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Ausgabe:

1914 Nr. 2

Spalte:

601-602

Autor/Hrsg.:

Wolf, B. G.

Titel/Untertitel:

25 volkstümliche Predigten über die ganze Augsburgische Konfession 1914

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 20/21.

602

7?ft recht nicht Menfch im Sinne der neueren Theologie.
Wo dies perfönliche Vertrauen da ift, gegründet auf Jefu
Gehorfam im Leben und organifch daraus fich ergebenden
Opfertod, da ftirbt in uns der alte Menfch mit feiner
Lottesferne und Gewiffensangft und die alte Sittlichkeit
mit ihrer Selbftgenügfamkeit und ihrem irrenden Gewiffen.
Ein Leben voll neuer fittlicher Motive mit ganz neuem
Vc-rfehungsglauben und Lebensmut bricht an, u. zwar deshalb
, weil Gott an Stelle des Liebeszornes (Zorn Gottes
•5 nar"n ^em Vf. kein eschatologifcher Begriff, fondern
jft erziehende Liebesreaktion auf das Böfe, mit pofitivem
Ziel) jetzt um der Verbindung mitjefus willen feine Freude
am Menfchen walten laffen kann. Es ift anzuerkennen,
daß in diefen Gedanken wefentliche Motive der neutefta-
mentlichen Frömmigkeit zu ihrem Recht kommen, beffer
als in der orthodoxen Theorie. Ich kann aber nicht finden,
daß hierin der Vf. erheblich anderes bietet als etwa J.
Kaftan, von dem er fich tief gefchieden fühlt, ebenfo wie
die breit dargelegte Verwandt!chaft mit den Kirchenvätern
wohl auf ftarker Selbfttäufchung beruht. Manche Einzelbeobachtungen
, z. B. gegen HarnacksThefe von der akuten
Hellenifierung, mögen richtig fein, ebenfo manche kritifchen
Einwände gegen die neuere Exegefe des NeuenTeftaments.
All die weit ausholenden Darlegungen aber find durchweg
negativ an den Einzelheiten der gegnerifchen Pofition orientiert
, und eine deutliche andersartige hiftorifche oder exe-
getifche Gefamtauffaffung tritt uns nicht entgegen.

Lauenburg (Elbe). Schmidt.

Wolf, Pfr. Lic B. G.: 25 volkstümliche Predigten über die
ganze Augsburgifche Konfelfion. (235 S.) gr. 8°. Leipzig,
Dörffling & Franke 1912. M. 3.50; geb. M. 4.30

Ich habe diefe in den Jahren 1907—19C9 gehaltenen
Predigten mit großem Intereffe wiederholt gelefen. Der
Verfafier hat die felbftgewählte Aufgabe mit Willenskraft
und Weisheit, unzweifelhaftem homiletifchem Gefchick und
der Gabe volkstümlicher Darfteilung durchzuführen verficht
. Ob er fein Ziel wirklich erreicht hat? — Man wird
wohl aus jeder diefer Predigten etwas mitgenommen haben.
Aber ich habe den Eindruck, daß er dort, wo er wirklich
packt, wohl die Auguftana als Ausgangspunkt, aber
in Wirklichkeit die Schrift und das Leben der Gegenwart
als Quelle nimmt; daß er aber, wo er fich genauer
an die Auguftana anzufchließen ficht, entweder dem wirklichen
Verftändnis der Auguftana oder den Bedürfniffen
der modernen Gemeinde nicht völlig gerecht wird. Die
Auguftana ift eine in den theologifchen Formulierungen
außerordentlich fein abgezirkelte ftaatsrechtliche Urkunde,
die als Grundlage für die politifche Rechtsftellung, aber
nicht für die gemeindliche Erbauung der Evangelifchen
ausgearbeitet ift; volkstümlich im eigentlichen Sinne ift
fie nie gewefen und kann fie nie werden. Außerdem ent-
fpricht fie nicht bloß in der Sprache, fondern ebenfo in
ihren Intereffen, ihrer Frageftellung und ihren Entfchei-
dungen dem Geiftesleben des 16. Jahrhunderts, nicht der
Gegenwart. Sie eignet fich daher wohl für einen Vortragszyklus
oder einen Unterrichtskurfus vor einem geschichtlich
, theologifch, juriftifch und philofophifch relativ
gebildeten und intereffierten Publikum, aber — trotz der
Verfiche von Claus Harms und Tholuck — fchwerlich für
eine zufammenhängende Predigtreihe. Ebenfowenig wie
man, um Vaterlandsliebe und deutfehes Nationalgefühl
7-u erwecken, gerade eine Vortragsreihe über die Paragraphen
der deutfehen Reichsverfaffung halten würde,
ebenfowenig wird man heutzutage die Belebung evangelifchen
Glaubens, Gemeingefühls und Bekennermutes
gerade durch homiletifche Behandlung der Artikel der
Conf Aug. erreichen. Dabei hat der Verfafier, um feiner
Aufgabe gerecht zu werden, auch nicht bloß die einzelnen
Artikel in ihrer Ordnung umgeftellt und fie auch felbft-
verftändlich gar nicht einmal alle vollftändig abdrucken

