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Ausgabe:

1914 Nr. 17

Spalte:

519-521

Autor/Hrsg.:

Mosiman, Eddison

Titel/Untertitel:

Das Zungenreden, geschichtlich und psychologisch untersucht 1914

Rezensent:

Meyer, Arnold

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 17.

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aller der Dogmen flammen, mit denen die neue Religion
fich von ihrer eschatologifchen Urform befreit: Chrilto-
logie, Soteriologie, Lehre von der Kirche und den Sakramenten
. Daß bei ihm felbft diefen neuen Kerngedanken,
die den Schwerpunkt des Chriftentums aus der reinen
Zukunft in Gegenwart und Vergangenheit verfchieben,
ihr eschatologifcher Urfprung z. T. noch deutlich aufgedrückt
ift, ift keine neue Weisheit des Verfaffers. Es
kommt aber alles gerade darauf an, daß man die neue
entfcheidende Wendung zur Gegenwart und zur vergangenen
Heilsgefchichte als das verlieht, worauf die
ganze folgende Gefchichte des Chriftentums beruht, und
daß man fie religiös, aus den gewaltigen Erlebniffen,
nicht wie der Autor tut, dogmatifch aus gedanklichen
Umfchiebungen im eschatologifchen Syftem verlieht. Wie
bei Jefus der ganze Meffianismus und der kühne Glaube
an den Anbruch der Gottesherrfchaft in ihm und feinen
Kräften aus der unerhörten Kraft und Freudigkeit feines
Gottesbeützes herausquillt, d. h. aus einer fehr realen Erlebnisgrundlage
, fo wird auch bei Paulus die ganze Transponierung
der Religion aus der bloßen Zukunftsfehnfucht
in freudigen Gegenwartsbefitz, der der Sehnfucht erft
eine getrofte Balis gibt, mit dem zufammenhangen, was
er durch feinen Chriftus erlebt hat und als Gnaden- und
Geiftesempfang befchreibt. Das vom Verfaffer fo verächtlich
behandelte Pfychologifieren fcheint mir, recht
verftanden und geübt, gerade die theologifche Hauptaufgabe
in diefen Dingen zu fein. Es gilt immer wieder
durch die zeitgefchichtlichen Vorftellungsformen zu den
einfachen Erlebniffen hindurchzudringen und jene als
Ausdrucksmittel diefer Erlebniffe zu begreifen, ob fie nun
aus der helleniftifchen oder apokalyptischen Sprache genommen
fein mögen. Zum minderten für die großen
Quellpunkte der Religionsgefchichte, wo neue Erlebniffe
lieh erftmalig Ausdruck geben, fcheint mir diefer Weg
der einzig ratfame zu fein.

Bafel. P. Wer nie.

Mofiman, Eddifon: Das Zungenreden, gefchichtlich und
pfychologifch unterfucht. (XV, 137 S.) gr. 8°. Tübingen
, J. C. B. Mohr 1911. M. 4.50

Verf. ift amerikanifcher Theologe und hat feine
Arbeit urfprünglich in englifcher Sprache zur Löfung
einer Preisaufgabe eingereicht. Den Anlaß zur Stellung
des Themas und zu des Verf.s Befchäftigung damit bot
das ftarke Auftreten der fogenannten Pfmgftbewegung
in Nordamerika und befonders in Chicago felbft: er ift
daher in der Lage, aus eigner Anfchauung berichten zu
können. Mit dem, was er fo ,fchaudernd felbft erlebt',
und was andere Beobachter und Beurteiler aus älterer
und neuerer Zeit beigebracht haben, vergleicht er die
neuteftamentlichen Angaben in fachgemäßer Weife und
findet hier wie dort die gleiche ekftatifche und, wie man
demnach h eutzutage fagen muß, pathologifche Erfcheinung,
die er mit den Mitteln der heutigen pfychologifchen und
medizinifchen Wiffenfchaft analyfiert. Ermutigt durch
Joh. Weiß, der auch verbeffernd in die Arbeit eingegriffen
hat, ift Verf. dann an diefe deutfehe Umarbeitung gegangen
, der man die englifche Herkunft noch hier und
da anmerkt.

Für das Zungenreden fetzt er richtig mit I Cor. 12
—14 ein, wo ein unverständliches, ekftatifcb.es Reden
gemeint ift. Dies ,unverftändliches reden' faßt er fo
Streng, daß er, wohl zu philologifch korrekt, das ,abba'
und das .Seufzen ohne Wort' Rom. 8, 15. 26 nicht zur
Gloffolalie rechnen will. Die Anflehten darüber, was bei
Paulus und in der Apg. fprachlich das myftifche yXä>00a
bedeute, werden ausführlich diskutiert, die Entscheidung
erfolgt in etwas gewaltfamer Weife erft am Ende des
Buches, S. 130 nach der pfychologifchen Erklärung der
gefamten Erfcheinung. Die Löfung, der Ausdruck fei
abgekürzt aus .göttliche, geiftige, himmlifche Sprache'

und fo Schon im Heidentum gebräuchlich gewefen, erscheint
mir mehr konstruiert als erwiefen und einleuchtend;
Belege außerhalb des N. T. finden fich nicht, und ein
fo wichtiger Begriff wie .göttlich, himmlifch' wäre weg-
gelaffen. Natürlicher fcheint mir die Annahme, daß die
Bedeutung .unverständlicher, geheimnisvoller Ausdruckten
yXmOOa ja nachweislich hatte, im Christentum oder Schon
vorher fich zu der .unverständliche Rede' erweitert hatte.

