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Ausgabe:

1914 Nr. 1

Spalte:

24-25

Autor/Hrsg.:

Leese, Kurt

Titel/Untertitel:

Die Prinzipienlehre der neueren systematischen Theologie im Lichte der Kritik Ludwig Feuerbachs 1914

Rezensent:

Dorner, August

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 1.

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mit welchem er feinen Lieblingsfatz unter ftets neuen
Formen zur Geltung und Anwendung bringt, trägt er
Sorge dafür, daß auch die Artikel, die einer zufälligen
Veranlaffung ihren Urfprung verdanken, Bücherbefpre-
chungen, polemifche Auseinanderfetzungen, apologetifche
Streifzüge, für die Nachwelt aufbewahrt bleiben. Daß
diefes Verfahren zahlreiche Wiederholungen verurfacht,
weiß der Verf. am beften, aber es ficht ihn nicht an. ,Der
centrale Gedanke meines religiöfen und theologifchen
Lebens ift der Nagel, auf den ich ohn Unterlaß während
meiner ganzen Lehrtätigkeit geklopft habe'; er glaubt
mit Recht verfichern zu dürfen, ,daß derfelbe in das Bewußtfein
des franzöfifchen Proteftantismus tiefer eingedrungen
ift'. ,Die Veröffentlichung diefes dritten Bandes
ftellt einen neuen Hammerfchlag auf den alten Nagel dar.'
Nicht in dem Grundgedanken, dem fich auch die Gegner
immer fchwieriger zu entziehen vermögen, liegt das Cha-
rakteriftifche des vorliegenden Buches, fondern in der
reichen Fülle und der unerfchöpflichen Fruchtbarkeit der
Anwendungen, die M. aus feinem Prinzip zu gewinnen
weiß. Diefes Prinzip des Fideisme näher darzuftellen I
und zu beleuchten, dürfte überflüffig fein. Es hat fich
in der eigentümlichen Wendung, die ihm Menegoz gegegeben
hat, auch unter uns Bahn gebrochen. Lasch's
Schrift über die Theologie der Parifer Schule (Theol. Lit-
zeitg 1901, 23) und neuerdings Lüttge's Monographie
,Ein Jahrhundert innerer Entwicklung im franzöfifchen
Proteftantismus" haben den Symbolo-Fideisme auch
folchen Lefern nahe gebracht, denen die Werke Sabatier's
und Menegoz's im Original nicht zugänglich find. Die
Berührungspunkte mit Ritfehl und — befonders bei Sa-
batier — mit Lipfius beeinträchtigen die Selbftändigkeit
der Parifer Lehrer keineswegs. Als Menegoz im Jahr 1879
das Programm aller feiner fpäteren Ausführungen (.Reflexions
sur l'Evangile du salut') herausgab, war er mit
Ritfchl's Theologie noch kaum vertraut, auch war feine
Frageftellung von dem Einfluß des Göttinger Meifters
unberührt. Seine Stellung zur Metaphyfik und zur fogen.
natürlichen Gotteserkenntnis ift von der Ritfchl'fchen
Pofition wefentlich verfchieden. Der Confenfus M.'s mit
der modernen deutfehen Theologie geht über die Berührung
mit Ritfehl weit hinaus, aber das Schickfal, das
Ritfehl erfahren, hat auch M. erlebt: feine Gedanken find
in das Bewußtfein feiner Glaubensgenoffen durchgefickert
und haben auch folche ergriffen, die offiziell fich gegen
feine Einwirkung gewehrt haben. Der fchönfte praktifche
Erfolg, der ihm und feinem berühmten unvergeßlichen
Kollegen und Freund Aug. Sabatier zuteil wurde, liegt in
dem Ereignis vor, das eine Epoche in der Gefchichte des
franzöfifchen Proteftantismus bedeutet. Die am 26. Juni
1912 erfolgte kirchliche Vereinigung der Mittelpartei mit
der theologifchen Linken der reformierten Kirche ift die
reife Frucht und die glückliche Anwendung der durch
die Parifer Schule vertretenen Grundfätze. Die Genugtuung
, mit welcher M. auf feine akademifche und litera-
rifche Laufbahn zurückblickt, erhält durch den demütig
ftolzen Ton, den er ihr verleiht (IX—X), eine zugleich
feierliche und herzbewegende Weihe und wird in dem
Herzen aller Lefer einen tiefen Widerhall hervorrufen.
Den fchönen Band widmet der greife Verfaffer feiner
Tochter als Zeichen feines Dankes für treue und verftänd-
nisvolle Mitarbeit. Ein von H. Dartigue mit großer Sorgfalt
hergeftelltes Namen- und Sachregifter bezieht fich
auf die drei Bände der Veröffentlichungen über M.'s Fideismus
: es hat nicht nur das Verdienft, die Brauchbarkeit
der Sammlung wefentlich zu erhöhen, fondern wird auch
dazu beitragen, das Verftändnis und die Beurteilung der
Gedankenwelt M.'s zu fördern.

