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Ausgabe:

1914

Spalte:

616-617

Autor/Hrsg.:

Weber, Emil

Titel/Untertitel:

Die Vollendung des neutestamentlichen Glaubenszeugnisses durch Johannes 1914

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 22/23.

616

eine Zutat. Gleichzeitig hat O. zufammen mit Box den
Jefus Sirach nach ähnlichen Prinzipien in den von Charles
1913 herausgegebenen Apocrypha (f. diefe Zeitung 1914,
Sp. 40—42) I, 268—517 bearbeitet.

Heidelberg. Beer.

Moe, P. Olaf: Paulus und die evangelifche Gefchichte. Zugleich
ein Beitrag zur Vorgefchichte der Evangelien.
(X, 222 S.) gr. 8U. Leipzig, A. Deichert Nachf. 1912.

M. 4.50

Soviel auch über die Frage, wie fich Paulus zu dem
Leben Jefu geftellt habe, bereits gefchrieben worden ift, fo
vermißt doch Moe eine Unterfuchung, die das hinter den
Briefen liegende mündliche Evangelium des Apoftels Paulus
wieder herzuftellen unternimmt und mit der in den Evangelien
vorliegenden Überlieferung vergleicht. Und doch
wird fie, wie er meint, fchon durch den gemeinfamen Namen
nahegelegt, fowie durch die Tatfache, daß Paulus enge
Beziehungen zur Muttergemeinde, in der die evangelifche
Überlieferung entftanden ift, und zu zwei Evangeliften,
Markus und Lukas, gehabt hat. Gal. 1, 12 ff. und 2. Kor.
5, 16 ergeben, richtig interpretiert, keineswegs, daß Paulus
eine ablehende Stellung zur evangelifchen Überlieferung
eingenommen oder grundfätzliche Gleichgültigkeit gegen
das irdifche Leben Jefu ausgefprochen hat. Nach feinem
eigenen Zeugniffe (1. Kor. 15, 3; 11, 23; 2. Kor. 5, 16)
hat er vielmehr Traditionen der Urgemeinde empfangen
und fogar Jefus perfönlich gefehen und gehört. Damit
fteht im Einklänge, daß die Briefe mehr Hinweife auf die
evangelifche Gefchichte enthalten, als es zunächft den
Anfchein hat, und daß es lediglich in ihrer Eigenart begründet
ift, wenn fich nicht noch mehr derartiger Stoff in
ihnen findet. Die Quellen, aus denen wir die mündliche
Predigt des Apoftels kennen lernen, zeigen, wie Vieles aus
dem Leben und der Verkündigung Jefu Paulus feinen Hörern
mitgeteilt haben muß. Dasfelbe ergibt die Frage, was Paulus
bei feinen Lefern vorausfetzt: Er benützt nicht bloß im Allgemeinen
den Rahmen der evangelifchen Gefchichte, indem
er die Meffianität Jefu durch den Nachweis der erfüllten
Weisfagung und durch die Erzählung meffianifcher und
anderer wichtiger Tatfachen erhärtet und Herrenworte
fowohl in dogmatifcher als ethifcher Beziehung als Norm
verwertet. Er füllt diefen Rahmen auch im Einzelnen aus,
indem er eine anfehnliche Reihe konkreter Namen, Vor-
ftellungen und Begriffe (wie Apoftolat, Evangelium, Reich
Gottes, Fülle der Zeit, Buße, Glaube, Glaube Hoffnung
und Liebe, Erlöfung, Rechtfertigung, Sündenvergebung,
neuer Bund, Vaterunfer, Herrnmahl ufw.) verwendet, die
eine genaue Kenntnis der Einzelheiten des Lebens Jefu
fowohl bei ihm felbft als feinen Lefern vorausfetzen.

Im zweiten Teile feines Buches fchlägt Moe zur
Prüfung und Beftätigung des gewonnenen Refultates den
umgekehrten Weg ein und beginnt mit der Frage nach
der Entftehung und Beftimmung der Evangelienfchriften
und endet mit der nach ihrem gemeinfamen Inhalte und
den Anklängen daran bei Paulus. Sowohl die Selbftausfagen
der Evangelien als die kirchliche Tradition zeigen ihm,
daß fie einen lchriftlichen Niederfchlag des mündlichen
apoftolifchen Evangeliums, der Miffionspredigt und der
nachfolgenden Katechefe, enthalten. Hat aber das apofto-
lifche Evangelium dem Inhalt der Evangelien entfprochen,
fo wird das auch mit dem paulinifchen Evangelium der
Fall gewefen fein. In der Tat deckt fich der keineswegs
felbftverftändliche Aufriß der Evangelien (Ausgangspunkt
Rückblick auf das A. T., Schluß Auferftehung, in der
Mitte übemiegendfachlich-lehrhafteAnordnungdesStoffes)
mit dem, welcher den Miffionpredigten der AG zu Grunde
liegt, und dem, den wir den paulinifchen Briefen entnehmen
können. Die Unterfuchung des gemeinfamen Inhaltes der
Evangelien ergibt eine durchgängige Parallelität zwifchen
ihm und dem Evangelium des Paulus und führt zu dem

; Schluffe, daß Paulus von der allen Evangelien zu Grunde
liegenden Überlieferung abhängig ift. Und zwar ,wird

j fein Evangelium wohl mit der evangelifchen Überlieferung
in der Form des Mark, (und Luk.) am meiften Verwandt-
fchaft gehabt haben'. Damit ift die tiefe Kluft, die befonders

| nach der Tübinger und der religionsgefchichtlichen Schule
zwifchen dem Evangelium des Paulus und dem Evangelium

| der Evangelien klafft, überbrückt.

