Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1914 Nr. 16

Spalte:

503-504

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Adolf von

Titel/Untertitel:

Der Ruf Jesu. Predigten 1914

Rezensent:

Bussmann, E. W.

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

5°3

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 16.

504

er eintritt, in letzter Inftanz nicht Willens- fondern Glaubensfache
fei.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Schlatter, Prof. D. Ad. v.: Der Ruf Jehl. Predigten.
(IV, 367 S.) gr. 8°. Calw u. Stuttgart, Vereinsbuchhandlung
1913. Geb. M. 4 —

Es ift eine fchöne Gabe, die wir hier empfangen, und
es ift gut, daß die zerftreuten Blätter gefammelt find.
Eine kurze Notiz belehrt uns nämlich, daß feit 1903 die
einzelnen Predigten des Verfaffers für einen kleinen Kreis
von auswärts Wohnenden gedruckt wurden und eine Auswahl
davon hier geboten wird. Der Verfaffer hofft, daß
feine Predigten den Weg zu Jefu deutlich zeigen — das ift
durchaus zuzugeben. Aber doch ift diefe Angabe des
Weges und die Befchreibung der einzelnen Strecken und
Zugänge diefes Weges oft ganz eigenartig, fodaß man
ftellenweife nicht nur überrafcht, fondern auch immer feilgehalten
wird, ohne Bedenken gern fich der ficheren
Leitung anvertraut und mit dem Prediger die Gedankenwanderung
macht, wenngleich er manchmal auch fteile
Wege nicht fcheut oder den Weggenoffen fcheinbar auf
Umwegen zum Ziele zu führen fcheint.

Die meiften Predigten, deren Texte durch die würt-
tembergifche Kirchenordnung beftimmt find, lehnen fich
an evangelifche Texte an; je zwei Predigten find auch
über denfelben Text gehalten. Meift ift die Behandlung ,

des Textes ganz originell, manchmal ift er nur das Motto ! Go"e,s, hinwerfe. Und doch ift wieder manches alt-

letzten beiden Verfe genommen) und die über Maria und
Martha: Es fteht nebeneinander das Chriftentum, bei dem
wir für Jefus reden, und das Chriftentum, bei dem Jefus
für uns fpricht; der Gottesdienft, bei dem wir Gott be-
fuchen und befchenken, und der Gottesdienft, bei dem
Gott uns befucht und befchenkt.

Es find im Allgemeinen kurze, gedrungene Predigten,
nur wenige find länger. Die Art der Gedankenführung
ift knapp, kein Wort ift überflüffig oder entbehrlich.
Durchgängig find es kurze, oft fogar ganz kurze Sätze,
zuweilen ift es dem Hörer auch gewiß nicht leicht gefallen
, dem Gedankengang des Predigers ganz zu folgen.

Es find eben akademifche Predigten nach ihrer ganzen
Höhenlage. Von der Hochfchule wird gern gefprochen,
von ihren befonderen Aufgaben und Gefahren, manchmal
werden die Studenten geradezu angeredet. Aber doch
find es Predigten für einen viel weiteren Kreis, fie find
fo praktifch angelegt, daß fie allen dienen können, die
fuchen, ftreben, vorwärtskommen möchten auf dem Weg
zu Jefus. Wenn die Predigten auch ein beftimmtes Maß
von Bildung meift vorausfetzen, fo find fie auch für
fchlichte Leute, die gewiß aus jeder Predigt etwas mit-
nommen haben.

Es find Predigten für unfere heutige Zeit, gern geht
der Prediger auf die Fragen und Zweifel unferer Tage
ein, für die er ein mitfühlendes Verftändnis offenbart.
Gern kommt er dabei dem modernen Menfchen entgegen,
wofür ich auf die Predigt über den dreieinigen Namen

oder liegt im Untergrund als ficheres Fundament, auf
dem gebaut wird; meift aber wird er von dem bekannten
Exegeten eingehend ausgelegt, befonders dann, wenn er
eine eigenartige Auslegung, Auffaffung oder Anwendung
bieten kann. Schon die Themen find oft fo gewählt, daß
fie von vorn herein Intereffe wecken. Z. B. Weihnachten:
Betet Gott im Kinde an; zu Charfreitag: Was brachte das
Kreuz uns Neues; zu Oftern: Die Gabe des Auferftandenen;
zu Himmelfahrt: Der Blick zum Himmel, oder an anderen
Sonntagen: Der Kampf gegen den Glauben an den Tod
(Jüngling zu Nain), Die Schlüffelgewalt Jefu (Lk 4, 14—30);
Freudige Buße; Die abfolute Religion (Lk 9, 57—62);
Die moderne Glaubensnot (Joh. 3, 47—54); Eine von Jefus
abgewiefene Bitte (des reichen Mannes in der Qual); Der
Kampf Jefu gegen die Schwärmerei (Lk Ii, 14—28); Zwei
Arten von Chriftentum (Maria und Martha); Vergeben,
das Merkmal der Kirche (Mtt. 18,15—20). Die Dispofition
wird ftets angegeben, meift in kurzen Antithefen, fo z. B.
S. 229: Die Scheidung von der Welt (Joh. 16, 16—23).
Der eine fagt: Mich verdrießt die Welt, ich mag fie nicht.

