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Ausgabe:

1914 Nr. 2

Spalte:

665-667

Autor/Hrsg.:

Sehling, Emil

Titel/Untertitel:

Geschichte der protestantischen Kirchenverfassung. 2. Aufl 1914

Rezensent:

Foerster, Erich

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 24/25.

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Simons läßt zum erften Mal eine Predigtfammlung
erfcheinen. Er bekennt, die Scheu davor, mit einer folchen
vor die Öffentlichkeit zu treten, erft überwunden zu haben,
nachdem er im akademifchen Amt erlebt, was in Preußen
wegen der Zugehörigkeit zu einer beftimmten Art von
Theologie auch der erleben kann, der von Agitation fich,
infolge feiner Anlage, fernhält. Es lag ihm daran, zu bezeugen
, wie für ihn die Aufgabe der Predigt das Bauen
ift, und ,daß und wie auch ein frei gefinnter Theologe,
ohne Verleugnung feines Standpunktes, ohne Eiertanz
oder Leifetreten bauen foll und kann'. Dabei erinnert
er felbft an das Vorbild von Heinr. Holtzmann. Was er
zeigen wollte, hat er, meine ich, gezeigt. Keine Polemik,
kein Streit, nichts von Niederreißen und Zerftören, nichts
von Negation. Nicht einmal bei dem Text Joh. 21, 1—8
eine kritifche Bemerkung; denn daß die Erzählung als
.Gemälde, den Segen abzubilden, der durch Jefus kommt',
bezeichnet wird, ift keine folche. Auch Joh. 8, 31—36
(Thema: Erkenntnis der Wahrheit) führt den Prediger
nicht auf theologifches Gebiet. Er gibt Religion, und
er verfäumt nicht, lebhaft hervorzuheben, was Jefus für
den Chriften ift. Eine Anzahl von Predigten laffen Jefus
fchon im Vorwort erfcheinen. Als die Größe der Perfon
Jefu fchildert er das innere Leben, das Einsfein mit dem
Vater im Himmel, Gottes Leben in ihm und damit die
Vollendung des Menfchlichen (29). ,Mehr Teilnahme für
die Miffion!' fordert eine miteingereihte Feftpredigt. ,Laßt
uns mit ganzem Ernft unfer Leben aufbauen auf dem
Grund der Gnade, die in Chriftus uns ergreift!' fo predigt
S. dem Evang. Bund. Diefe Tendenz des religiöfen |
Bauens wird in glücklicher Weife geftützt durch fchlichte,
durchfichtige Gedankenführung, die auch der Univerfitäts-
gemeinde, vor der fie gehalten find, wohlgetan haben wird,
durch forglich fein geglättete Sprache, durch Bezugnahme
auf mancherlei der Gemeinde naheliegende Vorkommniffe
(E. Chr. Achelis Tod S. 60 u. 77), durch überall durchscheinende
innere Wärme. Weniger vielleicht als fonft
treten die Disharmonien des Lebens und des Wollens
beim Lefen diefer Predigten ins Bewußtfein, ftärker als
fonft wird die Empfindung der Harmonie und die Hoffnung
auf fie lebendig. ,Erquickung' läßt S. die Gottes-
dienftbefucher begehren (S. 132); das wird das richtige
Wort für das eigentliche Ziel und auch die Wirkung diefer
15 Predigten gewefen fein.
Gießen. M. Schian.

Seh Ii ng, Geh. Hofrat Prof. Dr. Emil: Gefchichte der pro-
teftantifchen Kirchenverfaffung. 2. Aufl. (Grundriß der
Gefchichtswiffenfchaft, Reihe II, Abtig. 8.) (IV, 50 S.)
Lex.-8°. Leipzig, B.G.Teubner 1914. M. 1.20; geb.M. 1.80
Es ift charakteriftifch für Sehlings Buch, wie der Stoff
räumlich verteilt ift. Von den 50 Seiten der ganzen Schrift
find nämlich 34 darauf verwandt, die Entftehung des
Lutherifchen Verfaffungstypus darzuftellen, während die
ganze folgende Entwicklung und die Reformierte Ver-
faffung auf 16 Seiten verwiefen wird, wovon noch 4 eingenommen
find von der Befprechung der Trennungsbewegung
und der Einigung der Landeskirchen. Sehling
tritt dabei durchaus als Anwalt des beftehenden Landesherrlichen
Kirchenregimentes auf, das er mit der herrfchenden
Schule als ein aus praktifchen Bedürfniffen erwachfenes, j
juriftifch nicht aus der Idee des membrum praeci-
puum und nicht aus pactum subjectionis, fondern aus
der modernen Staatskirchengefetzgebung herzuleitendes 1
wohlerworbenes Nebenamt konftruiert, analog dem
Erwerb der Stellung als Familienoberhaupt durch
den Regierungsantritt des Monarchen. Diefe Verbindung
zwifchen Staat und Kirche fcheint ihm im beiderfeitigen I
Intereffe zu liegen und ebenfo mit dem Charakter des j
modernen Staates, der zwar kein konfeffionelles, aber
doch ein chriftliches Gemeinwefen fei, wie mit den

