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Ausgabe:

1914 Nr. 15

Spalte:

454-456

Autor/Hrsg.:

Leipold, Johs.

Titel/Untertitel:

Vom Jesusbilde der Gegenwart 1914

Rezensent:

Dibelius, Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 15.

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die Propheten ja doch nicht ausgefchöpft, da ihr Verhältnis
zur Politik nur flüchtig geftreift wird und da die von
ihnen benutzten mythologifch-märchenhaften Motive und
Stoffe überhaupt nicht berückfichtigt werden.

Glücklicher ift die Darftellung der großen Prophetengeftalten
, die durch reiche Zitate in poetifcher Form, durch
die eigenartige Beobachtung der von ihnen gebrauchten
Bilder und bildlichen Redewendungen und durch die Einordnung
in die zeitgefchichtlichen Ereigniffe Leben und
Farbe gewinnen. Einzelheiten wird man beanftanden,
durch die allerdings Manches anders nüanziert wird; der
eine Forfcher wird hier, der andere dort ein Licht auffetzen
. Da wohl etwas zu viel Gewicht auf die logischen
Folgerungen gelegt wird, fo ift Hölfcher einem Hofea
und Jeremia, wie mir fcheint, nicht ganz gerecht geworden,
die gewaltiger durch ihre Perfon als durch ihre ,Lehre'
gewirkt haben (S. 222; 295f.). Durch die Ausfcheidung
der meffianifchen Verheißungen ift auch Jefajas Eigenart
nicht ganz richtig erfaßt worden, deffen ,Glaube' zeitweilig
nur in der Hoffnung auf den Meffias wurzelt. Aber im
großen und ganzen ift die Charakteriftik trefflich gelungen
.

Am beften ift ohne Zweifel der erfte Teil. Die reli-
gionsgefchichtliche und pfychologifche Analyfe der prophe-
tifchen Erfahrungen ift geradezu meifterhaft; und mit
großer Freude wird man den tiefgründigen Ausführungen
folgen und fleh gern belehren laflen. Bedauert habe ich
nur, daß hier nicht ausdrücklich derjenige genannt wird,
von dem wir alle gelernt haben und der uns zum erften
Male das pfychologifche Verftändnis der Propheten er-
fchloffen hat: Duhm. Wenn man etwa Giefebrechts ,Berufserfahrung
der Propheten' mit dem vorliegenden Werke
vergleicht, dann ermißt man erft den gewaltigen Fort-
fchritt, den die altteftamentliche Wiffenfchaft auf diefem
Gebiete gemacht hat. Man merkt, daß hier ganz anders
gearbeitet ift als auf dem literargefchichtlichen Boden.
Das foll keine Verkleinerung der Verdienfte Hölfchers
fein, im Gegenteil, ein befonderes Lob: Er hat nicht nur
eingeheimft, was feine Vorläufer geleiftet haben, fondern
er hat darüber hinaus felbftändig das Feld befät und eine
reiche Ernte heimgebracht, deren wir uns mit ihm freuen.

Berlin-Wertend. Hugo Greßmann.

Friedmann, Dr. Jofeph: Der gelellfchaffliche Verkehr und
die Umgangsformen in talmudilcher Zeit. (65 S.) 8°.

Berlin, L. Lamm 1914. M. 2.50

Schon in alter Zeit war bei den Juden die Gefellig-
keit ausgebildet, was fleh in einzelnen Anordnungen des
mofaifchen Gefetzes, im gemeinfchaftlichen Opferkult und
fynagogalem Gebet zeigt. Auch das Studium des Gefetzes
, deffen Kenntnis nach talmudifcher Anfchauung
nur in Gefellfchaft erworben werden kann, förderte das
Gefellfchaftsleben. Bei öffentlichen Vorträgen fcharte fleh
an Sabbaten und Feiertagen das ganze Volk um die gelehrten
Redner (Kap. I, S. 7—10). Gerade die zwei Hauptmotive
des Gefellfchaftslebens, Religion und Gefetzesftudium,
veranlaßten die Teilung der jüdifchen Gefellfchaft in zwei
Klaffen, in den Stand des Chaber und in den des Am-
ha-arez. Die erfteren bildeten den gelehrten und frommen
Stand. Zeitweife ftanden fleh die beiden Klaffen
feindlich gegenüber, doch kam es nie zu einem völligen
Bruch. Kleine Klaffenunterfchiede gab es unter den Handwerkern
. ,Angefehen waren im Volke die, welche im
Gemeindeleben tätig waren, ferner die an der Spitze
der Synagogen ftanden, oder die Verwalter der Armen-
kaffe und endlich die Lehrer der Kinder' (Kap. II, S. 11—21).
Auf den Anftand wurde im Allgemeinen viel gehalten.
Eine Sammlung der einfehlägigen AusfprüchebietetKap.III,
S. 22—26. Nach diefer allgemeinen Darlegung folgt je
ein Kapitel über Gruß (S. 27—38), Befuch, Gaftfreund-
fchaft und Unterhaltung (S. 39—49), Gefchenke
(S. 50—55) und zum Schluß über Beleidigung und

Verföhnung (S. 56—64). Die talmudifchen Belegftellen
druckt Verf. in den Anmerkungen im Original ab, aber
nur nach dem landläufigen (zenfurierten) Text. Von der
bedauerlichen Zerklüftung der jüdifchen Gefellfchaft durch
Ausfchließung der Abkömmlinge aus verbotenen Ehen
(Mamfer) und dergl. erfährt man bei ihm nichts. A. Rofen-
zweigs Schrift: ,Gefelligkeit und Gefelligkeitsfreuden in
Bibel und Talmud' (Berlin 1895) wird nicht erwähnt.

