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Ausgabe:

1914 Nr. 14

Spalte:

423-425

Autor/Hrsg.:

Kittel, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Oden Salomos überarbeitet oder einheitlich? 1914

Rezensent:

Gunkel, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 14.

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was zur Darfteilung und Beurteilung der erften Auflage in
diefem Blatt gefagt wurde (Jahrgang 1906, Nr. 23), auch
von dem gegenwärtigen Buch. Daslelbe verrät an vielen
Stellen die beffernde Hand des Autors. Vor allem ift M.
bemüht gewefen, die Literatur nachzutragen; daß hier
noch Lücken aufzuweiten wären, ift bei dem Ungeheuern
Material nicht zu verwundern; das Wefentliche ift aber
überall ergänzt, und nicht feiten in knapper Formulierung
charakterifiert. Die gelegentliche Bezugnahme auf Drews
und andere Erfinder gewagter Hypothefen hätte M. fich
fogar erfparen können. Zur Vermutung des nichtjüdifchen
Urfprungs Jefu in H. S. Chamberlain's Werk über die
Grundlagen des XIX. Jahrhunderts verhält fich der Vf.
fkeptifcher als früher (vgl. XXXV 2 mit XXVIII1). Aus-
gefchaltet ift die Auseinanderfetzung mit Völter und
Bouffet über die iranifche Ableitung der Bezeichnung
Menfchenfohn, ein Problem, über das fich M. überhaupt
vorfichtiger äußert als in der 1. Auflage (95—962 vgl.
mit 93— 97')• In der exegetifchen Bearbeitung einzelner
Stellen fei Beifpielsweife auf folgende Modifikationen hin-
gewiefen, die m. E. einen Fortfehritt gegenüber der
früheren Auffaffung begründen. Über Matth. 11,27 =
Luc. 10,22 (8fg. vgl. mit 7fg.) — die Ausfage über das
Jonaszeichen Luk. 11,29 vgl- mit Matth. 12,38—42 (442fg.
vgl. mit 42 1 fg.) — die Stelle Matth. 5,18—19 (126—1292
vgl. mit 126 —130'). Das Kapitel über das heilige Abendmahl
(297—3C9!) hat durch Heranziehung und Verwertung
der in den letzten Jahren erfchienenen Literatur mancherlei
Änderungen und Erweiterungen erfahren (303—317 2). Die
reichhaltigen geiftvollen Conclusions (329—3582), die die
Grenze der religionsgefchichtlichen Betrachtung zuweilen
überfchreiten und in das Gebiet der praktifchen Glaubens-
intereffen greifen, find im wefentlichen diefelben geblieben;
in den Ausführungen von Nr. VIII ift eine Annäherung
an das von T. Fallot, E. Gounelle, W. Monod vertretene
foziale Chriftentum nicht zu verkennen. — Warum das
Stellen Verzeichnis der 1. Auflage (355—63) geftrichen
wurde, ift nicht erfichtlich; es war bequem und erleichterte
das Nachfchlagen und die Prüfung einzelner Ausfagen
und Urteile.

Hoffentlich wird die beilällige Aufnahme, die das Buch
M.'s bei feinem erften Erfcheinen gefunden hat, auch diefer
neuen Auflage zu Teil: zeichnet lieh doch M.s Schrift zugleich
durch befonnenes Urteil, lichtvolle Darfteilung und
religiöfe Wärme in hohem Maße aus. Die zahlreichen
Anmerkungen, in denen M. auch gegnerifche Anflehten
zu Wort kommen läßt, geben dem Lefer die Möglichkeit
fich für Löfungen zu entfeheiden, die der Verf. felbft abgelehnt
, aber mit rühmlicher Objektivität mitgeteilt hat.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Kittel, Priv.-Doz. Lic. Gerhard: Die Oden Salomos überarbeitet
oder einheitlich ? Mit 2 Beilagen: L Bibliographie
der Oden Salomos. II. Syrifche Konkordanz der Oden
Salomos. (Beiträge zur Viffenfcha.ft vorn. Alten Xefta-
ment, Heft 16.) (IV, 180 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hin-
richs 1914. M. 5—; geb. M. 6 —

Die Schrift handelt über die Frage der Einheitlichkeit
der Oden Salomos. Wie man fich erinnern wird, find,
unmittelbar nachdem diefe rätfelhaften Gedichte bekannt
geworden find, noch ehe ihr Verftändnis auch nur in
grundlegenden Zügen gefichert war, einige Scheidungs-
hypothefen aufgeftellt worden und haben eine Zeit lang im
Vordergrund der Erörterung geftanden. Inzwifchen ift aber
diefen Vermutungen bei zunehmendem Verftändnis des
Textes fo viel Widerfpruch entgegengetreten, daß fie wohl
bereits als erledigt gelten können. Das Verdienft des
Verfaffers, der diefe Ausfcheidungen noch einmal mit
aller Ausführlichkeit behandelt und fie mit deutfeher
Gründlichkeit noch töter als tot macht, würde bei diefer
Lage der wiffenfehaftlichen Forfchung, wenn man nur '

