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Ausgabe:

1914 Nr. 14

Spalte:

429-431

Titel/Untertitel:

Zwingliana. Mitteilungen zur Geschichte Zwinglis und der Reformation. 1913. (Bd. III, Nr. 1 u. 2.) 1914

Rezensent:

Bossert, Gustav

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429

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 14.

43°

gerechtfertigt. Schuhmann hatte in der Ztfchr. für fchweiz. |
Kirchengefchichte Bd. 2 auf Thomas Murner aufmerkfam
gemacht, der in feiner Schrift de quattuor heresiarchis
ordinis predicatorum, dem ,fchön bewerten lied von der
reynen unbefleckten entpfengnüß Marie', fowie in dem
Druck ,von den fier ketzeren predigerordens' einige
bisher vernachläffigte Züge zum Verftändnis des Handels
bietet. Daran anknüpfend will er jetzt, von Nik. Paulus
ermutigt, ,die fenfationelle Streitfrage endgültig löfen'
(f. Vorwort). Aber dem ift nicht gerade günftig, daß er
eine das pro und contra von einer höheren Warte aus
nach allen Seiten hin umfichtig erwägende Unterfuchung
nicht vorführt, vielmehr von der Unfchuld der Dominikaner
von vornherein überzeugt ift und nun als ihr Anwalt
in feinem Plaidoyer die Argumente des Staatsanwalts,
d. h. vorwiegend Bofferts, Öchlis u. a. zurückzuweifen fleh
bemüht. Dabei gelingen ihm gewiß gute und treffende
Beobachtungen, aber advokatorifche Dialektik fehlt auch
nicht, und der Freifpruch, der gefordert wird, dürfte nicht
bei allen Herren Gefchworenen d. h. den hiftorifchen
Kritikern ein Echo finden. Es bleibt noch Dunkles übrig,
das im beften Falle ein in dubio pro reo bewirken könnte.

Zuzugeftehen ift Sch. feine ftarke Heranziehung Murners, der in der
Tat einiges Neue bietet. Aber z. B. die Erörterung über den erften Teil
des fogen. Defenforium S. 4ff. befriedigt nicht. Es wird aller Nachdruck
darauf gelegt werden muffen, daß diefer Teil fchon ein halbes Jahr vor
Einleitung des Prozeffes fertig war, und ob er dann wirklich fo ganz
harmlos nur ,die im Klofter vorgekommenen Wunderdinge, wenn es fich
fpäter darum handelu würde, den Papft für den Orden zu gewinnen' be-
richten follter Fueter weift neuerdings (Hiftor. Zeitfchr. 1913 S. 199)
wieder darauf hin, daß diefer erfte Teil wohl identifch fei mit einem
Büchlein, das während des Prozeffes eine Rolle fpielte, und das kann fehr
wohl im Sinne einer Reklame für den Orden und fein Berner Klofter
gedeutet werden, wenn es auch nicht fo fein muß. Der Anfang des I
Handels ift überhaupt nicht recht klar. Nimmt man a priori die alleinige I
Schuld Jetzers an und läßt die Dominikaner in gutem Glauben an ihn
fein, fo kann, wie Sch. ausfuhrt, auch die Romreife harmlos gedeutet
werden. Sind aber die Dominikaner mit beteiligt, fo gewinnt das Gewinnen
von Beftätigungsbriefen des Papftes fofort ein anderes Ausfehen, und der
Segen der Jetzer-Maria über den Rompilgern wird bedeutfam. Denkbar 1
bleibt auf alle Fälle die Möglichkeit, daß Jetzer und die Dominikaner
Hand in Hand gingen, folange die Aufregung in Bern noch nicht bedrohlich
wurde, daß fie dann aber angeftchts diefer fich von einander fchieden j
und fich gegeneinander kehrten. Die verworrenen und z. T. einander
widerfprechenden Äußerungen Jetzers (der übrigens aus Zurzach flammte
und kein ,Schwabe' war, wie es S. 130 heißt) würden fich daraus erklären,
daß er den Kern des ganzen Problemes der immaculata coneeptio zu-
nächft überhaupt nicht verftanden hatte. Doch darf man fich Jetzer nicht
allzu dumm vorftellen; Sch. weift darauf hin, daß Jetzer in der Heiligenlegende
gut befchlageu war und fie raffiniert ausnutzt (S. 132 f.). Boffert
(a. a. O.) hatte darauf hin gedeutet, daß der Betrüger feine umfangreichen
Manipulationen fchwerlich habe allein vollbringen können; daß das an
fich doch möglich war, zeigt Sch. fehr gefchickt und überzeugend. Überhaupt
, das fei nochmals kouftatiert: Sch. führt die Sache der Dominikaner
fehr gefchickt und widerlegt nicht wenige Argumente der Gegner, aber
wenn man fich zum Freifpruch entfchließt, fo wird es doch fchließlich
nur wegen mangelnder Beweife gefchehen können. Auf ein Moment legt
Sch. mit Recht fehr ftarken Nachdruck, nämlich auf die von der Berner
Regierung in der ganzen Angelegenheit gefpielte Rolle. Ift ein Juftiz-
mord begangen worden, fo fällt er nicht Jetzer allein, fondern auch der
Staatsgewalt zur Lad. Die Obrigkeit zeigt fich als Herrin und Tyrannin
über das Klofter, felbft gegenüber den höheren geiftlichen Gewalten. Das
ift ja nahezu eine Allgemeinerfcheinung am Vorabend der Reformation,
und wenn man fie zum Verftändnis des Verlaufes diefer mit Recht heranzuziehen
pflegt, fo darf man bei Bern keine Ausnahme machen. In
die fem Sinne — es ift allerdings nicht der herkömmliche — gehört
der Jetzerhandel doch in die Prolegomena der Berner Reformationsgefchichte
hinein.