modifch, aber ftets mit neuem Geift erfüllt, fodaß es auch
für den modernen Menfchen wertvoll wird. Hier wird
faft gar keine Dogmatik gepredigt, wenn man auch nicht
im Zweifel ift, wie die des Predigers geartet ift.

Es find Gegenwartspredigten, auch in dem Sinne,
daß fehr feiten von den letzten Dingen geredet wird.
Es fehlt natürlich nicht, eine ganze Predigt am zweiten
Advent handelt im Anfchluß von Mtt. 25, 31—46 über
unfere zukünftige Begegnung mit Jefus, aber auch da ift
alles praktifch abgezweckt für die Gegenwart. Es ift ein
energifches, kraftvolles, aber auch ernftes Chriftentum, das
die Predigten durchweg atmen.

Und endlich, es find füddeutfehe Predigten. Die homi-
letifche Wiffenfchaft hat leider noch zu viel mit ihrem
Syftematifieren etc. zu tun, fo haben wir erft nur ganz
geringe Anfätze zu einer Charakteriftik der Predigtweife
bei den verfchiedenen Völkern oder auch in den verfchie-
denen Teilen der deutfeh-evangelifchen Kirchen. Der
Norddeutfche wird bei Schlatter manche Art und manchen
Ausdruck befremdlich finden, wir umfehreiben lieber,

Das ift nicht Jefu Meinung. Ein anderer fagt: Ich brauche j deuten nur an oder verhüllen auch wohl, wo der Süd-
fie nicht, ich bin mir felbft genug. Das ift auch nicht I deutfehe offen herausredet. Manchen Ausdruck würden
Jefu Meinung. Der dritte fagt: Gottes Gabe trennt mich j wir darum nicht gebrauchen können oder wollen, weil
von der Welt. Das ift der Jünger Jefu. — Oder in der er uns mit der Würde der Kanzel nicht zufammenzu-

erften Adventspredigt über Lk. 17,20 — 25 Wie uns der
Herr die Hoffnung gibt: Hoffnung, nicht nur Erinnerung:
Hoffnung, nicht nur Pflicht; Hoffnung, nicht nur Träume;
Hoffnung, nicht nur Sehnlucht. Das ift Jefu Gabe. —
Ohne die anderen Predigten als geringer an Wert bezeichnen
zu wollen, notiere ich hier noch einige folcher
Dispofitionen, die die befondere Art des Predigers am
bellen kundtun. Joh. 14, 1—6: Der Weg zu Gott. Ich
bin der Weg, fagt der Menfch, das ift die falfche Antwort
. Ich bin der Weg fagt Chriftus, das ift die richtige,
göttliche Antwort. — Matt. 7, 1 —12 Der Menfch kann
unter dem Gefetz fein, dann richtet er; er kann ohne Gefetz
fein, dann fügt und findet er fich in alles; er kann
aber auch im Gefetze Jefu fein, dann vergibt er. — Die
über die fchwärmerifche Frömmigkeit. Bei diefer preifen
wir den Menfchen, in der Gemeinfchaft mit Jefu preifen
wir Gott; bei der fchwärmerifchen Frömmigkeit fuchen
wir unferen Genuß, in der Gemeinfchaft mit Jefu gehorchen
wir (von dem Text Lk II, 14—28 find allerdings nur die

ftimmen fcheint. Das ift in Süddeutfchland und der
Schweiz anders, aber gern lernt der Norddeutfche hiervon
, freut fich eines Harken Ausdrucks, denkt darüber
nach und fucht ihn in feine Weife zu übertragen, wobei
er fich dann vielleicht auch unwillkürlich etwas von der
bisherigen andeutenden Weife zu entfernen wagt.

So haben wir dem Verfaffer für feine fchöne Gabe,
die nicht nur zur Erbauung, fondern auch zum Studium
fehr wertvoll ift, zu danken und fprechen dabei die Hoffnung
aus, daß noch andere Sammlungen der zerftreuten
Blätter folgen, denn keine diefer Predigten wird gelefen
ohne inneren Gewinn und religiöfe Bereicherung — ein
höheres Lob wird man aber kaum einer Predigtfammlung
zollen können.
Ahlden/Aller. E. W. Bussmann.

Smend, Prof. D. Jul.: Neue Beiträge zur Reform unferer
Agenden, insbefondere der preußifchen. (Studien zur