oder gar im Gottesdienft vorlefen können; er hat fie z. T.
doch auch ziemlich willkürlich behandelt. Daß er fremdartige
Abfchnitte und Anathematismen einfach bei Seite
läßt, verliehe ich. Aber ich verliehe z. B. nicht, mit
welchem Rechte er die Artikel 14—21 für ,Zufätze' erklärt
(S. 21), die Ablehnung des Chiliasmus völlig umdeutet
(S. 170f.), alle diejenigen, die nicht zum Abendmahl
gehen, ohne Weiteres als Verächter des Sakraments
und der Kirche charakterisiert (S. 132!, als katholifche
Sakramente den Priefterftand (ftatt der Priefterweihe) und
die Beichte (ftatt der Buße) nennt (S. 130h). Vor allem
Scheint mir, was S. 136 über den Glauben, S. 77 über die
Kirche, S. 141 über das Kirchenregiment gefagt ift, dem
eigentlichen Sinne der Conf. Aug. nicht zu entfprechen.
Sehr gekünftelt ift es, wenn der Verfaffer am 3. Advent
1908 aus Artikel XII der C. A. folgendes als Thema und
Propofition gewinnt (S. 123): ,Die Buße, das Banner des
Christentums, foll auch im neuen Kirchenjahre über uns
wehenI Es hat drei Farben: I. Das Schwarz des Leides
über die Sünde; II. Das Rot des fröhlichen Glaubens an
den Heiland der Sünder; III. Das Weiß der Frömmigkeit
und des ernften Kampfes wieder die Sünde'. Glücklicherweife
ift diefer Geiftesblitz in feiner Art ganz vereinzelt.
Man wird durch das kritifche Studium diefer Predigten
manches lernen (man würde fie gut in homiletifchen
Übungen befprechen können), zugleich aber auch deffen
gewiß werden, daß die Confessio Auguftana für den
Prediger unferer Gegenwart doch eine Saulsrüftung ift.

Frankfurt a. Main. W. Bornemann.

Ihmels, D. Ludwig: Siehe, ich mache alles neu! Ein Jahrgang
Predigten, geh. in derUniverfitätskirche zu Leipzig.
(IV, 708 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1913.
M. 6 — ; geb. M. 7.50; in 3 Bde. geb. M. 10 —

Seiner kleineren Sammlung ,Eins ift not' (3. Aufl.
1911) läßt Ihmels einen aus den Predigten verfchiedener
Jahre zufammengeftellten vollftändigen Jahrgang (70 Nrn.)
folgen. 7 Texte entflammen dem AT, die anderen faft
allen Büchern des NT; eine größere Anzahl der altkirchlichen
Perikopen begegnet, namentlich an den Feilen.
Der im Titel zum Ausdruck kommende Gedanke foll durchaus
nicht nur Motto fein, fondern die ganze Sammlung be-
herrfchen. Er tut das auch, freilich nicht in dem Sinne, daß
nicht manches andere Wort (wie mir fcheinen will, z. B.
Joh. 1, 14: Wir fahen feine Herrlichkeit) ebenfo oder faft
noch beffer an diefem Platz hätte flehen können. Die Offenbarung
der Herrlichkeit Gottes in Jefu Chrifto ift jedenfalls
der zentrale Inhalt (z. B. 100 ff. 162 ff); aber ihr ift eben
wefentlich, daß fie alles neu macht. Obwohl es Univerfi-
tätspredigten find und obwohl diefe Tatfache in mancher
Einzelheit ausdrücklich erwähnt wird, auch gelegentlich
auf die akademifche Jugend befonders Rückficht genommen
wird (z.B. 124. 129.385.705), bleibt dieDogmatik durchaus
draußen; nur gewiffe Gedankengänge erinnern an fie. Das
Evangelium von dem lebendigen Gott und feiner Offenbarung
in Geburt, Tod, Auferftehung Chrifti wird fo verkündigt
, wie die an der Kirchenlehre und an Paulus orientierte
Theologie es zu verkündigen pflegte. Daß derChrift,
der mit der Auferftehung noch nichts anfangen kann,
aufgefordert wird, zunächft einmal das Erdenleben Jefu
auf fich wirken zu laffen (63. 298), bedeutet vielleicht
einen moderneren Einfchlag, der aber fehr wenig zur
Geltung kommt. Der Glaube an diefe Offenbarung foll
erlebt werden; man foll ihn fich nicht ,abquälen' (23. 59),
nicht einfach anderer Erfahrung für fich gelten laffen
(35 {'> vgl. 58. 295); es kommt darauf an, daß wir heut
Gott erleben (169). Dies Erleben wird aber durch manche
Ausführung geftützt, die die Glaubwürdigkeit der biblifchen
Berichte unterfuchend dartut. Dabei werden Schwierigkeiten
z. B. für die Ofterberichte kurz zugegeben (297), aber
äußerft gering gewertet. Kritik findet fich dem Text und