Zürich. Walther Köhler.

Zwingliana. Mitteilungen zur Gefchichte Zwingiis u. der
Reformation. Hrsg. vom Zwingliverein in Zürich. Red.:
G. Meyer v. Knonau. 1913. Bd. III. (64 S. m. 2 Tafeln.)
gr. 8°. Zürich, Zürcher & Furrer. M. 1.50

Mit der fchönen Abhandlung O. Farners ,Zwinglis
Entwicklung zum Reformator nach feinem Briefwechfel
bis 1522', deren Abfchluß erft 1914 bringt, beginnt
Band III. F. gibt einen wertvollen Beitrag zu Zwingiis
Biographie. Freilich ift das bisher nicht genügend ausgebeutete
Quellenmaterial befchränkt und darum das Bild
Zw. etwas einfeitig, aber umfo beachtenswerter. Zwingli
erfcheint hier ganz als Humanift und zwar als Erasmia-
ner, dem der Niederländer hocherhaben über alle andern
Größen fteht, um deffen Liebe er wirbt, der aber in
kühler Erhabenheit zugeknöpft bleibt und wohl einen
Botzhenn in Konftanz befucht, aber trotz Zw. Einladung
Zürich fern bleibt. Ganz maßlofe Verehrung des Erasmus
bindet auch feine Freunde zufammen. Ihre Studien
gelten der Erasmusliteratur, dem Neuen Teftament, den
Kirchenvätern und den Klaffikern. Intereffant ift der
Nachweis, daß Z. überwiegend Matthäus zitiert, über Paulus
,noch fchief urteilt', von Kirchenvätern Hieronymus
in feinen Zitaten weit bevorzugt, und mit feinen Freunden
eine ungemeine Kenntnis der klaffifchen Literatur
erwirbt. Ebenfo wichtig ift das Bildungsideal, das er
mit ihnen teilt, dem aber ,ein beftimmt chriftlicher Ein-
fchlag fehlt'. Was den jungen Freunden an Zw. imponiert
, ift nichts Kirchliches oder Religiöfes, fondern feine
gewinnenden Eigenfchaften, feine wiffenfehaftliche Begabung
und fein Gefchick für Belebung des wiffenfehaft-
lichen Intereffes. Bei einer großen Anzahl Briefe ,würde
man weder als Schreiber noch als Empfänger einen
Pfarrer vermuten'. Denn feine kirchliche Tätigkeit fteht
keineswegs im Vordergrund. Man kann gefpannt auf
die Fortfetzung fein, wenn Luther in den Gefichtskreis
Zw. und feiner Freunde tritt.

