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Ausgabe:

1914

Spalte:

82-83

Autor/Hrsg.:

Royce, Josiah

Titel/Untertitel:

William James and other Essays on the Philosophy of Life 1914

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 3. 82

der Metaphyfik des Unendlichen' (29—45), ,Freiheit und 1 und der charakteriftifchen Eigentümlichkeiten der GeGewißheit
' (46—90), ,Die Gottheit' (91 —119), ,Theodicee,
Sündenfall und Unfterblichkeit' (120—148), gibt F. eine
lichtvolle ^ und treue Darfteilung der Grundgedanken
Renouvier's, deren Schwierigkeit durch eine holperige,
aller Eleganz abholde Sprachweife wefentlich erhöht wird.
Eine aus dem Verftändnis des innerften Zufammenhangs
des Syftems erwachfene ,Beurteilung' bildet den Abfchluß
jeden Abfchnitts. Diefe höchft fcharffinnige an den einzelnen
Ausführungen geübte immanente Kritik faßt F. in
einem Schlußkapitel zufammen, in welchem er über Renou-
vier ein Gefamturteil begründet, das Ref. in feinen Grundzügen
für unanfechtbar hält und das fragelos den letzten
Kern des durch den Namen Neokritizismus nur unzutreffend
bezeichneten Syftems viel richtiger getroffen und herausgearbeitet
hat als alle bisherigen Erklärer.

Vor allem ift es F. gelungen, eine fchwierige Frage
zu bewältigen und zu löfen, um welche eine Reihe von
Kritikern fich vergeblich bemüht haben. In einer wichtigen
Monographie hatte Seailles in der 1903 erfchienenen
Schrift Renouvier's Le Perfonnalisme einen Abfall von
den urfprünglichen Pofitionen des Neokritizismus erblickt
und die ,mythologifchen Ausfchreitungen' des alternden
Philofophen nicht ernft genommen, Diefes Urteil hatte
Arnal in feinem Buch La philosophie religieuse de
Ch. Renouvier 1907 (f. Theol. Litzeitg. 1908, Nr. 11) einfach
abgelehnt, ohne feinen Diffenfus irgendwie zu begründen
. Über diefes auch von andern Kommentatoren
eifrig behandelte Problem verbreitet F. ein willkommenes
und m. E. überzeugendes Licht, indem er die treibenden

dankenwelt R.'s nur Eines vermißt. Nirgends hat F. den
Namen des Laufanner Philofophen Charles Secretan erwähnt
. Würde der vor kurzem erfchienene Briefwechfel
der beiden Freunde zur Erklärung mancher Züge der
letzten Periode R.'s keinen Beitrag liefern? Ließe fich die
Wendung des Neokritizismus zum Perfonalismus nicht
auch z. T. aus Secretan's Anregungen erklären? Die
kühnen Hypothefen und Träume R.'s find vielleicht weniger
aus dem Wiedererftarken Saint-Simoniftifcher Neigungen
(161) als aus Reminiszenzen von Gefprächen mit dem
Freunde abzuleiten. Vielleicht dürfte von diefer Seite
her eine Ergänzung der intereffanten Mitteilungen und
der überzeugenden Ausführungen F.'s zu erwarten fein.

Diefe Ausftellung kann felbftverftändlich den Wert
der gründlichen und ergebnisreichen Unterfuchung des
Verf.s nicht beeinträchtigen. Wir möchten diefelbe be-
fonders auch einigen proteftantifchen Theologen franzö-
fifcher Zunge empfehlen; fie würden fich vielleicht klarer
darüber werden, daß die religiöfe Vertiefung der dog-
matifchen Überlieferung nicht auf dem von R. gewiefenen
Weg zu erreichen ift.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Royce, Prof. Josiah,LL.D., Litt. D.: William James and other
Essays on the Philosophy of Life. (XI, 301 S.) 8°. New

York, Macmillan Company 1911. s. 6.6

Über William James' Lebensarbeit haben wir jetzt
kritifche Darlegungen von den beiden gegenwärtigen VerFaktoren
und die letzten ausfchlaggebenden Gründe des j tretern der Philofophie an der Harvard-Univerfität: von

