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Ausgabe:

1914 Nr. 15

Spalte:

467-468

Autor/Hrsg.:

Storr, Vernon F.

Titel/Untertitel:

The Development of English Theology in the Nineteenth Century 1800 - 1860 1914

Rezensent:

Mackintosh, H. R.

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Seite 1

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467

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 15.

468

und Lebensführung, die überwunden werden muß, wenn
aus dem Menfchen, moralifch und religiös gefprochen,
etwas werden foll.

Was aber diefe Krifen find, durch welche die Seele
fich hindurchringen muß, wenn fie ernft macht mit fich
felbft und der Wirklichkeit, das zeigen Fragmente aus
den ,Stadien', der .Wiederholung', dem .Begriff der
Angft', der .Krankheit zum Tode' und .Furcht und
Zittern', im dritten Abfchnitt. Da führt uns S. K. in
feine erlebte Religion ein. Da finden wir die erfchrecken-
den, ungeahnten feelifchen, aber auch intellektuellen Spannungen
, an denen er litt . . . und genas.

Den Beitrag, den das Denken dazu liefert, — nicht
um den Glauben zu beweifen. wohl aber um zu zeigen,
daß er nicht bewiefen werden kann und darf — entnimmt
der Herausgeber den .Philofophifchen Biffen', und,
verfteht fich, der .Abfchließenden unwiffenfchaftlichen
Nachfchrift', im vierten Abfchnitt. Hier finden wir die
Auseinanderfetzungen der .Subjektivität' mit der objektiven
Wahrheit', welche jeder moderne Menfch kennen follte.

Endlich, im letzten Abfchnitt, handelt es fich um
das innere Leben und Walten des Glaubens, und zwar
des chriftlichen. Die .Einübung im Chriftentum', ,Zur
Selbftprüfung', und ,Die Werke der Liebe' wurden als
typifch angefehen, und ihnen wichtige Fragmente entlehnt.

Die Schwierigkeiten, welche in diefem Unternehmen
lagen, find nicht zu unterfchätzen. Ob fie überwunden
wurden, kann eigentlich nur die Praxis zeigen: allein die
Erfahrung wird lehren, ob unter diefer Form und mit
alleiniger Zutat eines kurzen — aber allerdings vorzüglichen
Vorwortes — S. K. die Gebildeten, die ihn
noch nicht kennen, fo fehr für fich gewinnen wird, daß
fie fich auf eigene Hand in ihn vertiefen. Denn das war
doch der Zweck diefes fchönen, forgfältigen Buches, für
welches viele mit uns Prof. Lehmann danken werden.

Srinagar, Kashmir. Raoul Hoffmann.

Herzog, Stadtpfr. Johannes: Ralf Waldo Emerfon. (Die
Religion der Klaffiker, 4. Bd.) (VII, 157 S.) 8°. Berlin-
Schöneberg, Proteftantifcher Schriftenvertrieb 1913.

M. 1.50; geb. M. 2 —

Herzog hat fich nicht an das Schema der .Religion
der Klaffiker' gehalten, nach einer guten Einleitung eine
forgfältige Zitatenauswahl aus Emerfon zu geben. Vielmehr
ift fein Buch eine durchaus felbftändige und eigenartige
Erläuterung der Emerfonfchen Lebensphilofophie.
Diefe Darlegung ift um fo dankenswerter, als Emerfons
unfyftematifche und effayiftifche Denkweife demdeutfchen
Verftändnis große Schwierigkeiten bereitet. Wir haben
in Deutfchland bislang keine fo klare und verftändnisvolle
Befchreibung von Emerfons Leben und Denken wie die
Herzogs.

Marburg. Bornhaufen.

Storr, Vernon F., M. A.: The Development of English Theo-
logy in the Nineteenth Century 1800—1860. (VIII,
486 S.) gr. 8°. London, Longmans, Green & Co.
1913. s. 12 —

Dies bedeutfame Werk muß als das befte auf feinem
Gebiet anerkannt werden. Der zu behandelnde Stoff,
wenngleich nicht unüberfehbar, ift weit veräftelt, aber Storr
markiert die Hauptlinien der Entwicklung klar und überzeugend
. Er befpricht zuerft die Lage der englifchen
Theologie vor dem Eintreten der befonderen modernen
Kräfte, wo das Feld behauptet wurde von den frühen
.Evangelifchen', deren Stärke in der Fettigkeit der Dogmen
beruhte, den frühen Orthodoxen, die am beften als Vorläufer
der Oxforder Bewegung anzufehen find, den frühen
Liberalen wie z. B. Hampden, Whately und Arnold, die
die Saat der gefchichtlichen Kritik und der freien For-

