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Ausgabe:

1914 Nr. 16

Spalte:

502-503

Autor/Hrsg.:

Ward, James

Titel/Untertitel:

The Realm of Ends or Pluralism and Theism 1914

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 16.

502

diefe religiös begründeten Überzeugungen in erkenntnis-
theoretifche Gedanken verkleidet und in folcher Verkleidung
apologetifch wendet, konftruiert er eine fpezififch
theologifche Erkenntnistheorie, die allein den vom Werte
der Religion überzeugt, der vor lauter Überzeugtheit die
Fehler der Beweife nicht lieht, die aber dem Anfehen der
Theologie bei den übrigen Wiffenfchaften höchftens fchaden
kann. Es ift ein Jammer, daß St. fo viel fcharffinnige
Gedankenarbeit, dialektifche Kunft und theologifches Pathos
an falfche Ziele verfchwendet. Vielleicht aber vermag
gerade die Tatfache, daß ein hervorragender Theologe
durch feine apologetifche Religionsphilofophie zugleich
die Sache der Religion und der Wiffenfchaft fchädigt, in
dem beginnenden religionsphilofophifchen Enthufiasmus
zu klären und vorfichtig zu machen. Dann würde das
Buch fegensreich wirken.

Marburg a. d. L. Horft Stephan.

Dickinlon, Ch. H.: The chriftian Reconftruction of modern
Life. New York, The Macmillan Company 1913.

Die große Aufgabe der Gegenwart und Zukunft ift, wie
D. zeigt, die Verarbeitung des doppelten Erbes der Vergangenheit
, nämlich der weltlichen Kultur und der Religion,
genauer ausgedrückt, des .Hellenismus' und des Chriften-
tums. Zunächft muß man fich klar machen, daß es fich
hier um zwei durchaus verfchiedene Lebensftröme handelt.
Der Hellenismus wird mit bemerkenswerter Wärme und
Begeifterung gefchildert. Er, der in unfrer modernen
Kultur, die allerdings manche Entartungserfcheinungen
aufweift, wieder auflebt, fteckt fich das Ziel der Weltaneignung
, Welteroberung, aber nicht in eudämoniftifch-
materialiftifchem Sinne, fondern im Sinne einer geiftigen
Weltdurchdringung und Geftaltung. Er ift durchaus
innerlich, fozial, ja religiös, er fordert, um mich einer
der häutig wiederholten Wendungen zu bedienen, a life
free, rieh, beautiful, of well-ordered, self-restrained buoy-
ancy of soul. Jede der großen arifchen Völkerfamilien,
vor allem die Perfer, Römer, Kelten, Goten, hat diefem
Kulturftrom Waffer zugeführt, feine klaffifche Ausprägung
aber empfing der Hellenismus auf griechi-
fchem Soden. Übrigens betrachtet ihn D. nicht als eine
hiftorifche Einzelerfcheinung, fondern als weltumfpannen-
des Prinzip.

In fcharfem Gegenfatz dazu fordert der Genius der
femitifchen Raffe Weltüberwindung in transzendentem
Sinne. Die Gottheit, die fchon in den kindlichen und
rohen Formen des Semitismus die Tendenz zum Ungeheuerlichen
, Schauerlichen, jedenfalls Übermenfchlichen
zeigt, wandelt, reinigt und erhebt fich bis zum Vater
Jefu Chrifti, der der frommen Seele ein und alles ift.
Die Vorftufen gehen uns nichts an, für uns ift Jefus
und zwar feine heilige, mächtige Perfönlichkeit,
nicht feine Lehre und erft recht nicht ein Dogma
von ihm, Kraft und Leben und Gewißheit der geiftigen
Religion.

Wie geftaltet fich nun die Auseinanderfetzung
zwifchen diefen beiden geiftigen Großmächten im Leben
der Menfchheit? Da in der Gefchichte die Wirkungen
der Religion und Kultur aufs engfte verflochten find, ift
es nicht möglich, Leiftungen und Verdienfte auf beiden
Seiten abzuwägen, und ficherlich war der Weg der
Religion in der Gefchichte nicht immer ein Weg des
Segens und Friedens. Zur Klarheit kommt man erft,
wenn man fich verdeutlicht, daß der Hellenismus das
eigene höchfte Ziel ,die geiftige Selbftverwirklichung der
Menfchheit' aus eigner Kraft nicht erreicht. Allein auf
fich felbft angewiefen verfinkt er in Refignation und
Apathie, vgl. Indien. Zur Erreichung des Ideals ift eine
innere Löfung von der Welt und eine Erfüllung mit
Kraft und Begeifterung erforderlich, die allein der gläubige

Jünger Jefu als Gefchenk feines Meifters erlebt. Alfo
.Christian reconstruetion of modern life'!

