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Ausgabe:

1914 Nr. 2

Spalte:

634-635

Autor/Hrsg.:

Steinmetz, Rudolf

Titel/Untertitel:

Heilige Stunden. Predigten 1914

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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633

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 22/23.

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Die Kafualrede des freien Chriftentums, unter Mitwirkg. in-
länd. u. ausländ. Prediger hrsg. v. Prof. Lic. P. Glaue.
Bd. 4 u. 5. 8°. Ebd. Je 1.20; geb. 1.50

4. Iid. Traureden. (100 S.) 1913. — 5. Bd. Taufreden. (98 S.)
>913-

Die Th. L.-Z. 1913 Nr. 25, Sp. 791 ff. genauer charak-
terifierten Sammlungen fchreiten rafch fort. Im allgemeinen
zeigen die vorliegenden Bände die gleiche Art
wie die zuerft erfchienenen, auch die gleichen Verfchie-
denheiten. Das ift ja natürlich, da großenteils diefelben
Verfaffer, Inländer wie Ausländer , wiederkehren. Neu
hinzu tritt u. a. Miff.-Infpektor Witte. Ausländer find
jetzt noch knapper vertreten. Tarrant (London) und
Carpenter (Oxford) fprechen wieder für unfere Verhält-
niffe reichlich gelehrt-abftrakt (XII, 11); die vielfach
wuchtige Reformationspredigt von Bakker (Zwolle) packt
doch das Wefen des reformatorifchen Glaubens nicht in der
Tiefe (X, 1). Sehr intereffant ift eine warmherzige, ganz
fchweizerifche Vaterlandspredigt von Schönholzer (XI, 7).
Unter den Deutfchen hat mancher beftimmte Gedanken
der Moderne einfeitig ftark herausgearbeitet. Die Abneigung
gegen einen befonderen Bußtag bringt Götz (XI,
34 f.) kräftig zum Ausdruck. Nach ihm feiern wir einen
befonderen Bußtag nicht, ,weil uns das fo vorgefchrieben
ift: in Dingen des Glaubens laffen wir uns keine Vor-
fchriften machen'; das ift fchief formuliert. Nach demf.
hat Jefus ,kaum Buße gepredigt' (XI, S. 34). Battlehners
Bußpredigt (XI, 1) läßt die chriftliche Beftimmtheit ver-
miffen; mehr noch Bodes Totenfeftpredigt (XII, 1) mit
Betonung des Hobbes'fchen: ,Ich tue einen bangen Schritt
ins Dunkle' (S. 14); erft recht desfelben Traurede mit
dem Inhalt: ,Mit der Sonne der Liebe im Herzen geht
es der Sonne des Glücks entgegen' (S. 11). Erfreulicherweife
find Reden diefer Art in der kleinen Minderheit.
Weit überwiegen die, welche ernft religiöfe, chriftliche
Töne anfchlagen. Geradezu das Gegenftück (und ein treffliches
1) zu Bodes Traurede ift eine folche von Bornemann
; aber auch z. B. Schubring läßt Jefus als Gaft in
das Haus des jungen Paares einziehen. Als Bußtagspredigten
voll chriftlichen Ernftes nenne ich die von Bornemann
, Freybe, Weyrich (ohne andere auszufchließen).
Befonders viel Gutes nach diefer Richtung hin bieten die
Sylvefterpredigten (z. B. Frommel, Kübel; letzterer fehr
praktifch-konkret) und die Miffionsfeftpredigten (mit wirksamer
Anfchaulichkeit aus eigenem Sehen: Witte); auch
unter den Neujahrspredigten find eine ganze Anzahl fol-
cher, in denen ftarker Chriftenglaube kräftig und fchön
zum Ausdruck kommt; z. B. Nr. 10: Wielandt über
Hebr. 13,8. Die Reformationsfeftpredigten bringen manche
Betonung der Freiheit auch im Sinne der Polemik gegen
Glaubenszwang, Formelwefen, Buchftabendienft (Nr. 5:
Pf. Kerth; Nr. 4: Kautzfeh), aber — auch in denfelben
Predigten' — mehr pofitiv-evangelifche Verkündigung;
hervorgehoben fei die Predigt von Spitta (Joh. 15, 8—
!2). Hiftorifche Motive find in diefem Band reichlich und
meift glücklich benützt. Daß Luthers kritifch fehr angefochtenes
Wormfer Wort ftark verwendet wird (Nr. 1:
Bakker), fei wenigftens angemerkt. Sehr reichhaltig an
Mannigfaltigkeit der Gedanken und der Gefichtspunkte
'ft die Sammlung Taufreden. Alles in Allem, es ift
Merkwürdig und doch wieder nicht merkwürdig: diejenigen
Predigten, die fpezififch chriftliche Gedanken
deutlich vertreten, find faft immer auch fchlichter, faßlicher
, konkreter, praktifcher und — wirkfamer. Hervorheben
möchte ich noch einige Befonderheiten. Fuchs
(Hüffelsheim) läßt zu einer warmherzigen Erntedankfeft-
Predigt bei verdunkelter Kirche unter leifem Orgelfpiel
Uhdes Bild ,Komm, Herr Jefu, fei unfer Gaft' zeigen und
knüpft nachdrücklich daran an (IX, 3). Von den Traureden
find 2 (Nr. 1 u. 3) textlos, von den anderen Predigten
nur Bodes Totenfeftpredigt. In der Traurede fagt
der Bremer Paftor: .verehrte junge Frau' und .verehrter