fchung ausftreuten. Von diefen letzten fpricht er mit
großer Achtung. In dem den Orthodoxen gewidmeten
Kapitel ift ein ausgezeichneter Bericht über Alexander Knox
(geft. 1831), einen irländifchen Laien (= layman), deffen
Schriften ,Adel der Gefinnung und ein religiöfes Genie'
zeigen. An einer fpäteren Stelle kehrt der Autor zu der
Oxforder Bewegung zurück (pp. 250—316) und fleht neben
ihrer theologifchen Lehre auch die Philofophie, durch die
fie verteidigt wurde, und befondersNewman'sEntwicklungstheorie
dar. Er ift der erfte anglikanifche Schriftfteller,
der den Gegenftand von einem ganz modernen Gefichts-
punkt aus behandelt. Seine Kritik ift ehrlich und lichtvoll
, aber oft unvermeidlich ftrenge. Er zeigt, daß neben
einer oberflächlichen Verwandtfchaft ein völliger Gegen-
fatz zwifchen der Theologie der Oxforder Bewegung und
dem, was gewöhnlich Romantik genannt wird, beftand.
Auf der einen Seite ftand das Prinzip der Autorität der
Freiheit gegenüber, auf der andern Seite das Prinzip der
Individualität. So beriefen fich die Tractarians engherzig
nicht auf die Vergangenheit als Ganzes fondern nur auf
das Zeitalter der Väter, und nur das Platzgreifen einer
dynamifchen ftatt der ftatifchen Auffaffung von der Kirche
rettete ihre Anfchauungen vor der Vergeffenheit. Es ift
ferner unmöglich geworden, ihren Autoritätsgedanken aufrecht
zu erhalten. Storr bemerkt fehr richtig, daß New-
man niemals den Unterfchied von Vernunft und Verftand
(reason und reasoning) erfaßte. Sein berühmtes Buch:
The Grammar of Assent (1870) wird als ein Werk
befchrieben, welches zwar vorgibt, ein Probierftein der
Wahrheit zu fein, aber nur eine erftaunlich fpitzfindige
pfychologifche Darlegung von der Entftehung des Glaubens
bietet. Indem er von der .bemerkenswerten Originalität'
von Newman's Denken fpricht, ift Storr gegen diefen ausgezeichneten
Schriftfteller etwas freundlicher als Hort, der
1890 fchrieb: ,Es gibt keinen hervorragenden Theologen
in irgend einer Kirche oder von irgend einer Schule, von
dem es mir fo fchwer fallen würde zu denken, daß er
irgend etwas zur Unterftützung oder zum Fortfehritt der
chriftlichen Wahrheit beigetragen habe'.

In dem mittleren Teile des Buches findet fich eine
lange und lohnende Befprechung über die höheren intellektuellen
Kräfte des Jahrhunderts: das Entftehen der hi-
ftorifchenMethode.dieNaturwiffenfchaft.denphilofophifchen
Idealismus und die politifchen Prinzipien der Demokratie.
Viel Aufmerkfamkeit ift weislich dem deutfehen Denken
gezollt. Kurze aber tiefgründige Abfchnitte handeln von
den Urfprüngen der Bibelkritik, von der Tübinger Schule
und von Schleiermacher. Die Schlußkapitel zeigen den
neuen Einfluß, der fich durch Coleridge über das englifche
Gemüt ergoß und durch Männer wie Maurice und Erskine
in Umlauf gebracht oder entwickelt ward. Der Autor
behauptet mit gutem Recht, daß Coleridge Kant weniger
fchuldet, als man annahm. Richtig entfeheidet er, daß
Maurice kein großer theologifcher Denker war, und in
diefem Fall ift der Raum, der feinen Anfchauungen gewidmet
wird, vielleicht zu groß. Als Ganzes ift das Buch
in hohem Grade anregend, und die bemerkenswerte
Gerechtigkeitsliebe des Verfaffers ebenfo wohl wie die
Gründlichkeit feines Wiffens gewinnen fich ein fich vertiefendes
Vertrauen. Einige der kleineren Studien enthalten
Stücke von großem Wert. Unter ihnen ift die Erörterung
über die Romantik, über W. G. Ward, und über die .Essays
and Reviews' (1860) der Hervorhebung wert.

Das Einzige, was ich an Auslaffungen bemerkt habe,
ift Eduard Irving und Chalmers; die Behandlung von
McLeod Campbell hätte vollftändiger fein müffen. Die
Entwicklungslehre foll in einem 2. Bande behandelt werden,
der die Zeit nach 1860 darftellt, und alle Lefer diefes
fehr wertvollen Buches werden hoffen, daß das Erfcheinen
des folgenden Bandes fich nicht lange verzögert.

Edinburg. H. R. Mackintosh.