Man lieft das eindringlich und lebendig gefchriebene
Buch mit großem Intereffe und empfängt kräftige Impulfe.
Es legt ein bemerkenswertes Zeugnis ab von dem neuerdings
in Amerika hochkommenden Geifte, der eine Verbindung
deutfehen Idealismus und deutfeher Theologie —
D. bekennt in der Vorrede feine Verpflichtungen gegen
Eucken und Bergfon einerfeits, H. J. Holtzmann andrer-
feits — mit der eigentümlichen amerikanifchen, auf Tat
und Verwirklichung drängenden Energie darfteilt. Einzelne
Bedenken, die etwa bei der fchematifierenden Behandlung
der Raffenfrage oder bei den für mein Empfinden
etwas rhetorifchen, kritifch nicht genügend durchdachten
Ausführungen, die die Bedeutung der Perfon Jefu für den
Glauben befchreiben, einfetzen können, vergißt man leicht
über den Gefühlen der Sympathie und der Dankbarkeit.
Hervorgehoben mag noch werden der ftarke foziale
Einfchlag des Buches. Man kann es der chriftlich-fo-
zialen Literatur einreihen.

Iburg. w. Thimme.

Ward, James: The Realm of Ends or Pluralism and Theism.
(XV, 490 S.) 8°. Cambridge, University Press 1911.

s. 12. 6.

Das Buch ftellt einen Verfuch dar, eine theiftifche
Metaphyfik mit Vernunftargumenten zu begründen. Die
Gedankenentwicklung, die liier nur in ganz allgemeinen
Umriffen fkizziert werden kann, geht davon aus, das jedes
philofophifche und wiffenfehaftliche Nachdenken über das
Wefen der Dinge zunächft beim .Pluralismus' ausmünden
müffe: ein folcher erfcheint auf den erften Anblick als
die plaufibelfte Weltanfchauung. Und zwar ift ein fpiri-
tualiftifcher Pluralismus gemeint, das heißt, die an Leib-
niz' Monadologie erinnernde Anficht, daß die Welt durch
eine Fülle nach dem Kontinuitätsprinzip fleh abflutender,
individuell verfchiedener geiftiger Potenzen gebildet werde.
Der Materialismus fei allein fchon deshalb unhaltbar, weil
er eine unzureichende Erklärung der Wirklichkeit gibt, fo-
fern er nur einen Teil der letzteren, nämlich die Objekte,
ins Auge faßt und das Subjekt völlig außer Acht läßt. Ein
derartiger fpiritualiftifcher Pluralismus vermöge fich des
weiteren der Einficht nicht zu entziehen, daß eine Entwicklung
im Sinne der Epigenefis ftattfindet, durch die zwar
keine neue Wefenheiten, jedoch neue, immer höhere Werte
erzeugt werden, und daß die Welt demgemäß einem Reich
der Zwecke zuftrebt. Bei einer folchen Weltanfchauung
kann man aber unmöglich flehen bleiben. Es erheben
fich neue Probleme, für deren Löfung der Pluralismus
aus fich heraus keine befriedigende Antwort zu erteilen
imftande ift. Erft recht führt ein Monismus etwa nach
Art desHegelfchen, der, die Erfahrung vernachläffigend.von
dem einen Abfoluten ausgeht und in unfruchtbaren Spekulationen
fich verliere, nicht zum Ziel. Dagegen kommt
der .Theismus' in gleicher Weife den theoretifchen und
praktifchen Bedürfniffen entgegen, indem er alles auf einen
perfönlichen geiftigen Gott zurückführt, der, fich felbft
begrenzend, eine Welt freier Individualitäten gefchaffen
hat und die endgültige Verwirklichung des .Reiches der
Zwecke' verbürgt. Damit erledigt fich zugleich die peinliche
Frage nach der Möglichkeit und Bedeutung des
Übels in der Welt.

Wie man fleht, handelt es fich um ein fpiritualiftifch-
theiftifches metaphyfifches Syftem, das trotz feiner ausgeprägten
Eigenart an manches neuere philofophifche Gebilde
in Deutfchland erinnert, wie etwa Lotzes oder Wundts
oder gar Buffes Metaphyfik. Übrigens erklärt der Autor,
der fich in gewiffen Kreifen Englands einigen Anfehens
erfreut und bei der Erörterung von Einzelproblemen gute
naturwiffenfehaftliche und philofophifche Kenntniffe an
den Tag legt, ausdrücklich, daß der Theismus, für den