Religion und Sittlichkeit methodifch zur
Geltung zu bringen.

Mit diefem Auffatz über James, den übrigens Carl
Bornhaufen mit einigen Kürzungen in trefflicher Über-
fetzung in der Chriftl. Welt (1913, Sp. 122 ff.) wiedergegeben
hat, ftellt nun Royce vier weitere Abhandlungen
zufammen, die er gleichfalls dem Begriff der Lebens-
philofophie unterordnet.

Die U berfchriften lauten: II. Zuverläffigkeit (loyalty) und Einficht;
III. Was gehört zum Wefensbeftand (vital) des Chriftentums ?; IV. Das
Problem der Wahrheit im Licht der neueren Diskuffion; V. Unfterblichkeit.

Royce, der gerade neueftens durch feinen Beitrag zu |
der Windelband-Rugefchen .Enzyklopädie der philofophi-
fchen Wiffenfchaften' (ElfterBand: Logik, Tübingen, 1912)
auch in Deutfchland bekannter geworden ift, gilt als Vertreter
der neuhegelfchen Schule. Seine Zugehörigkeit zu
diefem Kreife oder noch beffer feine Herkunft aus diefem
Kreife verleugnen denn auch die genannten Abhandlungen
nicht. Am ftärkften tritt fie hervor, wenn am Schluß
von IV (S. 253) die Grundtendenz der Lebensphilofophie
in das Gebetswort gefaßt wird: Gib unferm Tun logifchen
Gehalt (make our deeds logical). Hier fchimmert die
Hegelfche Betrachtung durch, die Subftanz des Geiftes fei
logifches Sein. Aber wie Royce neben diefe logiziftifche
Faffung als gleichwertig eine ganz voluntariftifch geprägte
Hellen kann, fo bemüht er fich überhaupt aufs eifrigfte,
die Einfeitigkeiten des Hegelfchen Standpunktes möglichft
zu vermeiden und die Wahrheitsmomente des Voluntarismus
fruchtbar zu machen. In diefer Weife übt er —
befonders in II und IV — eine ebendeshalb vielfach fehr
treffende und förderliche Polemik gegen den reinen Pragmatismus
und feine Verkennung der Bedeutung der transzendentalen
Frageftellung, die fich nicht mit dem begnügt,
was jeweilig für einzelne empirifche Individuen oder Individuengruppen
gilt, fondern von der Empirie aus und
durch die Empirie hindurch das Überindividuelle und
Überempirifche zu faffen fucht. In V gibt Royce in der
Auseinanderfetzung mit Münfterberg eine fehr beachtenswerte
Behandlung des Zeitproblems. Die für Theologen
befonders intereffante Abhandlung über das Wefen des
Chriftentums läßt auch befonders deutlich fowohl die
Mängel wie die Vorzüge der Roycefchen Pofition hervor- I
treten. Die Mängel in der ftark rationalifierenden, die I
lebendige Religion vielfach rationaliftifch vergewaltigenden
Einzelbehandlung, die als Grundbegriffe des Chriftentums
die Dogmen von der Inkarnation und vom Sühnetod
Chrifti in den Mittelpunkt ftellt. Die Vorzüge in der
programmatifchen Einficht, daß es letztlich nicht auf be-
ftimmte traditionelle Lehren oder Begriffe ankommt, fondern
auf ihren religiös wirklich entfcheidenden Gehalt: to grasp
the religiously significant spirit (S. 170). Mit diefem ganz
im Sinne von James konzipierten und konfequenter Weife
zur religionspfychologifchen Methode führenden Grundfatz
wirklich Ernft zu machen, hindert aber Royce noch der
zu ftarke Hegelfche Einfchlag feines Denkens.

Breslau. Georg Wo bb er min.

Vogt, J. G.: Der abfolute Monismus. Eine mechanift. Welt-
anfchaug. auf Grund des pyknot. Subftanzbegriffes.
Mit erläut. Dluftr. (XIII, 613 S.) Lex.-8°. Hildburghaufen
, Thüringifche Verlagsanftalt, 1912.

