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Ausgabe:

1914 Nr. 17

Spalte:

527-529

Autor/Hrsg.:

Peregrinus, J. S.

Titel/Untertitel:

Der Protestantismus in Tirol 1914

Rezensent:

Loesche, Georg

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527

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 17.

52S

Das Buch ift ungemein fleißig gearbeitet, faft zu fleißig;
denn man verfinkt geradezu in Details und muß große,
führende Linien fchmerzlich entbehren. Vf. fkizziert zu-
erft den polnifchen Unitarismus, der unter feinen erften Anhängern
einen Niederländer, Spiritus, aufweht. Für die
fozinianifch-unitarifchen Ideen gab es in den Niederlanden
zahlreiche Anknüpfungspunkte; mit Recht betont daher
K. und macht es durch einen guten Überblick über die
verfchiedenartigen religiöfen Richtungen klar, daß man
nicht fofort alles als fozinianifch beeinflußt hinftellen darf,
was Berührungen mit dem Sozinianismus zeigt. Unmittelbarer
Sozinianismus ift zuerft 1598 durch van
Ofterodt und Woidowski nach den Niederlanden gedrungen
, ihre Bücher wurden aber befchlagnahmt. Die
fozinianifchen Ideen dringen aber immer weiter ein, wie
eine Anzahl Streitigkeiten über die Satisfaktion (Vorftius),
die Chriftologie und Dreieinheit (Outerman) und die Logoslehre
(Nittert Obbes) beweifen. Nach dem Untergange
des polnifchen Sozinianismus (1638fr.) wird der
Einfluß der Sozinianer auf die Niederlande noch ftärker,
die fozinianifche Literatur wird dort gedruckt, und die
fozinianifchen Ideen dringen auch in die unkirchlichen
Kreife, wie die der Rhijnsburger. Am fchroffften fchließen
fleh die Calviniften gegen den Sozinianismus ab, die Re-
monftranten weigern ihm zwar auch die kirchliche Ge-
meinfehaft, flehen ihm aber theologifch nahe, wie Hugo
Grotius, den K. ausführlich und gut charakterifiert, beweift
. Der Sozinianismus hat fleh felbft im Laufe der
Zeit aber auch gewandelt, insbefondere durch Rezeption
der natürlichen Gotteserkenntnis, die er früher ablehnte.
Er fpielt dann in dem großen, fchließlich im Deismus
ausmündenden Zerfetzungsprozeß eine Rolle, insbefonders
wirkt feine kritifche Exegefe. Semlers Urteil wird richtig
fein: vix aliis scriptorum aliorum theologicis scriptionibus
magis exerceri atque ad nos augeri posse hermeneuticam
omnem s. s. facultatem quam Socinianorum libris. Nicht
minder wirkte ihr Moralismus. Ob und wie weit fie auf

genüge: Die Predigtftation Bozen-Gries wartet feit mehr
als zehn Jahren auf die Anerkennung feitens der Landes-
Regierung als Pfarrgemeinde, obfehon alle gefetzlichen
Vorbedingungen erfüllt find.

Wir wiffen von Denifle her, wie ein ,grober Tiroler',
von Grifar, wie ein feinerer, mit bewundernswerten,
Mitteln in den Proteftantismus Brefche zu legen verflachte
; weitab von ihnen flehend verflacht es Peregrinus,
die Zwerggeftalt, mit feinen kleinen Liften und Kniffen.
Obwohl er fehr perfönlich wird und Lebende fcharf angreift
, verfchanzt er fleh hinter einen Decknamen. Wir
wollen fein Vifier lüften. Es ift Pater Schunta, S. J.

Seit mehr als einem Jahrzehnt hat er als Mitarbeiter
des altkonfervativen ,Tiroler Volksblattes' in Bozen und
des klerikalen ,Burggräflers' in Meran feine Streitartikel
ergehen laffen, mit geringem Erfolg. Mit großem Fleiß,
aber unbekümmert um die Art, fammelte er feinen Stoff,
fo daß es ihm dabei felbft nicht ganz geheuer ift. Nun
hat er feine reiche Sammelmappe ausgefchüttet, um nach
feinem Wahn einen entfeheidenden Schlag zu führen und
zu beweifen, daß die neuere proteltantifche Bewegung in
Tirol eine große ,Blamage' fei, wobei es unverftändlich fei,
daß fonft achtbare Männer fleh daran beteiligen. Der
Jefuit vertritt den fehr begreiflichen Wunfeh, Tirol möchte
wieder das ,Land der Glaubenseinheit' werden, wenn er
fleh auch dem nicht verfchließt, daß jede Religionsge-
meinfehaft das Recht habe, für ihre Ausbreitung tätig zu
fein. Er möchte gern den Säulen der Parität ein Simfon
•werden, obfehon er dagegen ift, etwa jenes bedenkliche
und veraltete Landtagsgefetz wieder auferflehen zu laffen.
Aber fein Eifern um den Herrn Zebaoth zielt dahin, den
Proteftantismus der allgemeinen Verachtung preiszugeben,
obfehon er nicht jedes Lob ausfchaltet. Er handelt zu-
nächft von der Wiederherftellung der durch die foge-
nannte Reformation durchbrochenen Glaubenseinheit (1620
—1848), ,zu deren Aufrechterhaltung es an Gewaltmaßregeln
und blutiger Verfolgung nicht fehlte, die Jeder,

die Preisgabe der Apolution feitens der Täufer einwirkten, | der die Zeitverhältniffe berückfichtigt, begreiflich und
erfahren wir nicht, wie überhaupt K. den foziologifchen | natürlich finden wird'. Das ift immerhin noch ehrlich

