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Ausgabe:

1914 Nr. 2

Spalte:

48

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Fritz (Bearb.)

Titel/Untertitel:

Inventare der evangelischen Pfarrarchive im Großherzogtum Hessen 1914

Rezensent:

Diehl, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 2.

48

prinzip' zu verknüpfen ift und wie der Thomismus in ; fochten; und daß der in das moderne Leben unferer
brauchbarer Weife nutzbar gemacht werden foll, wenn er j Tage geftellte Katholizismus auf den Thomismus fich
mit dem Ariftotelismus zufolge der Annahme der Unver- j ftützt und auf feine ,modernen' Gedanken fich beruft,
änderlichkeit der Form die Ewigkeit der Arten und die ' wird verftändlich. St.s Arbeit referiert wohl etwas trocken,
Unmöglichkeit einer Entwicklung der Arten behauptet. | unterftreicht die Freiheit der fittlichen Anfchauung des
Steinbüchel felbft fieht hier einen Mangel des Thomismus. ; Thomismus unzuläffig und ift darum auch im hiftorifchen
Wie aber der Grundgedanke des gefchichtlichen, nicht j Urteil nicht ganz ficher. Sie verdient aber Beachtung,
eines zurechtgefchnittenen oder moderner teleologifcher Tübingen. Scheel

Anfchauung angepaßten Thomismus bleibend wertvoll j-----_—!--------------1_

fein kann, wenn die ariftotelifch-thomiftifche Formenlehre, ! inventare der evangelifchen Pfarrarchive im Großherzogtum
die doch gerade den Zweckgedanken des Thomismus Heffen H y_ dem Großh 0berkonfiftorium. Bearb.
beftimmt, unhaltbar ift, bleibt unklar. Ues Verlallers . ,. ° „..,„ ,T

forgfältiges Referat über den Zweckgedanken in der v- Archivr. D. Fr. Herrmann. 1. Hälfte. (Inventare
thomiftifchen Naturphilofophie (S. 37—55) hat mich mehr | der mchtftaatl. Archive im Großh. Heffen. I.Bd.) (VIII.
denn je davon überzeugt, daß die thomiftifche Auffaffung j 528 S.) gr. 8°. Darmftadt, Großherzogl. Staatsverlag

von Ziel und Zweck .Mittelalter' ift und bleibt und über- i 1913. M. 6_

haupt nicht fähig ift, eine legitime Verbindung mit der ! ^ .. _ , . ... .

feit dem 16. Jahrh. allmählich fich durchfetzenden Wiffen- j . Das vorhegende Buch ift das Ergebnis fünfjähriger
fchaft einzugehen. Von ihr aus angefehen wird die arifto- ! intenfiver Arbeit auf dem Gebiete der auf Grund des
telifch-thomiftifche Entelechie mythologifch; und fie fteht ] Denkmalfchutzgefetzes von 1902 in Heffen-Darrnftadt ins

und fällt mit ihrer Sprödigkeit gegen den Entwicklungs- L- TYi Set;etenen kirchkchen Änd!npueT?> uEs ™ngl

- die Urkundenverzeichniffe der Hälfte der hefnfchen Pfarrgedanken
. Daß der Erkenntnistheoretiker Thomas der
Vergangenheit angehört, deutet fchließlich St. felbft an.
Auch die in den Ariftotelismus eingetauchte thomiftifche
Gefellfchaftslehre (St. S. 71—117) bleibt .mittelalterlich',

eien. Die erfte Anregung zur Inventarifation der hefnfchen
evangelifchen Pfarrarchive wurde im Jahr 1904 auf
der erften Hauptverfammlung der im Jahr 1901 ins Leben

und wahrt trotz der Ablenkung'vom Auguftinismus und getretenen Vereinigung für heffifche Kirchengefchichte
trotz der durch den Ariftotelismus bedingten pofitiven j von dem Mann gegeben, der - damals noch Profeffor
ethifchen Würdigung des .Natürlichen' das übernatürliche j an? Lehrermnenfeminar zu Darmftadt - jetzt als Archiv-
Recht des Katholizismus/was ja auch im Stufenbau des rat,und Grofflierzoglicher Haus- und Staatsarchivar den
Organismus der Zwecke und in der metaphyfifchen Be- ! vorlegenden Band herausgebracht hat Im Jahr 1908 nahm
gründung des Weltzwecks (St. S. 117-152) fich darftellt. i das Großherzogl. ^erkonfi

Daß der ariftotelifch-thomiftifche Staatsgedanke (Wohl- : d« Sarri?e » die Hand Es beftellte eine Reihe von heffi-
fahrts-, Rechts- und Kulturftaat) der modtrnen Staatsidee j fcnen Theologen als Urkundenpfleger und ordnete durch
prinzipiell nicht nachfteht(S. 108), ift eine falfche hiftorifche Ausschreiben vom,31. Marz 1908 ar^ daß die Kirchen-
Perfpektive, die auch durch die Verehrung des Thomismus vorftande gemäß der ihnen aus dem Denkmalfchutegefetz
nicht entfchuldigt werden kann. Denn St. braucht fich ; erwachfenden Verpflichtung für ordnungsgemäße Auf-
nur die Frage vorzulegen, wie der moderne Staat über ! kewahpru"g ^rer. Urkundf zu forgen und die Verzeichnung
Rechtsquellen urteilt, um fofort den .mittelalterlichen' ! 'hrer Betende in d'e Wege zu leiten hatten Nachdem
Charakter der thomiftifchen Staatsidee zu erkennen. So j da"n lm Juh ^ die Landesfynode die Mittel zur Befind
nach vorwärts die hiftorifchen Perfpektiven unzweifel- ' £ellun2 ,mes wiffenfchafthchen Hilfsarbeiters und zur
haft falfch geftellt. Das wird aber durch St.s Unter- ,Herus°?be,,de[ Urkundenverzeichniffe bewilligt hatte
fuchung aufs neue beftätigt, daß der Ariftotelismus-dem , konnda?rtWerk ^egumen So ^le.|s J?%^ ^'Ä
freilich finnwidrig Platonisrnus aufgepfropft werden kann ] e, dlre Idellder' d'e e* ft? £ Es 'ft ein Ehrendenkmal
(z.B. Ergänzung der platonifchen Ideenlehre durch Ari- I fen*> fur. dle oberfte heffifche KircherA

