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Ausgabe:

1914 Nr. 2

Spalte:

583-590

Autor/Hrsg.:

d‘Alès , Adhémar

Titel/Untertitel:

l‘Édit de Calliste. Étude sur les Origines de la Pénitence chrétienne 1914

Rezensent:

Koch, Hugo

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583

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 20/21.

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Apoftels), Heitmüller (maffive Sakramentsauffaffung),
Bouffet, Wendland (geiftige Ifolierung des Philo). Überhaupt
findet der Verf. diefe fchwergelöften Fragen noch
nicht fpruchreif. Er empfiehlt nach Bouffet eine intenfivere,
gemeinfame Arbeit von Theologie und Philologie.

Im Auto-Referate (Beiträge zur Religionswiffenfchaft
12, Stockholm u. Leipzig 1914) gibt der Verf. der Hoffnung
Ausdruck, daß feine Monographie ,einen nicht ganz wert-
lofen Beitrag zur Klärung einiger Hauptfragen der gegenwärtigen
Paulusforfchung gewähren könne'. Inwieweit
diefe Hoffnung berechtigt fei, ift allerdings fraglich. Der
Wert feiner Monographie liegt m. E. eher in ihren fpeziellen
Ausführungen über Bilderfprache und über Agon- und
Kriegsbilder bei Paulus. Diefer Wert wird durch eine I
gewiffenhafte Exegefe und eine gefällige Art der Dar-
ftellung erheblich erhöht. Der Verf. beabfichtigt dem-
nächft eine Unterfuchung über Opfer- und Rechtsbilder
bei Paulus zu bringen.

Fulltofta in Schweden. H. Scholander.

d'Ales, Prof. A.: I'ridit de Calliste. Etüde sur les Ori-
gines de la Penitence chretienne. (Bibliotheque de
Theologie hiftorique.) (VII, 484 S.) gr. 8°. Paris,
G. Beauchesne 1914. fr. 7.50

Ein Buch von beinahe 500 Seiten über ,das Edikt
Kailifts'! In Wirklichkeit, wie der Untertitel angibt, über
die Anfänge des chriftlichen Bußinftituts, aber mit zeitlicher
Ausdehnung bis ins 5. Jahrhundert hinein. Der
Verf., Profeffor am ,institut catholique' von Paris und
Mitglied des Jefuitenordens — was er zwar auf den Titelblättern
feiner Schriften anzugeben gerne unterläßt —,
hat fich in den letzten Jahren in verfchiedenen Zeit-
fchriften zur altchriftlichen Bußfrage geäußert und diefe
Abhandlungen nun in retouchierter und erweiterter Ge-
ftalt unter Hinzufügung neuer Kapitel zu einem Ganzen
verbunden, wobei er zugleich an feine früheren Publikationen
über die Theologie Tertullians (1905) und über die
Theologie Hippolyts (1906) anknüpfen konnte.

Nach einem einleitenden Kapitel über den Stand der
Frage behandelt d'A. in Kap. II die Stellung der Apoftel
zur Sündennachlaffung. Jefus Chriftus hat nicht bloß die
Taufe eingefetzt zur geiftigen Wiedergeburt der an feinen
Namen Glaubenden, fondern auch feinen Apofteln die Vollmacht
gegeben, die Seelenwunden zu heilen und in feinem
Namen die Sünden nachzulaffen (S. 12). Durch die Übertragung
der .Schlüffelgewalt' find die Apoftel beftellt
worden zu ,arbitres des consciences, investis du pouvoir
de prononcer sur terre des sentences (de condamnation
ou d'absolution, qui seront ratifiees au ciel' (S. 15). Und
da die Kirche auf Petrus gegründet ift, fo folgt daraus,
daß die an der kirchlichen Autorität Teilhabenden diefe
nur in Anlehnung an Petrus ausüben dürfen (S. 16). Die
Ausfagen des N. T. über die unvergebbaren Sünden:
die Läfterung gegen den hl. Geift (Synoptiker), die Unmöglichkeit
der Erneuerung nach dem Fall (Hebr.), die
Sünde zum Tode (I. Joh.) bilden eine Einheit und ftatu-
ieren eine wefentliche Beziehung zwifchen der tatfäch-
lichen Verdammnis des Sünders und feiner verftockten
Abwendung von Gott (S. 32). Die Apoftel, voran Petrus,
haben denn auch von ihrer göttlichen Vollmacht Gebrauch
gemacht und über Sünden gerichtet. Findet man
auch noch nicht das regelmäßige Funktionieren einer
Inftitution, ihre Grundlage war da und ihre Wohltaten
machten lieh von Anfang an fühlbar. Zur Kodifikation
ihrer Anwendung brauchte es Jahrhunderte (S. 51). Der
Paftor Hermae (III. Kap.) fchließt keinen aufrichtigen
Büßer von der göttlichen Verzeihung und der kirchlichen
Wiederaufnahme aus. Aber die Möglichkeit einer einmaligen
Buße für einen Fall nach der Taufe ift eine Wahrheit
, die man nur denen fchuldet, für die fie praktifch
wird (S. 71), nicht den Katechumenen und Necphyten,

