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Ausgabe:

1914

Spalte:

617-619

Autor/Hrsg.:

Stählin, Otto

Titel/Untertitel:

Die Christliche Griechische Literatur. Sonder-Abdruck 1914

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 22/23.

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Der Vortrag enthält viele richtigen, wenn auch nicht
immer neue, Beobachtungen. Am meiften ift es zu begrüßen
, daß W. Verftändnis zeigt für die Schwierigkeiten,
die der ,Kritik' ihren Standpunkt aufzwingen. Er hat die
üblichen Pfade der Apologetik verlaffen und fich darauf
befchränkt, eine Lanze für die innere Wahrheit der
johanneifchen Chriftusidee zu brechen. Ob die im 4. Evangelium
mitgeteilten Einzelheiten des Lebens Jefu Anfpruch
auf hiftorifche Korrektheit haben, gilt ihm als
eine Frage minderer Bedeutung, und fpez. bezüglich der
Reden ift er zu weitgehenden Konzeffionen bereit. Daß
bei diefer Betrachtungsweife das Verfafferproblem nur
eben am Schluß geftreift wird, ift verftändlich. Lediglich
mit einem ,doch wohl' wird der Augenzeuge als Autor
in Anfpruch genommen. W. fchließt mit dem Eingeftänd-
nis, daß Zuftimmung zu dem johanneifchen Fundamentalfatz
von dem übergefchichtlichen Wefensgrund des ge-
fchichtlichen Jefus der Wiffenfchaft nicht abverlangt
werden kann. Nur der Glaube kann folches leiften.
Breslau. Walter Bauer.

Chrift, Wilhelm v.: Gefchichte der griechifchen Literatur.

Unter Mitwirkg. v. Otto Stählin neubearb. v.
Wilh. Schmid. 2 Tie. 6. u. 5. Aufl. (Handbuch der
klaff. Altertumswiffenfchaft, hrsg. von Dr. Iwan v.
Müller. 7. Bd.) (XII, 1319 S.) gr. 8°. München,
C.H.Beck 1911—1913. M. 37-; geb. M. 47.10

Stählin, Otto: Die Chriltliche Griechifche Literatur. Sonder-
Abdr. aus Wilh. v. Chrift's Griechifcher Literatur-
gefchichte. 5. Aufl. 2. Bd., 2. Hälfte. (IV u. S. 907—1246.)
gr. 8°. München, C. H. Beck 1913. Nicht im Handel.

Chrifts bekanntes und vielbenutztes Werk als Ganzes
hier zur Anzeige zu bringen, kann nicht meine Abficht
fein. Das Intereffe der Lefer diefer Zeitung muß ich
aber in Anfpruch nehmen für den letzten Teil. Er enthält
die chriftliche griechifche Literatur in neuer Bearbeitung
von Otto Stählin, dem rühmlich bekannten Herausgeber
des Clemens Alexandrinus, und ift als Sonderabdruck
erhältlich. Die chriftliche Literatur war von
Chrift noch in der 4. Auflage feines Handbuchs (1905)
fehr ftiefmütterlich behandelt und in den Anhang ver-
wiefen worden. Es lohnt fich nicht, über die von ihm
damals wieder abgedruckte Begründung ein Wort zu
verlieren. Wohl aber ift ein kräftiges Wort der Anerkennung
für die Energie am Platze, mit der Stählin fich
des Afchenbrödels angenommen hat. Aus den 50 Seiten
des Anhangs ift ein 339 Seiten umfaffender befonderer
Teil des großen Werkes geworden, und die Behandlung
der chriftlichen griechifchen Literatur im Handbuch der
klaffifchen Altertumswiffenfchaft fteht nun hinter der
lateinifchen durch Schanz, deren Abfchluß uns für 1915
verfprochen ift, nicht mehr zurück.

Es liegt nahe, Stählins Buch mit dem von Jordan
(der nebenbei bemerkt wie Stählin in Erlangen wirkt)
zu vergleichen, über das ich mich in diefer Zeitung 1912,
Sp. 171 —173 ausführlich geäußert habe. Jordan hatte
alle literarifchen Erfcheinungen unter dem Gefichtspunkt
der Entwicklungsgefchichte der literarifchen Formen
(Mehrzahl) behandelt. Ich bin mit St. darin einig, daß
er dabei den von Overbeck geltend gemachten Gefichtspunkt
, daß eine jede Literatur ihre Gefchichte in ihren
Formen habe, übertrieben hat, und was St. gegen eine
rein eidologifche Darftellung fagt, unterfchreibe ich voll-
ftändig. Nur wird dadurch Overbeck nicht getroffen.
Denn deffen foeben von mir wiedergegebene Anficht wird
entftellt, wenn man ihm, wie es St. tut, die Meinung
unterfchiebt, jede wirkliche Literaturgefchichte fei eine
Gefchichte der literarifchen Formen. Nein, nicht eine
Gefchichte der Formen, fondern eine Gefchichte der
Literatur in ihren Formen war das Programm, deffen