Schon die kurze Inhaltsangabe zeigt jedoch, daß diefe
Brücke mit einem Materiale und einer Technik gebaut ift,
die gerade denen unmöglich macht, fich ihr anzuvertrauen,
die fie am nötigften hätten. Ich füge zu dem, was fich
bereits aus dem Mitgeteilten ergibt, hinzu, daß Moe ohne
Weiteres fämtliche paulinifche Briefe als echt und die
Reden der AG als Quellen betrachtet, .die über das
mündliche paulinifche Evangelium Auskunft geben, als
Zeugen ,die Epifteln heranzieht, von deren Verfaffern wir
fonft wiffen, daß fie eine detaillierte Kenntnis der evangelifchen
Gefchichte befaßen', weder mit einer Abhängigkeit
der fynoptifchen Evangelien von einander noch von Paulus
rechnet, noch mit der Möglichkeit verfchiedener Schichten
innerhalb der Evangelien und der Apoftelgefchichte. Natürlich
ift ihm nicht unbekannt, daß er damit feine Brücke
auf Fundamente ftellt, denen Andere die Tragkraft ab-
fprechen. Wo er fich jedoch mit kritifchen Einwänden
gegen feine Pofition auseinanderfetzt, gefchieht es in völlig
ungenügender Weife, wie ich nur an einem Beifpiele zeigen
will. Das tjtl Uovzlov üeiXcctov (i. Tim. 6, 13) ift ihm
,ein gewichtiges Zeugnis dafür, daß Paulus fich um den
gefchichtlichen Zufammenhang der Gefchichte Jefu kümmerte
', der rocher de bronce bei Markus wie bei Paulus,
,woran jede Umdeutung des Lebens Jefu in einen gefchichts-
lofen Mythus fcheitern muß'. ,Mag es auch fein, daß diefe
Ausfage an den Wortlaut einer chriftologifchen Formel
angelehnt fei, fo verliert fie deswegen nicht ihre Bedeutung
für uns; denn um fo gewiffer bleibt es, daß auch im Falle
der Unechtheit des erften Timotheusbriefes Paulus jene
Notiz gekannt und in feiner Lehre verwertet hat.'

Das Buch bringt manchen beachtenswerten Beleg
dafür, daß zwifchen den Paulusbriefen und den Evangelien-
fchriften mehr Beziehungen beftehen, als Viele zugeben

wollen. Es ift dem Verfaffer jedoch nicht gelungen, zu

beweifen, daß die von ihm gegebene Erklärung diefer

Tatfache die richtige ift.

Bafel. Eberhard Vife her.

Weber, Prof. Lic. Dr. E.: Die Vollendung des neuteltament-
lichen Glaubenszeugniffes durch Johannes. (Programm.)
(35 S.) gr. 8°. Leipzig, Dörffling & Franke 1912. M. — 50

W. befchreibt in feinem der VI. Konferenz von
Religionslehrerinnen zu Elberfeld 1912 gebotenen Vortrag
den religiöfen Gehalt des johanneifchen Schriftenkreifes als
die Krönung des neuteftamentlichen Glaubenszeugniffes.
In den Spuren von Hofmanns gehend fucht er die Bedeutung
des Johannes darin, daß von ihm das Chriften-
tum auf feine einfachften Grundelemente zurückgeführt
worden fei. Joh. lehrt im Glauben und in der Liebe
das Leben aus Gott finden und verhütet fo das Auseinanderfallen
von Religion und Sittlichkeit. Indem er
fich zugleich in myftifcher Kontemplation in die Perfon
Jefu verfenkt und fo des übergefchichtlichen Grundes
der gefchichtlichen Erfcheinung des Herrn inne wird, gelingt
ihm die Verfchmelzung der fynoptifchen und der
paulinifchen Chriftusauffaffung. Auf dem Wege der Konzentration
, Vereinfachung und Vertiefung gewinnt er eine
großzügige Weltanfchauung, deren hervorftechendes Merkmal
ein ethifcher Dualismus ift. Auch der Anfchauungs-
welt der Johannesoffenbarung liegt diefer Dualismus zu
gründe. Hier erfährt er die notwendige eschatologifche
Abrundung, indem der endliche Sieg der Macht des
Guten geweisfagt wird.