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Ausgabe:

1914 Nr. 26

Spalte:

679-681

Autor/Hrsg.:

Duker, D. A. C.

Titel/Untertitel:

Gisbertus Voetius. 2. deel, 3. stuk en 3. deel 1914

Rezensent:

Regula, ...

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 26.

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die Kirche in Südfrankreich gegen die ,boni-homines'.
In Deutfchland überwiegt wieder die fchärfere Richtung;
in Italien fchwankt die Ketzerbehandlung nach Maßgabe
der ftädtifchen Parteipolitik; in England fpielt die Ketzerei
eine untergeordnete Rolle. Maßgebend ift die Entwicklung
in Nordfrankreich und Deutfchland: hier billigt die
kirchliche Behörde das alte blutige Gewohnheitsrecht der
Ketzerhinrichtung mehr und mehr. Ein Markftein in der
kirchlichen Ketzergefetzgebung ift die Reimfer Be-
ftimmung von 1157, welche für die Ketzer Brandmarkung,
Verbannung und Vermögenseinziehung, für die Rädelsführer
fogar ewigen Kerker und wohl auch die Todes-
ftrafe feftfetzt. Die Hauptfache aber ift, daß die hiero-
kratifierte Kirche jetzt vom brachium saeculare die Ketzer-
verrolgung grundfätzlich und generell verlangt, fo Alexander
III. zu Montpellier (1162) und befonders das 3.
Laterankonzil (1179), das den Kreuzzug gegen die Ketzer
ins Kirchenrecht aufnahm. Der entfcheidende Erfolg diefer
Beftrebungen warBarbaroffas Anerkennung der ftaatlichen
Ketzerverfolgungspflicht zu Verona (1184).

An diefem Punkt fetzt die Köhlerfche Differtation
ein, die ebenfo wie die Theloefche leider an E. Eich-
manns ,Acht und Bann' vorübergegangen und fo der er-
wünfchten rechtsgefchichtlichen Schärfe nicht teilhaftig
geworden ift. Von Köhlers unreifen Grundgedanken —
er beginnt sein Vorwort mit Betrachtungen über den
Kampf ,der germanifchen Raffe' gegen den Romanismus!
— darf hier füglich abgefehen werden. Dagegen bringt
feine Schrift eine im ganzen lobenswerte Zufammenftellung
der Tatfachen zur ftaufifchen Ketzerpolitik. Der Nachdruck
liegt felbftverftändlich auf der Regierung Friedrichs
II. Eine Einzelkritik würde hier zu weit führen.

Zur Erklärung von Heinrichs (VII.) ketierfreundlicher Haltung
darf man keine ,nationale Reaktion gegen Rom' (S. 61), fondern wohl
vor allem die politifche Rückficht auf den deutfchen Epifkopat heranziehen
.

Theloes 4. und 5. Kapitel, der kirchlichen und weltlichen
Gefetzgebung gewidmet, führt an den Gegenftand
heran, der im Untertitel feiner Schrift angedeutet ift: die
Entftehung des päpftlichen Ketzerinquifitionsgerichtes.
Wie weit er hier von einer Löfung entfernt bleibt, hat
Kallen a. a. O. gezeigt, wo fowohl die Frageftellung gegenüber
von Theloe erheblich präzifiert, als auch die Wege
zur Löfung angedeutet find (S. 515 ff.). Ich möchte hier
auf die wertvollen Bemerkungen Kallens über den Zu-
fammenhang der Entftehung des kanonifchen Inquifitions-
prozeffes mit der Ketzerverfolgung nur kurz hinweifen;
bei Theloe felbft erhält man leider über die Entwicklung
des Gerichtsverfahrens gegen die Ketzer keinen irgendwie
zureichenden Auffchluß.

Kiel. Fritz Kern.

Düker, D. A. C.: Gisbertus Voetius. 2. deel, 3. stuk en
3.deel (Hoogleeraarschap. 1634—1676). (S. 271—354,
XCVII—CXXVII; III, 262 u.LXXIV S.) gr.8<>. Leiden,
Boekh. en Drukk. voorh. E. J. Brill 1910. 13. M. 8.85

Zuvörderft muß man dem Verf. zu der glücklichen
Vollendung diefes Werkes aufrichtig gratulieren. Hat er
doch nicht weniger als 21 Jahre dazu gebraucht: 1893
wurde es angekündigt, und 1914 ift die letzte Abteilung
des 3. Bandes erfchienen. Einerfeits war an diefer Verzögerung
anderweitige Befchäftigung fchuld, anderfeits
mehrte fich die Fülle des aus kirchlichen und weltlichen
Archiven zufammengebrachten urkundlichen Materials
derart, daß aus den urfprünglich geplanten 2 Bänden nun
deren 3 geworden find. Wir haben darin die Lebensarbeit
eines holländifchen Gelehrten vor uns, mit der er
eine Lücke in der theol. Literatur ausgefüllt hat; denn
bereits 1861 erfchien von D. eine Doktordiffertation über
den Streit zwifchen Voetius und Descartes, und nun
befitzen wir aus feiner Feder eine umfangreiche, er-
fchöpfende Biographie des berühmten Utrechter Theologen
. Der 1. Band (1897) ift durch D. Titius in dem
Jahrg. 1899, Nr. 8, Sp. 238 diefer Zeitfchrift befprochen.
Die dort geübte Kritik trifft im allgemeinen auch für den
vorliegenden 2. und 3. Band zu, fo daß wir uns hier kurz
faffen können.