J Anwendung Overbeck auch für die altchriftliche Literatur
forderte, und hierin hat er Recht gehabt. Ich muß es
daher in der Tat als einen Rückfehritt, nicht fowohl
gegen Jordan als z. B. gegen Wendland bezeichnen, wenn
St. in der urchriftlichen Literatur die, wie wir hofften,
endgültig befeitigte Scheidung der teftamentarifchen und
außerteftamentarifchen Literatur wieder eingeführt, richtiger
, von Chrift übernommen hat. Ganz wefentlich doch
Gefichtspunkten zuliebe, die mit der Literaturgefchichte
nichts zu tun haben; denn St. leugnet es felbft nicht,
daß bei der wiffenfehaftlich anerkannten Methode ,die
literargefchichtliche Beurteilung der einzelnen Schrift erleichtert
, die Eigenart durch die Vergleichung mit zahlreicheren
Schriften der gleichen Literaturgattung beffer
erkannt wird'. Es ift wirklich ganz unmöglich, dem
gegenüber geltend zu machen, daß die im N. T. vereinigten
Schriften fchon von früher Zeit an eine gemein-
fame Gefchichte gehabt haben, das N.T. alfo als .Buch'
eine belondere Betrachtung verdiene, denn diefe Betrachtung
hat mit der Literaturgefchichte nichts zu tun. Vollends
die Berufung auf die praktifchen Bedürfniffe der
Benutzer des Handbuchs ift verfehlt, denn denen würde
viel beffer gedient, wenn die Refte des ,Dogmas vom
Neuen Teftament' (die ich übrigens bei St. nicht fuche)
endlich aus den Köpfen herausgefegt würden.

Auch von diefer grundfätzlichen Differenz abgefehen,
finde ich in St.'s Anordnung des literargefchichtlichen
Stoffes allerlei zu beanftanden. Ich bin der Letzte, der
den ,apoftolifchen Vätern' als einer literargefchichtlichen
Kategorie das Wort reden möchte, obwohl diefe Kategorie
gerade fo berechtigt ift wie die des Neuen Tefta-
ments, und obwohl fie Chrift beibehalten hatte. Aber
das Eine bleibt doch beliehen, nämlich, daß die foge-
nannten ,apoftolifchen Väter' zur urchriftlichen Literatur
gehören, wenn man unter diefer überhaupt etwas anderes
als neuteftamentliche Literatur verliehen will. Nun aber
findet fich bei St. die Erörterung über Hermas, Papias,
2. Klemens erft in dem Abfchnitt, den er ,Entftehung
einer chriftlichen gelehrten Literatur überfchrieben hat.
Hermas, 2. Klemens, Papias: .gelehrte' Literatur! Man
braucht das nur niederzuschreiben, um die Unmöglichkeit
einer folchen Einordnung drückend zu empfinden. Es
fcheint, als fei der Verfaffer hier durch Bardenhewer
irregeleitet worden, bei dem die genannten Schriften auch,
längft nachdem die urkirchliche Literatur an uns vorübergezogen
ift, im Verein mit Melito von Sardes (der zwi-
fchen Papias und Hermas fteht!) als fogenannte .innerkirchliche
Literatur' auftreten, eine Kategorie, die bei St
durch einen Hinweis auf Heraklit, Kandidus, Apion,
Sextus, Arabianus eingeführt und durch die Heranziehung
der pfeudoklementinifchen Briefe über die Jungfräulichkeit
und die Martyrien verftärkt wird. Es bedarf doch wirklich
nur einer ganz einfachen Überlegung, daß Hermas,
2. Klemens und Papias zu den .Schriften außerhalb des
N. T.s' gehören, die St. im erften Abfchnitt feiner Darftellung
zufammengeordnet hat. Jedenfalls hat aber die
bezeichnete .innerkirchliche Literatur' unter dem Stichwort
.gelehrte Literatur' nichts zu fachen.

Doch ich darf mit diefen Bedenken nicht fortfahren,
der Verfaffer wird die Bitte, bei einer neuen Auflage
hier eine berechtigten Anforderungen entfprechende Um-
ordnung vorzunehmen, ficher verliehen. Ich habe aber
noch ein weiteres Anliegen. Die Zeit vom Konzil von
Chalcedon bis zum Regierungsantritt des Kaifers Jufti-
nian fcheint mir auf den ihr gewidmeten 7 Seiten, von
denen 2>/2 auf den Areopagiten entfallen, gar zu ftiefmütterlich
— um das Wort in anderem Zufammenhang
zu wiederholen — behandelt zu fein. Ein fo hervorragender
Schriftfteller wie Severus von Antiochien wird
nicht einmal genannt, auch Zacharias Scholaftikus nicht,
der zwar mit feinem Freunde nicht rivalifieren kann, aber
doch fo völlige Nichtachtung nicht verdient hat. Sicher
wären auch andere noch zu nennen. Man hat den Ein-

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