W. Köhler befpricht aus Anlaß einer Anfrage Joh.
Comanders in Chur bei Zwingli am 2. Okt. 1526, die
Stellung beider zur Privat- oder Krankenkommunion, der
fie abhold find, da das Abendmahl Gemeindefeier fei
und die Kranken an Troft und Unterweifung aus Gottes
Wort fich halten follen. Aber in der Peft und unter dem
Einfluß der Basler und Konftanzer Liturgie begehrte
man die Krankenkommunion in Chur, welche Comander
für ein Stück Papfttum anfah, womit man den Exkom-
munikierten in Todesnot entgegenkam. Der Bericht
Edlibachs über Zwingiis beabfichtigten Rücktritt vor dem
erften Kappeler Krieg wird von W. Wuhrmann als unhaltbar
gegen Bullingers Bericht, der ihn auf den 26. Juli
1531 anfetzt, erwjefen. Der Frevel an dem Roß des
Zürcher Kon. v. Ägeri läßt fich mit Boßharts Chronik
Schw. GQ 3,240 genau auf c. 21. Feb. 1531 datieren,
was Wuhrmann entging. Die Folge der Kappler Niederlage
machte, wie H. Efcher zeigt, die Veröffentlichung
des Wandkalenders für 1532 unmöglich, deffen
Kopf die Wappen der ins chriftliche Burgrecht und Verftändnis
Eingetretenen, Heffen, Straßburg, Konftanz,
Zürich, Bern, zierten, da Zürich ebenfo auf diefe Bünd-
niffe verzichten mußte, wie die fünf katholifchen Orte
wenige Jahre vorher auf das mit Öfterreich. Die Wirkungen
Zwingiis und Bullingers auf das Ausland befpricht
W. Köhler. In Heffen und den füddeutfehen
Städten mußte der Zwinglianismus vor Butzers Einwirkungen
weichen, nachdem in Heffen fich jedenfalls bis
1534 drei ftrenge Lutheraner Ad. Krafft, Erh. Schnepf,
der nie Hofprediger war, (S. 261) und der ,biffige Hofprediger
' Konr. Öttinger gen. Huzellob in bedeutenden
Stellungen befanden. In Jülich-Berg ftand Zwingli mit
den Täufern auf einer Linie als Sakramentierer. Dagegen
ift Bullingers Einfluß am Niederrhein und in Holland
recht klein. In volkstümlicher Weife gibt Egli feine Abhandlung
(in den Analecta) über Biblianders Miffions-
gedanken wieder, fagt aber jetzt, fchon zu Anfang des
Jahrh. habe Erasmus fie ausgefprochen. In der RE. 13:!,
128, 3 ift als Quelle feine Ecclesiastae sive de ratione
concionandi libri IV angegeben, die zuerft 1535 er-
fchienen. Dann gebührt aber die Priorität Luther, der
in der Bulla coenae domini W. A. 8, 708 fagt, wenn der
Papft Chrifti Statthalter wäre, würde er hingehen und
den Türken das Evangelium predigen und Leib und
Leben daran fetzen. Bibliander ift wohl durch die Flug-
fchrift ,Abfchrifft eins Brieffs von Conftantinopel' etc.