denen der volle Ernft der Taufverpflichtung vor Augen
gehalten und die Kenntnis jener Möglichkeit durch einen
.opportunisme pastoral', einen ,point de vue economi-
que' vorenthalten wird (S. 102). Die Bußlehre des Hirten
ift ganz und gar durchdrungen von der Idee der Kirche.
Eine kirchliche Bußliturgie liegt freilich außerhalb feines
Gefichtsfeldes, wenn er auch von Anfang bis zu Ende
die kirchliche Rekonziliation im Auge hat (S. 105). Keine
Kategorie von Sünden, auch nicht Unzucht, Idolatrie
und Mord, ift von der kirchlichen Nachlaffung ausge-
fchloffen und allein der göttlichen Verzeihung anheim-
geftellt (S. 112). Von zwei dogmatifchen Strömungen über
die Buße keine Spur. Ift auch die öffentliche Kirchenbuße
nicht wiederholbar, fo fleht doch jedem Bußfertigen
ftets die Gnade Gottes offen (S. 113). Auch die übrigen
Stimmen des 2. Jahrhunderts (IV. Kap.) flehen mit dem
,Hirten' in Einklang und verraten die Spuren einer ge-
meinfamen Lehrtradition über die Wirkfamkeit der Buße
für alle Sünden. Die hierarchifche, um ihren Bifchof ge-
fcharte Kirche erfcheint fo im 2. Jahrhundert als die normale
Spenderin der Vergebung, und die kirchliche Rekonziliation
als die konkrete Überfetzung der göttlichen
Verzeihung (S. 133). Die einzige gefetzgeberifche Maßnahme
der Kirche in diefem Jahrhundert ift die Beftim-
mung, daß die öffentliche Buße — als genaues Pendant
zur einmaligen Taufe — nicht wiederholt werden dürfe.
Für den katholifchen Tertullian (De paen., d'A. Kap. V)
find Taufe und Buße zwei Wirklichkeiten derfelben Ordnung
, zwei parallele Einrichtungen, von denen die zweite
wiederherftellt, was die erfte erftmals gefchaffen hat
(S. 147). Unvergebbare Sünden und Sündennachlaffung
ohne kirchliche Adminiftration find ihm unbekannte Begriffe
(S. 178). Erft derMontanift (De pudic, d'A. Kap. VI)
führt die Trilogie der peccata irremissibilia (Sünden gegen
Gott) und die Trennung von göttlichem und kirchlichem
Nachlaß ein und macht aus dem Umfchwung feiner An-
fchauung kein Hehl. Seiner Behauptung, daß Idolatrie
und Mord von den Kirchen mit dauerndem Ausfchluß
beftraft würden, fleht die Praxis der Kirchen von Rom,
Alexandrien, Korinth u. a. entgegen (S. 204). Nach dem
Zeugnis Hippolyts (Kap. VII) hat Kallifl zum minderten
außer von Fleifchesfünden auch vom Mord abfolviert
(S. 225). Die Initiative Kailifts (Kap. VIII), der von Tertullian
als verfpäteter Vertreter einer bedauerlichen rück-
ftändigen Schwäche, von Hippolyt aber als Eröffner eines
der chriftlichen Sittlichkeit gefährlichen Laxismus hin-
geftellt wird, liegt darin, daß er für die hierarchifche
Kirche die Vollmacht in Anfpruch nahm, mittels der
Buße alle Sünden, vorab die Fleifchesfünden nachzulaffen
, und daß er dabei der Fürfprache der Bekenner
Rechnung zu tragen geneigt war. Seine Erklärung gab
dem Anfpruch auf ein von der Hierarchie ftets geübtes
Recht eine neue Faffung, und diefe war es, wogegen
fich Tertullian wandte (S. 250f.). Origenes (Kap. IX) ift
im 3. Jahrhundert einer der großen Lehrer, ja der große
Lehrer der Buße (S. 253). Seine Anfchauungen hierüber
haben aber nicht etwa gewechfelt, er ift nicht etwa vom
Standpunkt Hippolyts oder — ein umgekehrter Tertullian
— vom Standpunkt Montans zu Kailift übergegangen
(S. 255 f.). Er hat vielmehr ftets feinen Glauben an den
Erfolg der Buße für die Nachlaffung aller Sünden und
an das Recht der Kirche auf die Verwaltung bekannt.
Davon macht auch De orat. c. 28 keine Ausnahme:
,unheilbar' ift eine Sünde nur, wenn der Bußwille fehlt,
und was Origenes tadelt, ift die Leichtfertigkeit gewiffer
Priefter, die fchwere Sünder von der kanonifchen Buße
und jeder befonderen Sühne entbanden und fie durch
ihre Gebetsformel — wie durch eine Art Zauberfpruch —
abfolvieren zu können glaubten (S. 285, 294). Was die
Rekonziliation der ,Lapfi' unter Decius betrifft (Kap. X),
fo erhob fich im erften Stadium der Angelegenheit, während
der Sedisvakanz des römifchen Stuhles, keine einzige
Stimme für allgemeinen und dauernden Ausfchluß, viel-