Problemen leider keine Beachtung gefchenkt hat.
Zürich. Walther Köhler.

gefprochen. Sonft wird es jetzt fehr Mode, jene Gräuel
zu verfchweigen oder als übertrieben hinzuftellen.
Schunta fchildert weiter den Kampf um die Glaubens-

Peregrinus, J. S.: Der Proteftantismus in Tirol. Über- einheit und fihrekBÄu?? H84^8^' woh? ad,ie
a ,. ' j! „ „ , r , , ,„..,,... neuere Literatur nicht berückfichtigt ift. Der zweite Ab-

fichthehe Darftellg. desfelben m. befond. Beruckficht. . {chni% auf den es vor allem ankommt> gjfe der Zeit feit

der neueften proteftant. Bewegg. Nebft e. Anh. ub. i der wirklichen Aufhebung jener Einheit, 1876 bis heute.

den Proteftantismus in Vorarlberg. JVIU, 128 S.) 8°.
Brixen, Buchhandlung der Verlagsanftalt Tyrolia 1912.

M. 2 —

Aumueller, Heinrich: Gelchichte der Evangelifchen im Salzburger
Lande vom 15. Jahrhundert an, als Feftfchrift der
evangelifchen Gemeinde Salzburg zur Feier ihres
5ojähr. Beftehens gewidmet von ihrem erften Pfarrer.
(63 S.) 8°. Hofgaltein, H. Nägelsbach (1913). M. — 60

Beide Schriftchen können hier nur kurz erwähnt
werden, die erfte aus dem feindlichen Lager, die zweite
aus unteren Reihen.

I. In Tirol iftjofephs II. Toleranzpatent noch immer
nicht unangefochten; erft kürzlich hat man verflicht,
der allerdings verwickelten Frage eine neue Wendung
zu geben: Die übliche Form der Verkündigung von den
Kanzeln fei damals unterlaffen worden, und deshalb müffe
das Patent als nicht publiziert gelten. Nun, die höchften
Regierungsftellen find ftets für die Giltigkeit eingetreten.

Eigentümlich fleht es auch mit dem .Proteftanten-

?atent' von 1861, das die Gleichberechtigung (auf dem
apier) brachte. Die Regierung wich erft vor dem Landtage
zurück, um fleh dann defto kühner über deffen Be-
fchluß hinwegzufetzen. Kein Wunder, daß man immer
wieder verfucht, dort dem Proteftantismus ein Bein zu
flehen. Die Zeit ift dafür günftiger als je. Ein Beifpiel

Ein Anhang behandelt den Proteftantismus in Vorarlberg
, aber nur feit 1861, bei welcher Gelegenheit auf die
Abhandlung von Schöch, ,Die religiöfen Neuerungen des
16. Jahrhunderts in Vorarlberg bis 1540' (1912) verwiefen
fei, die zum erftenmal eine gefchloffene Zufammenftellung
des zerftreuten Stoffes aus Büchern und Archiven bringt.

Es ift feltfam, daß Schunta, der meift nach niedrigen
Beweggründen fpäht und alles Häßliche oder häßlich
zu Deutende zu erhafchen und zu buchen trachtet, fleh
niemals die Frage vorgelegt zu haben fcheint, wie er die
Sache betrachten würde, wenn es fleh um katholifche
Propaganda in einem wefentlich evangelifchen Lande
handelte. Wie würde er den Opfermut der Miffionare
preifen, ihre Arbeitsfreudigkeit, die fleh durch keine Verleumdungen
fchrecken läßt; das kleine Häuflein der
Frommen, die fleh gegenüber der erdrückenden Mehrheit
der Andersgläubigen durchfetzen wollen; die großartige
Unterltützung durch die auswärtigen Glaubensgenoffen;
den Wettftreit, der dadurch der Mehrheit aufgezwungen
wird Immerhin, um allem Pharifäismus vorzubeugen,
mögen die Tiroler Proteitanten in diefen Spiegel fehen
und fleh prüfen, wie weit er Hohlfpiegelfratzen zurückwirft
oder wiefern er auch manches richtig aufgefangen
haben mag! Auf eine Reihe von Einzelheiten bin ich im
Jahrbuch für die Gefchichte des Proteftantismus in Öfterreich
' 34, 290f. eingegangen.

2. Aus dem Nachlafle des wackeren erften evange-