Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1914 Nr. 18

Spalte:

561-562

Autor/Hrsg.:

Cohrs, Ferdinand (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte. 18. Jahrg 1914

Rezensent:

Bossert, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

56i

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 18 19

562

energifchen Widerfpruch; aber erft nach längerer Zeit
konnte erfterer das Material liefern, das allein den alten
Vorwürfen den Boden zu entziehen und die Wahrheit ans
Licht zu bringen imftande ift. Diefes Material, welches
nunmehr in diefem ftattlichen Bande gerammelt vor uns
liegt, wird zu einer fpäten, aber völligen Ehrenrettung
der bayr. Adeligen im Reformationszeitalter. Die Hartnäckigkeit
, mit der fich diefe Legende forterhalten konnte,
rechtfertigt die umfangreiche Wiedergabe der Akten-
ftücke. 2. Bayern gilt bis 1800 als das Bollwerk des
Katholizismus in Bayern; es war ein Werk der beiden
Herzöge Wilhelm und Albrecht. Der Kundige allerdings
wußte, daß auch diefer Prozeß nur durch heftige
Kämpfe hindurchging: aber im einzelnen fehlte es noch
an dem tieferen Eindringen in jene Verhältniffe. Es
traten nur einzelne führende Perfönlichkeiten greifbarer
hervor. Durch diefe Publikation ift die Lücke in bedeutendem
Maße ausgefüllt. Die geheimen Fäden laffen fich
jetzt vielfach greifen. 3. Soviele Publikationen wir über
die Reformationszeit haben, vielfach find es doch nur
Aktenftücke der fürftlichen und ftädtifchen Kanzleien.
Dem bureaukratifchen Geilt muß jede ein Opfer bringen.
Wie ganz anders die Korrefpondenzen der Männer; hier
merken wir das Leben, wie es pulfiert. Solche Momente
zeigen die hier veröffentlichten Aktenftücke weitaus am
meiften. Zwar finds Staatsfachen, mit denen fie fich oft
befchäftigen müffen, aber den persönlichen Charakter
verleugnen fie nicht. 4. Privatbriefe find es, die hier geboten
werden. Aber eben fie werden zum ehrenden
Zeugnis für ihre Verfaffer. Es waren keine felbftfüch-
tigen und eigennützigen Pläne, die diefe bayr. Adeligen
zufammenführten, es waren allein religiöfe Intereffen. Um
religiöfer Intereffen willen wagten fie alles. 5. Damit
werden fie aber zu einem Ehrenzeugnis für die ganze
Reformation felbft. Man lefe den Brief Nr. 45 vom 8. Nov. i
1563 — und man wird eine Ahnung bekommen von der
religiöfen Kraft, die die Evangelifchen im 16. Jahrhundert
erfüllte.

Die meiften Akten hat der zweite Herausgeber
Dr. Theobald, in deflen Händen auch die ganze Redaktion
lag, ausfindig gemacht. Das Reichsarchiv München
und das Stadtarchiv Regensburg boten die meifte Ausbeute
; follte in dem Archiv der Ortenburger Grafen
nichts mehr zu finden fein? Oder find etwa 1803 diefe
Archivalien aus guten Gründen nach München gekommen
? Daß die Herausgabe den Anforderungen der j
Neuzeit entfpricht, bedarf bei den Namen der beiden
Editoren nur der Erwähnung. Eine Zufammenfaffung des
Ergebnifles hat Theobald in den Beiträgen für bayr.
K.G. XX, 28—73 gegeben.

Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Zeitfchrift der Gefellfchaft für niederfächfifche Kirchengefchichte,

unter Mitwirkg. v. Geh. Konf.-Räten Drs. Ph. Meyer
u. Prof. Mirbt hrsg. v. Konf.-R. Superint. D. Ferdinand
Cohrs. 18. Jahrg. (IV, 285 S.) gr. 8°. Braunfchweig,
A. Limbach 1913. M. 5 —

Klem. Löffler bietet Auszüge aus Aufzeichnungen
eines Laienbruders des Auguftinerchorherrenftifts Böd-
decken, welche das Fortfehreiten der Reformation inHeffen
Braunfchweig, Göttingen, Lippftadt und andern Orten
Niederfachfens erzählen. Ein tieferes Verftändnis für die
weltbewegenden Fragen zeigt er nicht. Das Aufhören
von Singen und Meffe lefen, das Effen von Fleifch und
Butter an Fafttagen ifts, was ihn ärgert. Wohl ruft ihm
das Volk nach ,Wolf, Wolf, Mönch, Mönch', aber feinen
Geldfack bringt er ungefährdet heim. Die Volkstümlichkeit
der Bewegung tritt ganz klar hervor. Sollte nicht
ein wörtlicher Abdruck und eine kräftige Nachfrage nach
dem fehlenden Teil fich lohnen? Bertram von Damm,
einen Braunfchweigifchen Zeit- und Streitgenoffen Luthers,