Diefelbe Bedeutung kommt dem Bändchen zu,
deffen Überfchrift wir oben an zweiter Stelle aufgezeichnet
haben. Es ift ein gefchickt durchgeführter Verfuch, aus
den drei Bänden des M'fchen Werkes einen Auszug zu
geben, der den Ertrag jener Veröffentlichungen unter fünf

Titel zufammenfaßt: die Prinzipien des Fideismus (1—56),
Kritik und Gefchichte (57—78) — die Wunderfrage (79
—110) — die Chriftologie (1 II—178) — Verfchiedenes
(179—196). Die von einigen liberalen Geiftlichen zufam-
mengeftellte Blumenlefe, durch welche M. bereits zur
Würde eines Klaffikers oder eines Kirchenlehrers erhoben
wird, ift um fo bedeutungsvoller, als der Verfaffer fich
niemals durch eine beftimmte kirchliche Partei anwerben
oder annektieren ließ, fondern von der treu und unabhängig
gepflegten theologifchen Wiffenfchaft eine Vertiefung
und Läuterung des Glaubens, damit aber zugleich
eine Verhöhnung der kirchlichen Gegenfätze erwartete.
Die Gegenwart hat bereits diefe Erwartung in erfreulichfter
Weife gerechtfertigt.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Leefe, Liz. Kurt: Die Prinzipienlehre der neueren lyftema-
tifchen Theologie im Lichte der Kritik Ludwig Feuerbachs.

(VII, 196 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1912.

M. 5.50; geb. M. 6.50

Der Verfaffer bemüht fich in diefer Schrift, zu zeigen,
daß die gegenwärtige Theologie zum größten Teile der
Kritik Feuerbachs nicht gewachfen fei. Zu diefem Zwecke
ftellt er zuerft die Feuerbachfche Anficht von der Religion
nach ihrer Methode, nach ihren metaphyfifchen und er-
kenntnistheoretifchen Vorausfetzungen und nach ihren
Konfequenzen in bezug auf die hauptfächlichften Dogmen
dar. An feiner Methode tadelt er, daß er das Wefen der
Religion und des Chriftentums nur auf hiftorifch-empi-
rifchem Wege analyfiere, während es nur feftftellbar fei
.durch die Synthefe hiftorifch-empirifcher Induktion, und
des durch die perfönliche gegenwärtige Erfahrung bedingten
Entfcheidungsftandpunktes für oder gegen die
Wahrheit der chriftlichen Religion'. Die Pofition Feuerbachs
fei im Gegenfatz zu Hegel methodifch die Aufhebung
der fpekulativen Methode zugunften der empirifch
hiftorifchen Induktion, inhaltlich fetze er an die Stelle des
Unendlichen, das als ein Moment des Prozeffes das
Endliche fetzt, vielmehr das Endliche, das als folches ein
Unendliches ift'. Das Wefen der Religion befteht nach
Feuerbach darin, daß der Menfch der Anfang, der Mittelpunkt
und das Ende der Religion fei. Der Charakter
der Religion ift die unmittelbare, unwillkürliche, unbewußte
Anfchauung des menfehlichen Wefens als eines anderen
Wefens. Der Zweck der Religion ift das Wohl, Heil,
Seligkeit des Menfchen. Gott ift das Bedürfnis des
Menfchen, nur der Gott befriedigt den Menfchen, der des
Menfchen eigenes Wefen enthält und ausdrückt. Gott ift
der Begriff der Gattung, die von allen Beftimmungen und
Begrenzungen der Natur befreite Perfönlichkeit des
Menfchen. ,Die Übernatürlichkeit, Unfterblichkeit, Unabhängigkeit
, Unbefchränktheit feiert der Menfch in einer
mythologischen Vergegenftändlichung.'

Leefe fucht nun zu zeigen, wie Ritfehl und feine
Schule, auch Lipfius, Kaftan, Herrmann, Kähler, Ihmels
und Schlatter trotz wefentlicher Modifikationen untereinander
der Feuerbachfchen Pofition nicht gewachfen
feien, weil fie im Grunde überall gerade wie Feuerbach
von dem fubjektiven Intereffe des Menfchen ausgehen,
das in der Religion befriedigt werden foll, handele es fich
nun um die Seligkeit des Menfchen, um feine Sittlichkeit,
um die Macht über die Natur, und wenn hier auch die
Offenbarung in Jefus zugezogen werde, fo diene die Perfon
Jefu auch nur diefen fubjektiven Zwecken. Zweifellos hat
Leefe hierin nicht unrecht, wenn er auch nicht viel neues
damit fagt, daß, wenn man nur von den fubjektiven Be-
dürfniffen ausgeht, die die Religion befriedigen foll, man
die objektive Wahrheit der Religion, die Exiftenz Gottes
nicht erreichen kann. Er meint, man müffe von dem
anthropozentrifchen zu dem theozentrifchen Standpunkt
fortfehreiten, und den Menfchen in den großen kosmo-