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Ausgabe:

1914 Nr. 2

Spalte:

659-661

Autor/Hrsg.:

Meyer, Eduard

Titel/Untertitel:

Ursprung und Geschichte der Mormonen 1914

Rezensent:

Weinel, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 24/25.

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Bewegungen in Oberöfterreich, Kärnten und Galizien,
endlich auch den erft 1847 in die akatholifche Kirche
aufgenommenen Anhängern des Martin Boos gegenüber
zu verftehen. Die ablehnende Haltung der Kirchenbehörde
hat ihren Grund nicht etwa nur in dem Willen,
die eigene tolerierte Kirche vor Diskreditierung durch
Schwärmereien und vor Renkontres mit den auf Innehaltung
des tolerierten Bekenntniffes bedachten Staatsbehörden
zu bewahren, fondern, worauf auch Löfche gelegentlich
(S. 107 u. ö.) hinweift, in dem damals herrfchen-
den Rationalismus, der als folcher Myftik und Schwärmerei
ablehnt. Deffen Gefchichte muß auch für Öfterreich
noch gefchrieben werden; wie gern hätte man in
Löfches Jubiläumswerk darüber gelefen!

So bleibt noch trotz Löfche manches zu tun, und
gerade feine tief grabenden Beiträge erwecken nicht nur
den Wunfeh nach mehr, fondern werden gewiß die For-
fchung in Fluß erhalten. Eine wichtige Ergänzung hat
bereits A. Skalsky vorgenommen, indem er im Jahrbuch
der Gefellfchaft für die Gefchichte des Proteftantismus in
Öfterreich, Bd. 34, Studien ,Aus der liturgifchen Vergangenheit
der evg. Kirche in Öfterreich feit dem Toleranzpatent
' begonnen hat. Mögen die weiteren Studien, die
die genannten Defiderien erfüllen, ebenfo erfolgreich wie
die vorliegenden bisher Verborgenes zu Tage fördern I
Soweit die Refultate die weitere Öffentlichkeit intereffieren,
hat Löfche übrigens durch mehrere Auffätze in Schians
Deutfch-Evangelifch 2, 1911 und durch die oben genannte
kleine Schrift für deren Bekanntmachung geforgt. Er
bietet hier neben dem Kapitel über ,die Umwelt des
Toleranzproteftantismus' (S. 9—44) und dem über die
Durchführung des Toleranzpatentes (S. 45—81) einen be-
fonderen Schlußabfchnitt über ,Mängel in der Durchführung
der Gleichberechtigung' (S. 82—85), deffen Korrelat
fich im Hauptwerk an einer etwas verfteckten Stelle,
Einleitung S. XLIXff, findet. Beide Ausführungen erinnern
daran, daß trotz des Patentes v. J. 1861 noch viele
Reliquien aus der Zeit der Gegenreformation und des
offiziell 1870 gekündigten Konkordats v.J. 1855 beftehen
geblieben find. Mögen Löfches wiffenfehaftliche Studien
u. a. auch zu dem praktifchen Ziel beitragen, daß diefe
Reliquien an höchfter Stelle als folche erkannt und be-
feitigt werden 1

Berlin. Leopold Zfcharnack.

Meyer, Eduard: Urlprung und Gefchichte der Mormonen.

Mit Exkurfen üb. die Anfänge des Islams u. des Chri-
ftentums. (VI, 300 S. m. 5 [3 Bildnis-, 1 Fksm.-] Taf.)
gr. 8°. Halle, M. Niemeyer 1912. M. 8 —; geb. M. 9 —

Auf einer Amerikareife hat fich der Verfaffer der
Gefchichte des Altertums die Ferienfreude gemacht, der
Entftehung einer ganz neuen, der jüngften Weltreligion
nachzugehen. Ein höchft intereffantes Buch ift die Frucht
diefer Arbeit. Es ift viel mehr als die Gefchichte einer
,chriftlichen Sekte'. Auch für eine folche wären wir dankbar
gewefen. Denn wenn wir auch in Deutfchland einige
gute ältere, freilich kaum gekannte, auch von Meyer an-
fcheinend nicht gekannte Bücher über die Mormonen von
Bufch und Schlagintweit haben, und wenn auch unfere
beiden Enzyklopädien recht gute Artikel über fie enthalten
, fo bedeutet Meyers Buch doch einen großen
Schritt über all das hinaus. Nicht bloß, daß er manches
in Deutfchland fchwer oder nicht zugängliche Material
benutzen konnte; nein, er hat, indem er die bekannten
Urkunden, befonders das Buch der Orakel des Mormonenpropheten
, wirklich ausgefchöpft, in die Gefchichte
hineingeftellt und den Hintergrund, auf dem die
neue Religion erwachfen ift, anfehaulich gezeichnet hat,
erft ein volles Verftändnis der Vorgänge ermöglicht.