einen humaniftifchen Dichter, behandelt Rechtsanwalt Dr.
R. v. Damm, der freilich der Sache nicht ganz gewachfen
ift; feine lateinifchen Texte wimmeln von Druckfehlern.
Peter Suavenius kennt er nicht. Zu Joh. Hornburg vgl.
BBKG. 3,171 ff, zu Drako ebd. 3,247. 9,193, zu Georg
Curio Enders 9,361. Dr. Regula gibt eine Analyfe des
Regierungshandbuchs, das die treffliche Herzogin Elifa-
beth von Braunfchweig-Lüneburg für ihren nur zu
bald entarteten Sohn Erich II 1545 aufgezeichnet hatte.
Ein Spottgedicht auf die Ehelofigkeit der Geiftlichen und
ein Jubelgedicht über die Niederlage Heinrichs von Braunfchweig
1545 veröffentlicht Dr. Deiter aus handfehrift-
lichen Chroniken. Die eigenartigen Katechismusarbeiten
des Hektor Mithobius beleuchtet F. Bünger. Da M.
1627—34 Superintendent in dem württembergifchen Böblingen
war, wird es fich verlohnen, feine Arbeiten darauf
anzufehen, wie weit fich etwa ein Einfluß des großen und
kleinen Katechismus von Brenz, den er in Böblingen behandeln
mußte, bemerklich macht. Schon die oft wiederkehrende
Frage (S. 128): Was nützt dich diefe Lehre?
erinnert an die Frage von Brenz: Wozu ift dir diefer
Glaube nützlich? Was Bünger den pietiftifchen Einfchlag
nennt, könnte auf Beeinfluffung durch feinen Calwer Nachbar
Joh. Val. Andrea zurückzuführen fein, deffen Beziehungen
zu Niederfachfen ebenfo, wie die feines Großvaters
Jakob einer neuen Unterfuchung wert wären. Ift
doch feine Summa doctrinae Christianae von 1614 in
Lüneburg 1644 neu gedruckt worden. Die Generalkir-
chenvifitation in der Altländifchen Präpofitur vom
8.—28. Mai 1716 behandelt W. Merz. Die ganze Stellung
und Tätigkeit des Gen.-Superintendenten, die ungemein
gründlichen Vifitationsfragen (S. 53) verdienen Beachtung.
Bezeichnend ift die Gefchichte des Simultaneums in
Schiedehaufen, die R. Sperber behandelt, mit der
gewalttätigen Drohung des damals jungen Ludwig Windhorn
: (S. 229) und dem Ruhmesblatt der evangelifchen
Gemeinde, die trotz ihrer Überlegenheit, ,wie es ein Starker
immer dem Schwachen gegenüber tut, ihre Hand über
die katholifche Gemeinde gehalten hat, daß es für die
Evangelifchen als eine Ehre galt, wenn fie mit den Katholiken
in gutem Einvernehmen lebten' (S. 230). Daten und
Urkunden des von der Regierung Jerome's gefchaffenen
kurzlebigen Göttinger Konfiftoriums gibt Abt D.
Knoke. Er beleuchtet feine Zufammenfetzung, feine
Leitung durch den Superint.Trefurt, dann den Schwaben
Prof. Plank, feine Haltung gegenüber dem weifchen
Regiment, feine Verdienfte um das Schulwefen, aber auch
feine völlige Ignorierung durch das Konfiftorium in Hannover
.

Stuttgart. G. Boffert.

Scholz, Priv.-Doz. Heinrich: Schleiermacher und Goethe.

Ein Beitrag zur Gefchichte des deutfehen Geiftes.
(III, 72 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1913.

M. 1.80

In der großen Epoche, die wir fein Zeitalter nennen,
ift ,Goethe allen vorangegangen'; Schleiermacher ,ift mit
Goethe emporgewachfen'. Diefe beide Sätze, ftreng aufeinander
bezogen, bilden den Ausgangspunkt der feinen
vergleichenden Darfteilung von Scholz. Die beiden
Männer haben fich nur in Halle 1805 gefehen und ge-
fprochen. Die Begegnung ift für keinen von beiden von
Bedeutung geworden. Auch von literarifcher Berührung
wiffen wir wenig. Es hat auf mich immer erheiternd
gewirkt, daß die einzigen Goetheverfe, die man bei
Schleiermacher zitiert findet, ein paar recht unbedeu-
dende aus dem Singfpiel Claudine von Villa bella find
(67. Anm. 28). Übrigens aber erfahren wir genau genommen
nur, daß Schleiermacher in Barby den Werther,
in Landsberg und Berlin den Wilhelm Meifter, Goethe
feinerfeits die .Reden' gelefen hat. Anfängliche Zuftim-