h.4.1 jj .__r__:n_ . rr , tt ru a u a:^ das Zeugnis geben muß, daß fie das Werk nach Kräften

ftoteles und der vier anftotehfchen Urfachen durch die ' ». , f . ,.. ', ^ ... r . A . .

, . -r , n.- t u u-ur u tt r u a a.n*.- 1 gefordert hat, wie fur den Bearbeiter, feine Adjutanten

platonifch-auguftinifche vorbildliche Urfache) und dellen ; s , ,. .. .__.. , , rrr , .r , n .V,- , , ..

, , .. =• , , ,. ... .. c . , G ,m t •. 1 und die mitarbeitende heffifche evangelnche Geifthchkeit,

.Naturalismus' durch die überlieferten katholilchen Eeit- , ,. m~:i „j* u„ir„^ u„u~n a„q a:~ „n- u■ ic

, 0. a- r u: u<-i;„n^Cf«n„«^- die zu ihrem feil mitgeholfen haben, daß die erlte Hälfte

ideen korrigiert werden mußte — die gelchichthche Stellung , w ... o • ' • D- ru ru ■

1 tu • u j- t c • u - u 1 :a a_____™ft derPfarrarchivinventare fo verhältnismäßigrafch erfcheinen

des Thomismus bedingt. Steinbüchel weilt darum mit , . tt---tt • u • a~ : a ü ju u-, ,
Recht darauf hin, daßÖdurch Thomas der Auguftinismus konnte- ™ Verzeichnis der in dem Band bearbeiteten
zurückgefchoben fei. Thomas fleht nirgends mehr die Wntare kann hier 1^

Probleme im Lichte des Auguftinismus, mag er auch ™.erkt fei bloß' daß T h °dfu c^a "ifr " •"

a „«,,/i;« a^n r u u- ü r iV „a :™ i^^„r^ '■ ftandiger Kirchenbuchfuhrung behandelt find. Was in

Ä ! den efnzelnen Rubriken an wiffenfchafthchen Nachweifen

h ZI* a * -r l r a1 1 c 6 t -?f W Tl , ' niedergelegt ift, davon kann ein Blick in das Werk über-
beitetes auguftinifchesG J % ^efonders wertvoU fmd neben den Ver-

St.s zeigt nicht nur an allen entfcheidenden Punkten Anfto-
teles als Lehrmeifter, fondern zugleich die Tatfache, daß
die Probleme umgeformt oder neu geworden find. Diefer
Ariftotelismus hat freilich trotz St. nicht den .Dualismus'
der Ethik und des Lebensideals befeitigt. Aber er dürfte
von der proteftantifchen Forfchung ftärker beachtet werden
als bisher. Dann würde das bekannte Urteil relativer,
daß erft die Reformation der Arbeit in der Welt das gute
Gewiffen zur Seite geftellt habe. Das ariftotelifch-thomiftifche
Syftem der Zwecke mitfamt der zugehörigen Güterlehre
und der ethifchen Anerkennung der Triebe und
Affekte, der Abkehr also von der auguftinifchen ,Askefe'

zeugen. Als befonders wertvoll find neben den Ver-
zeichniffen der Kirchenbücher, Chroniken, Salbücher,
Kirchenrechnungen und Akten vor Allem die Urkunden-
regeften und die Literaturnachweife, die zu jeder Pfarrei
gegeben werden, zu bezeichnen. Alles in Allem ein höchft-
verdienftliches Werk, an dem andere Landeskirchen fich
ein Mufter abfehen können. Möge es recht viele Nachfolger
finden.

Friedberg (Hessen) Diehl.

SelHchopp, Adf.: Neue Quellen zur Gerchichte Augutt Hermann
Franckes. Mit 1 Bildnis Franckes nach dem bis-
und der Zuwendung zum ariftotelifchen Moralprinzip der | ber nicht veröffentlichten Stich v. J. G. Wolfgang v.

Vernunftgemäßheit mit feiner pofitiven Würdigung des
Sinnlichen und der natürlichen Menfchheitsziele bedeutet
eine erhebliche Änderung des Lebensgefühls und des
ethifchen Urteils. Die Thomiften wurden mit Recht in
Oxford, Paris und anderswo zunächft als moderni ange-

1730. (IX, 163 S. m. 3 Stammtaf.) gr. 8°. Halle a. S.,
M. Niemeyer 1913. M. 4—; geb. M. 5 —

Bereits in feiner Schrift ,Los von LutherP (Leipzig
1911) hat der Verf. S. 23 und 24 auf die bisher nicht be-