Aber das Buch gibt mehr und will mehr geben. Es
ift eines der wertvollften Bücher der modernen Religions-

gefchichte geworden, gerade auch darum, weil der große
Hiftoriker mit vollem Bewußtfein fich einer religionsge-
fchichtlichen Aufgabe der Gegenwart zugewandt hat und
aus ihr Maßftäbe für das Verftändnis der antiken Religionen
gewinnen will, über deren Entftehung und erfte
Entwicklung uns oft nicht fo genaue und zahlreiche Urkunden
zur Verfügung flehen. Meyer hat dabei befonders
die Entftehung des Islams und des Chriftentums im Auge;
fie werden in zahlreichen Hinweifen und zwei längeren
Exkurfen ausdrücklich herangezogen.

Um zwei Dinge handelt es fich dabei: um die Pfycho-
logie des Religionsftifters, des ,Propheten', und um die
Entftehung und Entwicklung der Gemeinde, die wiederum
vor die beiden Fragen ftellt: Wie ift der Glaube an den
Propheten zuftande gekommen, und worauf beruht die über-
rafchende Anziehungskraft folcher Propheten und ihrer
neuen Gemeinfchaften? Meyers Intereffe ift beiden Aufgaben
zugewandt; das Befte hat er aber doch in der Bewältigung
der zweiten geleiftet, während für die erfte das
auch von ihm benutzte Buch des amerikanifchen Pfycho-
logen Riley reicher ift.

Pfychologifch merkwürdig ift dieferSmith, der,Prophet'
des Mormonismus, ein erblich fchwer belafteter Menfch
aus einer fchwindelhaften, nach Schätzen grabenden und
mit Seherfteinen die Zukunft kündenden Familie, der
mit 22 Jahren, von einem Engel gewiefen, in einem Hügel
die goldenen Tafeln ,ausgräbt', auf denen das Buch ,Mor-
mon' gefchrieben fleht, der das Buch mit feinem Seher-
ftein /lieft', ,überfetzt' und einem gläubigen Bauern diktiert
, jene wunderliche, phantaftifche, großgedachte, aber
ungeheuer breite Bibel der neuen Welt; der Prophet, der
in feinem Glauben fo ftark, in feiner Selbftfucht fo rück-
! fichtslos, in feiner Menfchenbehandlung fo hinreißend und
fo klug ift, daß Männer und Frauen fich ihm mit Hab
und Gut, mit Leib und Leben hingeben, ihm leben und
für ihn leiden und arbeiten lernen. Noch merkwürdiger
vielleicht ift die Gefchichte diefer feiner Gemeinde von
dem Augenblick an, wo fein Glaube die anderen hinreißt,
j daß fie ihm fpäter felber an Eidesftatt bezeugen, die gol-
j denen Tafeln gefehen zu haben, bis zu dem Tage, da fich
i zuerft am Rande der Kultur aus halbwilden Abenteurern,
Verbrechern und Phantaften die neue Gefellfchaft bildet
und ein Staats- und Religionswefen fchafft, das unter un-
fäglichen Leiden, felbft mit unrechten Mitteln feine Glieder
doch zu einer gewiffen Stufe der Gefittung, zu Fleiß, Ordnung
und Kultur erhebt. Dann die Kataftrophe und der
Märtyrertod des Propheten, fo ftark die Beteiligten an
einen Größeren erinnernd, daß der Richter felbft halb im
Scherze fagt, er werde wie Pilatus in die Weltgefchichte
kommen — die Dunkelheit und Verlaffenheit der Schar,
bis der kluge und gewaltige ,Apoftel' Young an die Spitze
der Gemeinde tritt, einft auch bloß ein Zimmergefelle,
nun aber, vor die große Aufgabe geftellt, rafch zu einem
der größten Organifatoren, ja zu einer großen Herrfcher-
geftalt primitiver Prägung heranwachfend, die der furcht-
j baren Salzwüfte mit unbeugfamer Kraft ein blühendes
Staatswefen abringt, in dem die Lafter der Kultur verbannt
find, obwohl es immer wieder mit Gewaltmitteln,
mit Meuchelmord und Blutfühne fich erhalten und hinunter-
fteigen muß auf die Stufen der Polygamie und felbft des
Polytheismus, um diefe wilden Menfchen zu einem geordneten
und gefitteten Leben zufammenzukitten. Und heute?
i Eine mit dem Staat ausgeföhnte Kirche, deren gebildete
j Theologen bereits, die Polygamie und den Polytheismus
als ,Mythologie' behandelnd, ihren Frieden mit der Welt-
anfehauung unferer Tage und dem Kulturleben Amerikas
j erarbeiten.

Der Mormonismus, fo gefchaut, als eine niedrige Religion
, die fich am Rande einer höheren erhebt, von der
alten lernend, fich an ihr autorifierend, aber mit jugendlicher
Kraft und tätiger Überlegenheit fich als ihr Erbe
betrachtend — das ift ein Bild, das freilich immer wieder
den Islam ins Gedächtnis ruft. Und wenn Muhamed in