Auch das Pfingftwunder wird, mit mehr Recht, am
Anfang und am Ende des Buches behandelt. Der Eindruck
, den diefe Erzählung beim Lefen hinterlaffe, fei
der, daß der Verfaffer der Apg. ein wirkliches Reden in
nicht erlernten fremden Sprachen berichten wollte. Diefe
Auffaffung hält M. auch durch fein Buch hindurch feft,
obwohl er die Züge und Parallelen, die in eine andere
Richtung weifen, vollauf würdigt. Er hilft dann nicht
mit Quellenfcheidung oder mit Hinweis auf die umgestaltende
Arbeit des Autors, fondern mit der Annahme,
daß fchon vor .Lukas' die allgemeine Anfchauung ek-
ftatifches, unverständliches Reden in ein Sprachwunder
umgewandelt habe, fo daß Lukas, der nur Erzähltes
wiedergab, in gutem Glauben das Pfingftereignis von dem
ihm nicht unbekannten Zungenreden in den Gemeinden
unterfchied.

Bei diefer wohl abgewogenen und meines Erachtens
wohl haltbaren Auffaffung muß man doch zugeftehen,
daß Lukas felbft in feiner Vorstellung des Ereigniffes
nicht ganz klar und einheitlich ift. Der Verfaffer der
Apg. hat doch wohl wieder eigne Anfchauung von der
Gloffolalie in die Überlieferung von einem Sprachwunder
eingetragen, die feinerfeits von einer jüdifchen Pfingft-
legende beeinflußt war und zum Anlaß freilich das erfte
Auftreten des Zungenredens in der Urgemeinde hatte.
Da Lukas Judäa erwähnt und Syrien und Griechenland
wegläßt, Schreibt er ja überhaupt vom Standpunkt der
damaligen fyrifch-griechifchen Kirche aus.

Aus dem reichen gefchichtlichen und zeitgefchichtlichen
Überblick, den M. bietet, geht hervor, daß die
Zungenredner häufig in fremden Sprachen reden oder zu
reden meinen oder daß die Zuhörer fremde Sprache zu
vernehmen glauben. Mit Recht weift M. auf die Sug-
geftion hin, die eben die Pfingftgefchichte ausübt: die
wirklichen Fälle von Gebrauch fremder Sprachen Schrumpfen
bei Sorgfältiger Prüfung zufammen, finden fich aber auch
da, wo die Pfingftgefchichte nicht vorbildlich fein konnte,
z. B. wo alt-wallififch geredet wird oder bei heidnifchen
Chinefen oder Jndiern. Hier ift ein Wiederauftauchen
von Kindheitseindrücken entweder anzunehmen oder
direkt nachzuweifen. Trotzdem wird M. Recht haben,
wenn er diefe Erkenntnis für die Rekonstruktion des
Pfingftereigniffes lieber nicht verwendet. Denn man
müßte dann auf die wenig verlockende Erklärung von
Wright und Walker kommen, die ein .abnorm erregtes
Gedächtnis' auch bei den Jüngern annehmen, wodurch
fie .fprachliche Reminifzenzen an Diasporajuden plötzlich
reproduziert hätten'.

Auch Windesbraufen und Feuererfcheinungen hat
man in neueren Pfingftverfammlungen beobachtet, gewiß
wieder in Erinnerung an die Apoftelgefchichte. Von
Feuererfcheinungen erzählt freilich auch Jamblichus, und
Gehörhalluzinationen verbinden fich leicht mit Rede-
ekftafen. M. nimmt beide denn auch für Pfingften an
(S. 126), freilich ohne diefer Verbindung näher nachzu-
gehn. Ich möchte doch lieber an maffive Vorstellungen
der Erzähler denken: weil der Geilt als Urheber der
Gloffolalie vorausgefetzt wird, Soll denn auch erzählt werden,
daß er kam und wie er kam, natürlich fo wie der Wind
kommt vergl. Joh. 3, 8, und die Geiftestaufe follte ja in
dem Wort des Täufers von der Feuertaufe geweisfagt
fein, auf das die Apg. 1,5 ja noch ausdrücklich anfpielt.
Dazu die Analogie der jüdifchen Legende von der Erfcheinung
des Gefetzes mit Getöfe und Feuer, die Mofiman
m. M. n. nicht genügend wirkfam fein läßt. Die Parallele