M. 6—; geb. M. 7.50

Der Londoner Phyfiker Johann Guftav Vogt hatte
1909 ein kleineres Buch .Realmonismus' erfcheinen laffen,
das er heute zum Teil für unzulänglich hält. Er bekennt,

erft in dem uns vorliegenden neuen Werke den letzten
dualiftifchen Staub von feinen Füßen geschüttelt und fich
zum abfoluten Monismus durchgerungen zu haben, einem
Monismus, der nach des Verfaffers wiederholter Ver-
ficherung gegen die ,naive Mechaniftik' ebenfo wie gegen
den als pure Negation zu verurteilenden Materialismus
Stellung nimmt Da wären wir wohl berechtigt, auf
Großes gefaßt zu fein, zumal der Verfaffer auch ankündigt,
daß die ganze Biologengeneration feit Goethe und mit
Darwin an der Spitze nunmehr gänzlich im Hintertreffen
bleiben muß, da fchon Goethe den Fehler aller Idealiften
beging, das Innere der Natur in einer anderen als der
phyfifchen Welt zu fuchen, ftatt ins .Innerfte' der
Natur wirklich hineinzufchauen, und da die Späteren ohne
Ausnahme an den äußeren Symptomen des Lebens und
der Entwicklung klebten. Es fcheint fonach, als wolle
diefes Buch uns das Wefen alles Gefchehens enträtfeln
und den innerften Kern der Welt enthüllen. In der Tat,
nichts Geringeres wird beabfichtigt, und es ift beftechend,
wenn wir alsbald zu hören bekommen, der Intellekt refp.
das Intellektualvermögen mit allen feinen Variationen fei
der Produzent fämtlicher Lebensfunktionen — eine Anti-
mechaniftik, die auf keinen Fall dualiftifch werden darf,
fondern ftreng moniftifch bleiben foll, fo daß nun erft
der Intellekt reftlos in dem allgemeinen Mechanismus eingebettet
gedacht werden muß. Wie das gefchieht, muß
ein Blick auf den Gang der Darfteilung des Buches erklären
. — Das Buch zerfällt in zwei an Seitenumfang
fehr ungleiche Teile: I. Die anorganifche Welt (bisS. 164),
II. Die organifche Welt. Der I. Teil geht von einer
neuerlichen Darlegung des pyknotifchen Subftanzbegriffes
und der Idee des Subftanzmonismus aus und behandelt
das mechanifche Gefchehen innerhalb der organifchen
Welt und ihrer Prozeffe. Dabei wird der Verfuch gemacht
, immer auf die primären Erfcheinungen zurückzugehen
und nicht bei der Betrachtung der zunächft un-
feren Blicken fich darbietenden, in Wirklichkeit jedoch
als fekundär zu beurteilenden Tatfachen und Prozeffe
flehen zu bleiben. Daß bei diefer Methode das gefamte
Weltgefchehen als ein fyftematifch.es Ganzes aufgefaßt
wird, ift durchaus berechtigt. Der Äther, die Genefis
der Elemente, der Kometen und der Milchftraße, die
Gravitation, der Vulkanismus, der Chemismus, die Radioaktivität
, die Elektrizität werden zwar nacheinander, aber
in Zufammenhang miteinander als integrierende Teile des
einen großen Entwicklungsprozeffes der getarnten Welt
befprochen. Die Stärke Vogts bei der Darfteilung diefes
Gefamtentwicklungsprozeffes und feiner Teile befteht
darin, daß er mit Bewußtfein und Vorfatz darauf verzichtet
, bloß Empiriker zu fein. Er hebt fich von denen
ab, welche die vergleichende Abwägung von Tatfachen
und die Erklärung von Vorgängen aus der Empirie ab-
zulefen vermeinen. Es ift anerkennenswert, daß V. verlangt
, wer den Weltprozeß verliehen lernen will, müffe
Philofoph fein. Die primären Vorgänge, die dem Beobachtungsmaterial
zugrunde liegen und nicht finnenfällig
gegeben find, zu ergründen, das ift nach V. eine ,philo-
fophifche' oder Spekulative' Aufgabe. Das Primäre, das
Vogt entdeckt hat, ift die pyknotifche Subftanz. Er
ftellt fich mit diefem Begriff auf die Seite derer, welche
für die Materie eine gleichmäßige kontinuierliche .Flüffig-
keit' als Grundfubftanz poftulieren, und er lehnt den kine-
tifchen Subftanzbegrift mit feiner Annahme von diskreten,
gefonderten feften Teilchen ab. Ebenfo wenig wie
Bewegung kommt der Subftanz an fich Wärme, Gravitation
, Chemismus, Elektrizität zu. Diefe Erfcheinungen
gehen vielmehr letztlich alle auf ,die einzige letzturfäch-
liche mechanifche Betätigungsform der Subftanz' zurück,
auf die Verdichtungsenergie. Mittels diefes Subftanzbegriffes
meint Vogt den fonft unvermeidlichen dualiftifchen
Anfatz, den alle empirifch-phyfikalifchen Subftanz-
begriffe haben, auszufchließen. Er will gegenüber diefen
Theorien, die mit der lediglich durch mechanifche Kräfte