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Ausgabe:

1914

Spalte:

622-623

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Karl Heinrich

Titel/Untertitel:

Johannes Sander v. Northusen, Notar der Rota u. Rektor der Anima. Ein deutsch-römisches Lebensbild am Ausgang des Mittelalters 1914

Rezensent:

Barge, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 22/23.

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Im Mittelpunkt feines Intereffes fteht die Frage nach der fchaffene Gnade oder Liebe in einem Menfchen nicht die
dem Duns immer noch nachgefagten Willkür Gottes famt wirkfame Urfache der Annahme durch Gott fein, fondern

den hieraus gezogenen ethifchen Konfequenzen. Entgegen
der üblichen Auffaffung hatte ich feinerzeit zu erweifen
verlacht, daß nach Duns Gott keineswegs als regellofe
triebartig wirkfame Willkür zu denken ift, fondern daß
feine einmal über die Welt gefaßten Willensentfchlüffe
zwar fchlechthin frei entftanden find, daß fie aber, fofern
er fie gefaßt hat, fchlechthin unverbrüchlich find. Darnach
trägt alfo die fog. potestas abfoluta mehr einen hypothe-
tifchen Charakter an fich. Sodann zeigte fich, daß die
Setzungen des göttlichen Willens an Gottes Vernunft und
Güte ihre Schranke haben, fowie ferner, daß jedem Willensakt
notwendig ein Denkakt vorangehen müffe. Wenn diefe
Sätze richtig find, fo ift es klar, daß die Idee der göttlichen
Willkür im Sinn des Duns Scotus nur das befagen
will, daß Gott in fchlechthiniger Freiheit, aber in Gemäßheit
feines vernünftigen und gütigen Wefens die Weltordnung
feftfetzt, die an fich fehr wohl ganz anders hätte
fein können. Minges hat diefe Auffaffung betätigt und
weiter begründet. In noch genauerer und bis in das
kleinfte Detail eingehender Weife gefchieht dies jetzt in
dem Buch von Klein. Es find im wefentlichen folgende
Gefichtspunkte, durch die er die angegebenen gemeinfamen
Gedanken erweitert. Die göttliche Effenz, aus der der göttliche
Wille fowie der göttliche Intellekt hervorgehen, gibt
der Vernunft die Richtung auf fich und bringt dadurch
die kategorifche Vernunftforderung an den Willen hervor,
fie felbft (d. h. die göttliche Effenz) um ihrer felbft willen
zu lieben. Diefer in feiner Göttlichkeit begründeten Notwendigkeit
entfpricht der Wille vermöge feiner Willensart
frei. Es liegt alfo im Wefen Gottes, daß er fich felbft
liebt oder will, und es liegt im Wefen des Willens, daß
dies in Freiheit gefchieht. Solch eine kategorifche Be-
ftimmung des göttlichen Willens fällt nun aber für ihn
weg, fofern er in der Richtung auf die Kreatur, die ihn
fchlechterdings nicht zu beftimmen vermag, tätig wird.
Hier ifi: alfo der Wille fchlechthin indeterminiert. Dabei
darf aber nicht überfehen werden, daß er feine Wahl
nur treffen kann innerhalb des Spielraumes der von dem
Intellekt ihm dargebotenen Begriffe. Der göttliche Wille
handelt alfo niemals im Widerfpruch zu der göttlichen
Vernunft. Indeffen bedeutet das nicht, daß der Wille
durch rationale Gründe determiniert werde, fondern feine
abfolute Freiheit, innerhalb der vernunftgemäßen Möglichkeiten
zu wählen, ift unbefchränkt. Er kann nur Vernünftiges
wählen, aber er wählt nicht etwas, weil es das Ver-
nünftigfte ift'. Hier wurzelt alfo das, was man die .Willkür
' des Duns zu nennen pflegt. Man fieht aber, wie fachgemäß
diefer Begriff eingefchränkt wird. Und er wird
das noch mehr, wenn man fich deffen erinnert, daß die

die Annahme erfolgt lediglich in der Weife eines freien
göttlichen Aktes d. h. der Acceptatio.

In den meiften Punkten wird man dem Verf. zu-
ftimmen. Vielleicht gilt, was er Minges vorhält, daß er
nämlich das indeterminiftifche Moment in dem fcotiftifchen
Gottesbegriff nicht deutlich genug betont habe (S. 241),
auch von ihm felbft. S. 224ff. hat Klein feine Abweichungen
von den übrigen Scotusforfchern zufammengeftellt. Die
Differenzen, die ihn von mir trennen (S. 237 fr.), gehen
nicht befonders tief, daher will ich hier nicht auf fie eingehen
. Die forgfältige Arbeit ift an ihrem Teil wohl
geeignet, das Verftändnis des Doctor subtilis zu fördern.

Berlin-Halenfee. R. Seeberg.