Herr B.', .Ihre Frau Mutter' und dann natürlich ,Sie'; in
dem ,Sie' folgen ihm eine Anzahl von Stadtpfarrern;
die Mehrzahl bleibt bei dem einzig richtigen .Euch', ja
es finde fich auch ein kräftiges ,Du' (S. 43). In Gedankenbildung
wie in Formgebung find die Darbietungen diefer
Sammlung alfo verfchieden, fogar recht verfchieden. Um
fo intereffanter ift ihr Studium für den, der die Entwicklung
der Predigt unferer Zeit aufmerkfam beobachtet.
Und um fo mehr kann auch der felbftändige Benutzer
daraus lernen.

Gießen. M. Schian.

Steinmetz, D. Rudolf: Heilige Stunden. Predigten auf
alle Fefttage des Kirchenjahres nebft einigen Predigten
aus dem letzten Teile der Trinitatiszeit. (VIII,
231 S.) 8°. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1914.

Geb. M. 3.75

Das vorliegende Predigtbändchen wird jeder mit
herzlicher innerer Bewegung zur Hand nehmen, wenn er
erfährt, auf welche Weife es entftanden ift. Der Verfaffer,
jetzt wohl der Neftor der Hannoverfchen Geiftlichkeit,
hat auf den Wunfeh feiner langjährigen Lebensgefährtin
die Auswahl und Zurichtung einer Reihe von Predigten
für den Druck begonnen. Inzwifchen ift fie ihm genommen
; und nun hat das Andenken an die Heimgegangene
ihn die lieb gewordene Arbeit fortfetzen laffen; die Trauer
des Vereinfamten hat in der Erfüllung des Wunfehes der
I Entfchlafenen einen Troft gefunden. So ift das Bändchen
ein Hilles Denkmal der ehelichen Liebe über den Tod
| hinaus.

Mir wars beim Lefen der Predigten, als fäße ich
wieder, wie einft, unter der Kanzel in St. Albani in Göttingen
. Zwar habe ich wohl keine der abgedruckten Pre-
| digten gehört; der Herr Verfaffer hat vorwiegend Feft-
predigten zur Veröffentlichung gewählt, da fie am erften
1 ,auch in ftille Stunden eines einfamen Lefers oder einer
i Familie etwas hineinwehen von der Höhenluft, welche die
zur Feier der großen Taten Gottes verfammelte Gemeinde
umweht'; die kirchlichen Fefte fallen aber in die
Studentenferien — Die Art des würdigen Predigers hat
indeffen etwas fo eigen Eindrucksvolles, daß man noch
nach Jahren beim Lefen feine Stimme hört.

Ich möchte ihn als klaffifchen Vertreter der in der
Erweckungszeit ausgebildeten Predigtweife bezeichnen.
Abgefehen von der Karfreitagspredigt, die mehr homilie-
artig gehalten ift, werden alle Predigten durch eine Pro-
pofition regiert; aber fo zwanglos fügt fich die Propofi-
tion dem Ganzen ein, und fo natürlich reihen fich die
Teile aneinander, daß die Predigten von den Vertretern
der hergebrachten Weife als Beweis dafür verwandt werden
können, daß die thematifche Predigt, gefchickt gehaltet
, wohl geeignet ift, auch dem modernen Gefchlecht
das Wort des Herrn zu verkündigen. Vor allem find die
Predigten im beften Sinne des "Worts biblifch, das foll
heißen, fie predigen nicht biblifche Theologie, aber fie
wiffen alle Lebensverhältniffe mit dem Licht des Wortes
Gottes zu durchleuchten. Sie find lehrhaft, aber nicht
dogmatifch, fondern fo, daß fie den tiefen Wert der Lehre
für das Leben erfchließen. Dabei ziehen fie die mannig-
fachften Gebiete zur Belebung des Stoffes heran: alte
Exegefe, Gefchichte und Kirchengefchichte, Mufik und
Plaftik, aber nie um den Hörer zu unterhalten, fondern
um ihn anzufaffen.

Gerne würde ich diefe allgemeinen Urteile an einzelnen
Predigten nachweifen; der mir zur Verfügung ge-
ftellte Raum geftattet es nicht. Deshalb sei kurz nur
auf einige Predigten hingewiefen; auf die Gründonnerstag-
Predigt: wie lebensvoll ift hier das heilige Abendmahl
behandelt, das fo leicht zu einfeitig dogmatifcher Behandlung
verführt; auf die Erntedankfeft-Predigt (.Hinleitung
zum Te Deum1): außerordentlich gefchickt ift hier der