Intereffen der evangelifchen Kirche und den grundlegenden
reformatorifchen Anfchauungen verträglich. Denn wenn
Sohm, zu dem er fich durchgehend in Gegenfatz fetzt,
das Landesherrliche Kirchenregiment als im Widerfpruch
mit Luthers Gedanken ftehend ein Produkt des Kleinglaubens
der Epigonen genannt hat, fo fei vielmehr das
j Gegenteil richtig, wonach gerade die intimfte Verbindung
' der weltlichen Obrigkeit mit der Kirche den Gedanken
j Luthers entfpreche. Hierbei ift offenbar überfehen, daß
das Wort Kirchenregiment in jenem Satze Sohms in einem
weit engeren Sinne gebraucht wird, nämlich nicht als
Dienft der Regierung über Pfarrgüter, Pfarrerbildung ufw.,
fondern als Anfpruch einer Gewalt über Lehre und Gottes-
dienft, die als fchützende doch immer zugleich eine be-
fchränkende ift. Diefes Recht einer Regulierung der Lehre
und Überzeugung und einer Normgebung über das, was
Evangelium ift, beftreitet Sohm, wie mir fcheint, mit richtigem
Verftändnis Luthers, der Obrigkeit, und zwar jeder
Obrigkeit, fei fie päpftlich oder monarchifch (oder vereinsmäßig
); und die Einfchränkung diefer Thefe durch Luthers
Nachgiebigkeit gegen den mittelalterlichen Staatsgedanken,
der im Intereffe des Landfriedens nur einerlei öffentliche
Religionsübung im Lande geftattete, hebt die Gültigkeit
diefes Gedankens nicht auf. Nachdem diefer ängftlieh
enge Staatsgedanke gefallen ift, ift der von der heutigen
Landeskirche immer noch, wenn auch in ftarker Ab-
fchwächung, aufrecht erhaltene Anfpruch ganz haltlos geworden
und allerdings zwingende Veranlaffung gegeben,
in der Befeitigung diefes, nur diefes Kirchenregimentes
eine Lebensfrage zu fehen, weil der .Schutz' des Evangeliums
vielfach als ein Hemmnis feiner freien Bezeugung
wirkt.

Aus dem Gefagten ergibt fich fchon, daß ich auch
die Darfteilung der Grundgedanken der Reformation in
§ 1 nicht für richtig halten kann; es handelt fich freilich
mehr um Nuancen als um Differenzen. Sehling hat gewiß
recht, wenn er abwehrt, daß man dem Gedanken des
allgemeinen Prieftertums keinerlei Bedeutung für die
Verfaffung zuerkennen wolle. .Ohne das Niederreißen
jener Schranke wäre ein Hereinziehen des Laienelementes
in die Organifation, ein Aufbau auf presbyterial-
fynodaler Grundlage, Pfarrwahl ufw. nicht denkbar gewefen
.' Gewiß nicht. Aber ebenfowenig ein konfiftoriales
Kirchenregiment. Im allgemeinen Prieftertum liegt fo-
wohl die Möglichkeit der Presbyterial- wie der Konfifto-
rialverfaffung, die Möglichkeit der Beftellung der Pfarrer
durch Wahl des Volkes wie durch fürftliche Ernennung.
Unverftändlich ift mir, wie Sehling aus dem Sendfehreiben
nach Prag folgern kann, hier liegen die Keime presbyterial-
fynodaler Verfaffung zutage. Der Sinn des Schreibens
ift, daß, wenn die Bifchöfe ihnen die Pfarrer verweigern,
und wenn fich die Prager nicht mit Hausgottesdienft auf
Grund des allgemeinen Prieftertums begnügen wollen, die
politifche Gemeinde, in deren Namen der Rat handelt,
berechtigt fei, Pfarrer einzuhetzen, und daß man die auf
folche Weife in ihr Amt Gelangten als rechte evangelifche
Pfarrer anfehen folle. — Die auf S. 4, Anm. 3 zitierten
Stellen befagen auch nicht eine .Einfchränkung des allgemeinen
Prieftertums', deffen .äußerfte Konfequenz' gewefen
wäre, daß jeglicher Nachbar dem andern predigte.
Sie befagen nur, daß die Ausübung des allgemeinen
Prieftertums etwas anderes fei wie die Verwaltung des
öffentlichen Predigtamtes. Jenes ein Recht jedes Chriften,
dies gebunden an den consensus communitatis aut vo-
catio maioris. — Vollends kommt die Idee der unficht-
baren Kirche nicht zu ihrem Recht; Sehling zieht nicht
die einzig mögliche Konfequenz aus Luthers größter Entdeckung
, daß nämlich keine auf Erden beftehende Körper-
fchaft fich anmaßen darf, Kirche zu fein. DerSatz, daß fchon
Luther das Vorhandenfein einer fichtbaren Kirche zugegeben
habe, ift falfch; fichtbar ift fie ihm nur für den
Glauben, nicht für das Auge, ebenfo wie Gott felbft, der
Heilige Geift, das Wort Gottes. Aus der Unfichtbarkeit