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Ausgabe:

1914

Spalte:

529-531

Autor/Hrsg.:

Petras, Otto

Titel/Untertitel:

Der Begriff des Bösen in Kants Kritizismus und seine Bedeutung für die Theologie 1914

Rezensent:

Dorner, August

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 17.

530

intelligible Freiheit befteht, fondern daß fie auch in der
Empirie eine Reihe aus fich felbft anfangen könne. Es
liegt Kant durchaus daran, daß die praktifche Vernunft
und die Freiheit auch in der empirifchen Welt fich betätigen
können. Gerade um die Vereinbarkeit des Natur-
und Sittengefetzes, von Glückfeligkeit und Güte handelt
es fich für ihn. Es ift deshalb auch konfequent. wenn
Kant in feinen kleinen Abhandlungen über die Gefchichte
die Übereinftimmung der Natur mit den ethifchen Zwecken
nachzuweifen fucht, infofern die in dem Zufammenhang
mit der Natur ftehenden Fehler gerade der Betätigung
der praktifchen Vernunft Anregung geben, was fich be-
fonders in der Begründung des Rechtszuftandes und feiner
Ausbreitung über die ganze Erde offenbart. (Vgl. hierüber
meine Abhandlung über die Entwicklungsidee bei Kant
in den Abhandlungen der Univerfität Königsberg 1904.)
Wenn P. fich wundert, daß Kant hier die Natur wie eine
Vorfehung behandle, fo ift doch wohl Kants Meinung nur
die, daß die Gefchichte ein Zufammenftimmen von Natur
und Vernunft fchließlich trotz des entgegengefetzten
Scheines aufzeige. Das liegt ganz in derfelben Linie, wie
Petras, Lic. Otto: Der Begriff des Bolen in Kants Kritizismus Kant in der Kritik der Urteilskraft das Zufammenftimmen

von Natur und Geift im teleologifchen Gebiet nachweifen

lifchen Pfarrers in Salzburg, Heinrich Aumüller, der kurz
vor feinem 40j'ähr. Amtsjubiläum durch den Anprall der
,Neuproteftanten' fortgeärgert wurde, hat Pfr. Koch in
Wallern die fchmucke Feftfchrift zur Feier des 50jähr.
Beftehens der Gemeinde herausgegeben. Auf die Heldenzeit
der Salzburger kommen nur zehn Seiten. Das Übrige
gehört den Gefchehniffen während der ,Duldung' und der
Gleichberechtigung'. Es handelt fich um eine durchaus
volkstümliche Feftgabe. Selten wird eine Quelle erwähnt,
nicht einmal das Gemeinde-Archiv ift ganz ausgebeutet. Für
die wiffenfchaftliche Welt fei um fo mehr hier die erfreuliche
Mitteilung angefchloffen, daß ein reichsdeutfcher
Gelehrter und ein katholifcher Ofterreicher den gewaltigen
Stoff zu einer Gefchichte der evangelifchen Salzburger
aus der ganzen Welt gefammelt haben — fchon das
Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien birgt eine unheimliche
Fülle —, wodurch alles bisher Erfchienene in
den Schatten geftellt werden dürfte.

Wien. Georg Loefche.

u. feine Bedeutung f. die Theologie. (III, 85 S.) gr. 8°.
Leipzig, J. C. Hinrichs 1913. M. 2.80

Der Verfaffer fucht zunächft zu zeigen, welche Stellung
in Kants Ethik das Böfe einnimmt; dann will er die
Stellung des Böfen in der angewandten Ethik, befonders
in der Pädagogik und Gefchichtsphilofophie, endlich den
Begriff des radikalen Böfen in der Religion innerhalb der
Grenzen der bloßen Vernunft behandeln. Er kommt hier
zu dem Refultate, daß das Böfe nicht in der Begründung
der Ethik auf die Autonomie und Freiheit vorkommen
könne, weil es fich hier um die intelligible Welt handelt,
die vernünftig ift. Das Böfe könne erft in der konkreten
Ethik zur Geltung kommen, wenn es fich darum
handle, daß die fittliche Aufgabe von dem homo Phae-
nomenon durchgeführt werden foll. Der Zufammenftoß
der apriorifchen Vernunft und des empirifchen Wollens
vollzieht fich im Gefühl, das einerfeits Gefühl der Nieder-
gefchlagenheit des empirifchen Menfchen und andrerfeits
ein Gelühl der Erhabenheit der praktifchen Vernunft
enthält, und das fich im Ganzen als Achtung vor dem
Gefetz darftellt. Das Böfe hat nun feinen Grund weder
in der praktifchen Vernunft noch in der Sinnlichkeit und
den Neigungen, die an fich nicht fchlecht find, fondern
in der Verbindung von beiden. Er meint, das Böfe fei
immer nur am Guten und beides fei miteinander verbunden
, aber fo, daß das erkannte Böfe immer die Tendenz
wachruft, im Guten fortzufchreiten, nicht am Böfen
zu haften.