auf fein Ergebnis fieht, nicht allzuhoch zu bemeffen fein.
Wertvoll und bedeutfam aber erfcheint mir die Art, wie er
die Unterfuchung führt. In einem erften Teil geht er den
mancherlei ftiliftifchen Schwankungen nach, die fich überall
in den Oden finden: wie fie bald in andächtigem Gebete
zu Gott reden, bald, wenn die Reflexion fich einmifcht, von
ihm in dritter Perfon fprechen; wie der Dichter zunächft an
fich felber und feine eigenen inneren Erlebniffe denkt, wie
aber fein Blick immer wieder auf die andern Gleichge-
ftimmten abfehweift, fo daß neben das ,Ich' das ,Wir' und
,Ihr' tritt; wie fich neben oder zwifchen die perfönlichen
Ergüffe objektive Schilderungen von inner- und überweltlichen
Gefchehniffen ftellen; wie der Dichter eigentümlich
mit feinen Bildern wechfelt, die ihm bald lebendig
vor Augen flehen, bald zu Redensarten abgeblaßt find,
ufw. Verfaffer geht auf folche Beobachtungen hin die
einzelnen Oden durch: er verlieht es, das beftändige
Schwanken der Gedanken zu fchildern, und zeigt zugleich,
wie die Lieder trotz diefer z. T. feltfamen Mifchungen dennoch
aus einem Guffe find. In einem zweiten Teile wendet
der Verf. die fo gefundenen Beobachtungen auf diejenigen
Gedichte an, deren Einheitichkeit bezweifelt worden ift, und
weift nach, daß auch die ftiliftifch bunteften unter ihnen
trotzdem völlig einheitlich find. Der durchaus gelungenen
Beweisführung find viele gute Eigenfchaften nachzurühmen:
Klarheit, Befonnenheit, Sprachkenntnis, Sicherheit der
Problemftellung und der Ausführung, Beherrfchung der
inzwifchen fo ftark angefchwollenen Literatur. Eine Fülle
I einzelner Beobachtungen, teils felbft gefundener, teils von
andern glücklich übernommener, auch folche, die für den
eigentlichen Gegenftand der Unterfuchung nicht durchaus
notwendig gewefen wären, werden mitgeteilt, fo daß
niemand die Schrift ohne Belehrung lefen wird. Von
; befonderem Wert ift die fyrifche Konkordanz in den Bei-
! lagen. Wefentlich gefördert hat der Verfaffer die Erklä-
I rung der Oden vor allem durch fein Beftreben, das Seelen-
i leben des Dichters, das fich in den Stilmifchungen aus-
fpricht, zu befchreiben (vgl. befonders S. 36 ff.) In diefem
I Punkte freilich fcheint mir der Verfaffer noch nicht zum
letzten Ziele hindurchgedrungen zu fein. Und vielleicht
hat er felbft die Empfindung, daß fich ihm diefe merkwürdigen
phantaftifch-überfchwänglichen Lieder in der
Tiefe noch nicht ganz erfchloffen haben. Z. B. daß die
Oden im ,Geheimnis' reden und nur verhüllend offenbaren,
und daß diefes Helldunkel in der Grundflimmung auch
die letzte Urfache ihres geheimnisvollen Schwebens und
Schwankens im Stile ift, fcheint ihm noch nicht völlig
aufgegangen zu sein. Möge er fürderhin, fo wünfehen wir
ihm, fich immer wieder mit der Überzeugung durchdringen
daß die letzten Erkenntniffe nicht von nüchterner Befonnenheit
oder einer noch fo ausgebreiteten Belefenheit,
fondern von der nachfehaffenden, wohlgefchulten Phan-
tafie gewonnen werden, und daß eine Forfchung, die an
diefem Punkte verfagt, doch nur Vorarbeiten zu leiften
vermag.

Hier und da glaubt man, an gewiffen Unficherheiten
die Hand des Anfängers zu erkennen: fo bekämpft er
Auffaffungen, die keine Widerlegung bedürfen (z. B. S. 17
A. 2), Hellt Fragen auf, die keine ernfthafte Behandlung
verdienen (z. B. S. 8 A. 3) oder rechnet mit Möglichkeiten,
die auch für ihn felbft nicht in Betracht kommen (S. 29
A. 4, wo er die Annahme einer fyrifchen Urfchrift nicht
einfach abweift). Allzu zaghaft ift auch feine Stellung
zur hebräifchen Metrik (S. 10 f.), in der doch gegenwärtig
Einiges auch fchon feftfteht oder wenigftens feftftehen follte.
Eine Entgleifung ift feine Behauptung, daß die Ungnad-
Staerk'fche ,die einzige, durch keine Tendenz getrübte
deutfehe Überfetzung der Oden' fei (S. 11 A. 2); Verfaffer
verwechfelt dabei wohl die Begriffe /tendenziös' und Subjektiv
' und bedenkt nicht, daß jede ,Überfetzung', die diefes
Namens wert ift, das fubjektive Verftändnis des Textes
durch den Überfetzer wiedergeben muß. Nicht ganz
verftändlich ift mir die, wie mir fcheint, etwas gereizte