Der 2. Band beginnt mit V.s Berufung an die illuftre
Schule in Utrecht (1634), die im folgenden Jahr zur Akademie
erhoben wird. 16. März 1636 wird die neue Uni-
verfität eingeweiht, wobei V. im Dom die Predigt hält.
Vermöge feiner Vielfeitigkeit ift er im Stande, alt- und
neuteftamentliche Exegefe und praktifche Theologie,
nebenbei auch Orientalia und Kirchenrecht zu lefen.
Von befonderer Bedeutung werden die Disputationskollegien
am Samstag, in denen unter feinem Vorfitz alle
aktuellen Fragen in Theologie und Kirche behandelt
werden. Standpunkt und Methode find ariftotelifch-fcho-
laftifch. Das reformierte Dogma ift die Wahrheit, jede
Abweichung davon Unglaube und Atheismus; die Theologie
hat die Aufgabe, diefe Wahrheit zu beweifen. Da
V. zugleich eine geborene Kampfesnatur ift, geht durch
fein Leben eine Flut von Streitfchriften gegen die Katholiken
und Janfen, gegen Remonftranten und Arminianer,
gegen Cartefius und die Cartefianer, gegen Coccejus,
Labadie, Velthuylen, die Marianifche Brüderfchaft in
Herzogenbufch ufw. Seine beiden Söhne, der eine Philo-
foph, der andere Jurift, die den Standpunkt des Vaters
teilen, fowie eine Anzahl von Getreuen, darunter befonders
Martin Schoock, unterftützen ihn in diefen Kämpfen.
Mehrmals muß der Staat oder Magiftrat eingreifen und
die Fortfetzung des Streites verbieten. Daß V. auch für
puritanifche Korrektheit (precysheit) in Sonntagsheiligung,
Effen, Trinken und Kleidung fchwärmt, fei nebenbei bemerkt
Von der ungewöhnlichen Arbeitskraft des Utrechter
Theologieprofeffors bekommen wir einen hohen Begriff,
wenn wir im 3. Teil hören, daß er feit 1637 auch das
Amt eines Mitpredigers übernommen hat. Welche Mehrarbeit
durch die vielen Sonn- und Wochentagspredigten,
Katechifationen, Kirchenratsfitzungen, Vermehrung der
Geiftlichen auf 12, Einteilung der Gemeinde in Bezirke
(wyk), Streit mit dem Magiftrat, der zwei Deputierte in das
Presbyterium entfenden will! Befonders anziehend ift in
diefem Band das 4. Kapitel: ,Familie und Freunde, Entfremdung
und Verformung'. Mit Maresius, der als Rektor
der Univerfität Groningen — wider feinen Willen — die
Bloßftellung des V. durch Schoock herbeigeführt hatte,
kommt fchließlich eine Verföhnung zu Stande; die gelehrte
Freundin und Nachbarin Anna Marie Schürmann aber,
die fich dem Separatiften de Labadie angefchloffen hat,
hält fich für alle Zukunft fern. Seine letzte Fehde, die
mit dem Cartefianer Velthuyfen, der ,über Götzendienft
und Aberglaube' fchrieb, ift ziemlich belanglos, V. felbft
nennt fie einen bellum chartaceum. Diefer Papierkrieg
wird jäh abgebrochen 1672 durch den zweiten Eroberungskrieg
Ludwigs XIV, in welchem Utrecht durch die
Franzofen in Belitz genommen wird. Nov. 1673 rücken
die Feinde wieder ab, die Univerfität wird wieder eröffnet
(mit 22 Studenten!), und der 84jährige V. predigt über
Pf. 126. Mit neuem Mut lieft und arbeitet der Greis nun
wieder weiter, bekleidet auch noch einmal das Rektorat
und entfchläft nach kurzer Krankheit fanft und feiig
1. Nov. 1676, faft 88 Jahre alt. Es ift ein Vergnügen,
diefe Biographie aus der Feder D.s zu lefen, wenn fie
auch in manchen Kapiteln für unferen deutfchen Ge-
fchmack zu breit und ausführlich ift. Die urkundlichen
Quellen, die zur Kontrolle in den vielen Anmerkungen
und Beilagen, zum Teil wörtlich, beigefügt find, floffen
dem Verf. eben zu reichlich. Die Darfteilung ift anfchau-
lich, lebendig und läßt den Lefer etwas verfpüren von
den ,kleuren en geuren'(Farben und Hauch) des 17. Jahrhunderts
, wie in der Vorrede zum I.Band gewünfcht ift.

Über Perfon und Bedeutung des Helden gehen die
Urteile der Zeitgenoffen auseinander. Wir geben nur