Allein fo viel Richtiges an diefen Sätzen fein mag,
fo fcheint mir doch P. zweierlei zu überfehen, einmal das,
daß Kant auf die Gefinnung, den guten Willen, das Hauptgewicht
legt und demgemäß auch das Böfe in der böfen
Grundmaxime finden muß, die darin befteht, daß die
praktifche Vernunft mit ihrer Forderung grundfätzlich
den Neigungen untergeordnet wird, nicht als ob nicht
die Vernunft hiergegen reagierte, und das Böfe tadelte,
— es ift richtig, daß das Böfe für das Bewußtfein der
Vernunft Anlaß zur Reaktion ift, — aber doch fo, daß
die an fich berechtigten Faktoren in einem grundfätzlich
falfchen Verhältnis zu einander flehen. Woher freilich
ein folch falfcher Wille kommt, das macht Kant nicht
deutlich. (Vgl. hierüber meine Schrift über die Prinzipien
der Kantfchen Ethik.)

Sodann überfieht P., daß für Kant der gute Wille
eine metaphyfifche Realität ift, und daß die praktifche
Vernunft nicht bloß regulative Bedeutung hat. Schon in
der Kritik der r ei n e n Vernunft löft er die Antinomie, welche
die Kaufalität betrifft fo, daß die Kaufalität der Natur der
aus Freiheit nicht widerftreite. Im Intereffe der praktifchen
Vernunft liegt es, daß nicht bloß die

will. Ebenfowenig vermag ich P. zuzuftimmen, wenn er
Kants Lehre vom radikalen Böfen nicht in Übereinftimmung
findet mit feinen fonftigen Anflehten über das Böfe, weil
hier das Böfe nicht wesentlich als Anregungsmittel für das
Gute betrachtet werde. Vielmehr kann Kant nicht wohl
anders als das Böfe in der falfchen Grundmaxime finden,
wie er das Gute in der Gefinnung findet. Dabei will er
aber auch hier keinen Dualismus, da die Neigungen des
homo Phaenomenon nicht an fich fondern nur infofern
fchlecht find, als fie nicht in grundsätzlicher Unterordnung
unter die Vernunft find. Wenn Kant das Sittliche
nicht lediglich in einem regulativen ohnmächtigen Soll
verharren laffen wollte — und das wollte er nicht —
fo mußte er bemüht fein zu zeigen, daß fich die Freiheit
auch in der empirifchen Welt betätigen könne.
Wenn damit das Intelligible zeitlich wird, wenn er von
einem intelligiblen Fall und einer intelligiblen Umkehr
redet, fo will Kant damit fagen, daß die fittliche Freiheit
nicht bloß ein Soll bleiben kann, fondern fich reali-
fieren muß und zwar als dauernde Gefinnung, die auch
die Empirie beftimmen kann. Es mag wahr fein, daß
die empirifche Welt als bloße Erfcheinung eigentlich
keine Realisierung des Sittlichen ermöglichen kann. Aber
Kant will jedenfalls, daß die moralifche Gefinnung fich
auch in unferem empirifchen Leben betätige, alfo auch in
dem pfychologifchen Zufammenhang erfcheine, was man
daraus fehen kann, daß er auf einen dauernden Fortfehritt
in längeren Perioden als Zeichen der Umkehr ein großes
Gewicht legt. Eben darin, daß Kant die Zufammenftim-
mung des Naturgefetzes mit dem Sittengefetz fordert, die
durch die apriorifche Vernunft für fich nicht garantiert ift,
liegt ja für Kant auch die Anerkennung der Religion.
Kant bleibt nicht, wie P. zu meinen fcheint, dabei flehen,
als das wefentlich religiöfe Moment die Stellung der fitt-
lichen Aufgabe anzufehen, die doch am Ende unfere praktifche
autonome Vernunft fich felbft ftellt, auch kann
man in der Fähigkeit uns felbft als böfe zu verurteilen
nicht eine Gnadenerweifung fehen: denn das hieße: es
fei als Gnade anzufehen, daß wir fittliche Vernunft haben.
Warum wir diefe Vernunft als Gnade betrachten follen,
ift von Kants Standpunkt der Autonomie gar nicht zu
verftehen. P. überfieht, daß es fich vielmehr in der Religion
darum handelt, in Gott eine Garantie dafür zu haben,
daß die Natur und das Naturgefetz mit dem Sittengefetz
übereinftimme trotz des entgegengefetzten Scheines, damit
die Forderung der praktifchen Vernunft auch in der empirifchen
Welt fich verwirklichen laffe. Diefes Intereffe
leitet ihn in feiner Religionsphilofophie, in feiner Gefchichtsphilofophie
und Pädagogik, ja felbft in feiner Naturteleo-
logie und Äfthetik, und über diefem ethifchen Intereffe