Budapeft. Ludwig Blau.

Roth, Dr. Otto: Rom und die Hasmonäer. Unterfuchungen
zu den jüdifch-römifchen Urkunden im 1. Makkabäer-
buche u. in Jofephus jüdifchen Altertümern XIV.
(Beiträge zur Wiffenfchaft vom Alten Teftament, Heft 17.)
(III, 88 S.) 80. Leipzig, J. C. Hinrichs 1914.

M. 3—; geb. M. 4 —

Gegen Wellhaufen, Willrich, Niefe behauptet Roth die
wefentliche Echtheit der Vertragsurkunde zwifchen Rom
und den Juden von 161 v. Chr., das Wort övfifiaxia fei
vielleicht erft bei Rücküberfetzung ins Griechifche eingefügt
. Das Verfprechen, Feinden keine Schiffe zu ftellen,
hätten die Römer bedingt gegeben; m. E. verlangen fie
es von den Juden vorforglich, da diefes reiche Volk in
den Küftenftädten wohnte, auch wo es fie nicht befaß.
— Den Römervertrag des Makkabäers Simon von 142 —
nicht 139 vgl. I. Makk. 14,40 — kennt Jofephus nicht, dem
nur I Makk. 1—14,15 vorlag. Diefen Ausgangspunkt feiner
Unterfuchung vergißt Roth, wenn er fchließlich doch die
Urkunde dem erften Makkabäerbuch einfügen will. In
das 9. Jahr Hyrkans I (13. Dez. 127) datiert Roth mit Recht
die längft als falfch eingeordnet erkannte Urkunde Joseph,
ant. XIV 8,5. Leider wird die mancherlei Schwierigkeiten
bietende frühere Urkunde Hyrkans I nur beiläufig erwähnt.
Aus Cäfars Zeit sind fefte Daten Cäfars Brief nach Sidon mit
Erlaß für Hyrkan II (47 v. Chr.) und ein von ihm angebahnter,
nach feinem Tod fertiggeftellter Senatsbefchluß (44 V. Chr.).
Die fonftigen Aktenftücke find verftümmelt Roth meint,
daß ein Senatsbefchluß von 47 Hyrkan zum ,Freund des
römifchen Volkes' erklärt, aber wegen eines Bündniffes noch
verhandeln will. Die drei Erlaffe Joseph, ant. XIV 10,5—7
find ihm Teile eines Senatsbefchluffes von 44, der einen
Erlaß Cäfars von 47 anführt, und zwar den verlorenen
Teil des Briefes nach Sidon. Solche künftliche Konftruk-
tionen treffen feiten das Rechte; man tut beffer, das Ver-
ftändliche zu erklären und das Unverftändliche zu kennzeichnen
. Aber Roths Unterfuchungen find fchön geführt
und febr beachtenswert; die Meißener Fürftenfchule, der
fie gewidmet find, kann fich diefes tüchtigen, dankbaren
Schülers freuen.

Gießen. Oscar Holtzmann.

Leipoldt, Prof. D. Dr. Johs.: Vom Jefusbilde der Gegenwart.

6 Auffätze. (VIII, 455 S.) gr. 8°. Leipzig, Dörffling
& Franke 1913. M. 8.50; geb. M. 9.50

Sechs Vorträge erfcheinen hier in erweiterter Form,
mit Nachweifen und einem ausführlichen Regifter verfehen.
Ihr Verfaffer will, ohne Vollftändigkeit zu erftreben, von
modernen Künftlern, Dichtern, Gelehrten und anderen
Publiziften erzählen, deren Werke einen Eindruck des
Bildes Jefu widerfpiegeln. Wenn ein folches Unternehmen
nicht das bedenkliche Refultat manches referierenden
Buches zeitigen foll, den Lefer um die Dinge herum zu
führen ftatt in fie hinein, fo wird man dreierlei vom Autor
erwarten dürfen: er muß eine umfaffende Sachkenntnis
befitzen, damit er eine richtige Auswahl treffe; er muß
über einen eleganten Stil verfügen, damit das kritifche
Referat nicht wie ein totes Exzept wirke; er muß fähig
und gewillt fein, die fraglichen Werke zuerft — aber nicht
lediglich — nach den ihnen innewohnenden Gefetzen zu
beurteilen, damit ihn nicht vorzeitiges Anlegen fremder