Schäfer, Karl Heinrich: Johannes Sander v.Northufen, Notar
der Rota u. Rektor der Anima. Ein deutfch-römifches
Lebensbild am Ausgang des Mittelalters. (VIII, 95 S. m.
i5Abbildgn.)gr.8°. Rom, M.Bretfchneider 1913. M.4 —

Johannes Sander aus Nordhaufen (1455 —1544) gehört
zu der großen Zahl deutfcher Geiftlicher undjuriften, die
während des ausgehenden Mittelalters an der päpftlichen
Kurie tätig waren. Auf die Erforfchung feiner Lebens-
umftände hat der Verfaffer die liebevolle Sorgfalt verwandt
, die auch fonft feine Arbeiten über die Schickfale
des Deutfchtums in Italien auszeichnen. Er facht uns die
Perfönlichkeit Sanders lebendig und leibhaftig vor Augen
zu führen. Freilich legt die Sprödigkeit des Materials, auf
das er angewiefen ift, das Bedenken nahe, ob er aus ihm
nicht gelegentlich zu viel herausgelefen hat. Über Sanders
Lebensumftände find wir faft ausfchließlich unterrichtet
durch vereinzelte Regiftrierungen feiner notariellen
Amtshandlungen und durch zahlreiche Einträge in den
(fchon 1875 herausgegebenen) Liber Confraternitatis B.
Marie de Anima Teutonicorum in Urbe, die gefchäftliche
Dinge betreffen. Aus folchen Notizen auf einen .ausgeprägten
hiftorifchen Sinn', eine ,philofophifch abgeklärte
Weltanfchauung', ,ernfteLebensauffaflfung' und .echte Frömmigkeit
' fchließen zu wollen, erfcheint gewagt, ebenfo wie
die Tatfache, daß er feine beiden Neffen nach Rom
kommen ließ, nicht ohne weiteres die Deutung zuläßt,
S. habe ,auch in der weiten Fremde die trauten Laute
der heimatlichen Sprache nie entbehren und fein deutfches
Gemütsleben im Welfchland nicht verlieren' wollen (S. 74 ff.).
Wenn wir hören, daß der römifche Notar im J. 1506 fechs
Pfründen in feiner Heimatftadt nebft Umgegend mit einem
Gefamteinkommen von ungefähr 6800 M in unferm Gelde
befaß — wozu Anfang 1508 noch ein Kanonikat an der
Wahl des Willens nur erfolgen kann in Gemäßheit der j Liebfrauenkirche zu Erfurt trat —, fo lag es näher, das

ihm immanenten göttlichen Güte oder fo, daß alles, was
er wählt, in Relation gefetzt wird zu der Grundbetätigung
des göttlichen Willens oder der Liebe zu der göttlichen
Effenz.

Es ift leiter nicht möglich, dies hier genauer zu entwickeln
. Bekanntlich hat Duns kein Syftem hinterlaffen,

objektiv Bedenkliche folcher Pfründenhäufung hervorzuheben
. Hier liegt ein Mufterbeifpiel für Mißftände vor,
gegen die fich die Bauern der Rothenburger Landwehr
während des Bauernkrieges im J. 1525 mit den Worten
wenden: .Weiterhin find wir befchwert mit fo viel Geift-
lichen, die anderswo wohnen, aber von uns allenthalben

fondern nur in den beiden Kommentaren zu dem Lom- j ihr Einkommen beziehen, großen und kleinen Zehnt, ob-
barden feine theologifchen Ideen entwickelt. Bei diefer | wohl fie gar nichts dafür leiften'.

zerhackten Form der Gedankenentwicklung ift es aber | Indeffen verkennen wir nicht die Vorzüge der vor-
verftändlich, daß manches im Unklaren bleibt und daß liegenden Arbeit. Mit Gefchick und Sachkenntnis ift vom
einige Äußerungen in wirklichen oder nur fcheinbaren j Verfaffer der gefchichtliche Hintergrund gezeichnet, auf
Widerfpruch zu" anderen treten. Es ift hier alfo nicht i dem fich Sanders Lebensumftände abfpielen. Wir erfahren

leiten die Verfuchung gewaltfamen Harmonifierens und
Syftematifierens ziemlich nahe gerückt. Hier und da
fcheint ihr auch Klein erlegen zu fein, aber in der Hauptnäheres
über die Einrichtung der Rota, des oberften
Gerichtshofs der ganzen katholifchen Welt, mit ihren
12 Richtern (auditores), deren jedem vier Notare zur Verlache
dürfte er das Richtige getroffen haben. Ich möchte J fügung ftanden. Und insbefondere werden wir eingeführt
nur noch hervorheben, daß fich von diefer Grundlage her 1 in das innere Leben der deutfchen Anima-Bruderfchaft,
die ftraffe Faffung der Prädeftination bei Duns ebenfo zu der vornehmlich deutfche Kurialen gehörten. Für fie
erklärt als der feiner Gnadenlehre eigentümliche Begriff j baute Sander das heute noch wohl erhaltene und gegender
Acceptatio. Das heißt: da Gottes Wille nie beftimmt j wärtig von der italienifchen Regierung zum Nationaleigenwerden
kann durch Kreatürliches, fo kann auch die ge- | tum erklärte Sander-Haus, einen gefchmackvollen Renaif-