R'fchen Syftems analyfiert .Renouvier's Entwicklung ift ! feinem langjährigen Kollegen und Freund Jofiah Royce,
feit 1854 geradlinig verlaufen trotz der fchließlich erfolgten fowie von dem jüngeren Ralph Barton Perry. Letzterer
Verleugnung des Kant'fchen Einfluffes, weil fie niemals hat feinem Buch über die philofophifchen Strömungen der
ftreng neokritifch gewefen ift. Der Kant'fche Kritizismus Gegenwart (Present Philosophical Tendencies, New York
ift nicht die einzige, er ift nicht einmal die entfcheidende 1912) eine Skizze der Jamesfchen Philofophie beigegeben,
Grundlage des franzöfifchen Neokritizismus' (149). Zur j in der diefe in weitgehendem Maße für den von Perry
Begründung diefes Satzes behandelt F. noch einmal die i vertretenen und überhaupt zur Zeit in Nordamerika be-
Einflüffe, die für R.'s Entwicklung beftimmend waren: 1 liebten ,Neu-Realismus' in Anfpruch genommen wird. So
Comte's Pofitivismus, durch den R. zum Relativismus ! lehrreich Perrys Ausführungen im Einzelnen vielfach find,
bekehrt wurde, die mathematifche Methode Descartes', ! aufs Ganze gefehen werden fie m. E. den letzten Tendenzen
des Jamesfchen Denkens nicht gerecht. Dagegen
führt uns Royce wirklich in die letzte Tiefe der Geiftes-
arbeit des großen amerikanifchen Pfychologen.

Royces Gedächtnisrede über James — denn um eine
folche handelt es fich in dem erften Abfchnitt des vorliegenden
Buches — feiert James als einen der wenigen
typifchen und repräfentativen Denker, die Nordamerika
bisher aufzuweiten habe, den Dritten neben Jonathan
Edwards und Ralph Waldo Emerfon. Den allgemeinen
Rahmen, in den James hineinzuftellen fei, kennzeichnet
Royce durch die Begriffe des Entwicklungsgedankens und
der pfychologifchen Bewegung. Und zwar faßt er dabei
jenen im kritifch geläuterten Sinne, diefen aber nicht aus-
fchließlich im Sinne einer pfychologifchen Sonderdisziplin,
fondern in dem weiteren Sinne des pfychologifch orientierten
Denkens überhaupt. Auf diefer Bafis fieht dann
Royce das Spezififche bei James in doppelter Richtung,
einerfeits in der Richtung auf die religiöfe und religions-
philofophifche Stellungnahme, andrerfeits in der Richtung
auf das Ethifche. Dort ift es das energifche Fefthalten
der Religion felbft auf Grund der religiöfen Erfahrung,
unbefchadet der weitgehendften Kritik an allen religiöfen
Inftitutionen und Traditionen, hier die unbeirrbare Geltendmachung
einer teleologifch-optimiftifchen Weltanfchauung
bei aller Offenheit feines Wirklichkeitsfinnes für den
Jammer des empirifchen Lebens. Das nach beiden Seiten
hin übergreifende Moment diefer Pofition laßt fich in dem
Begriff zufammenfaffen, den James felbft als Titel einer
feiner Schriften geprägt hat: Wille zum Glauben. Von
hier aus wird auch James' Pragmatismus verftanden oder
— foweit das nicht möglich ift — verklart. So wird
James gefchildert als ein Mann, der zwar unerbittlich für

die tiefgehenden Anregungen Lequier's. Die fechs Haupt
punkte, in bezug auf welche R. feinen Zufammenhang
mit Kant behauptet, unterfucht F. in einer genauen Aus-
einanderfetzung, die zum Ergebnis führt, daß der der
deutfchen Sprache unkundige Franzofe nicht den Anfpruch
erheben kann, den Kant'fchen Kritizismus erfolgreich fortgebildet
und feinen Dualismus überwunden zu haben.
Abgefehen von diefer genetilchen Erklärung muß gefagt
werden, daß Renouvier die beabfichtigte Vereinheitlichung
philofophifcher Weltbetrachtung überhaupt nicht gelungen
ift. Nicht nur kommt er mit feinem konfequenten Phänomenalismus
nicht aus, fondern aus dem Phänomenaliften
wird fchließlich wiederum ein Metaphyfiker, ein Dogma-
tiker. Auch R.'s Freiheitsbegriff darf nimmermehr als ein
Fortfehritt über Kant bezeichnet werden; feine Willkür-
freiheit ift vielmehr fo wenig für die Ethik brauchbar als
tur die theoretifche Philofophie. — Das grundfätzlich
wichtigfte Ergebnis feiner Unterfuchung faßt F. dahin
zulammen, daß er den innern Widerfpruch des Relativis-
m'f und des Perfonalismus in R'.s Syftem bloßlegt. R.
gelangt lchheßhch zu einem relativiftifchen Monismus, der
aucn das Irrationale der individuellen Tat und der per-
lonlicfien Überzeugung rationalifiert. In dem R'fchen
Intellektuahsmus erblickt F. weniger eine Nachwirkung
Kants als einen beftimmten Einfluß der rationaliftifchen
Denkart des 18. Jahrhunderts. .Die praktifche Lebensfrage
der Religion verfchwmdet für R. ganz hinter der theo-
retifchen Frage der philofophifchen Welterklärung' (163).

Die fummanfche Wiedergabe der F'fchen Kritik läßt
die Gefchloffenheit und Kraft feiner Darftellung nur in
unvollkommener Weife zur Geltung kommen. Ref. hat
in diefer Unterfuchung der hiftorifchen Entftehungsgründe