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Ausgabe:

1914 Nr. 13

Spalte:

397-398

Autor/Hrsg.:

Dauch, Bruno

Titel/Untertitel:

Die Bischofsstadt als Residenz der geistlichen Fürsten 1914

Rezensent:

Lerche, Otto

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397

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 13.

398

fchende Ideenwelt ift die des Hellenismus in feiner Umbildung
durch das Chriftentum. Dabei treten (24—30)
eine Reihe anderer Religionsbekenntniffe und Weltanfchau-
ungen auf, die uns ein lebendiges Bild der Geifteskämpfe
zu Beginn des 9. Jahrhdts. in Syrien entwerfen. Es find
die Dahriten (Sabier, hier Hunafä genannt, ein Beweis dafür
, wie viele Bedeutungen das fo fehr umftrittene Wort
Hanif haben kann), die unter Leugnung der Exiftenz
Gottes die Sterne als die im ewigen Weltall allein herr-
fchenden Mächte annahmen, derParfismus mit feiner Lichtlehre
, Manichäer, Markioniten, Bardefanier, alfo diefeIben
Sekten, die ca. 800 auch in den apo'.ogetifchen Dis-
kuffionen der Muslime (vgl. meine: Syfteme der fpeku-
lativen Theologen im Islam' S. 77—89) auftreten. Der
Islam erfcheint als eine durch ihre Genußfucht und Machtanwendung
verächtliche Religion, eine Empfindung, die ja
auch die älteften Mutaziliten d. h. Asketen veranlaßte,
fich von dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Noch
mehr werden wir in die damalige Geifteskultur durch die
fachlichen Momente der Abhandlungen des a. K eingeführt.
Er ift ein älterer Zeitgenoffe des Nazzäm und es ift wohl
kein reiner Zufall, wenn a. K. (12,10) fich in ähnlichen
Gedanken wie diefer bewegt: Aus dem Holze entfteht
durch Reiben Feuer. Folglich muß diefes in dem Holze
vorhanden fein und durch den äußeren Reiz der Reibung
aus feiner .Verborgenheit' (kumün vgl. ZDMG 1909 Bd. 63,
774ff.) hervortreten. Diefes ift die Lehre des Nazzäm
(und Anaxagoras) über Werden und Veränderung der
Dinge. Allerdings bedient fich a. K. nicht derfelben Terminologie
; aber beide Lehren find doch wefensverwandt.
Die Lehre (13,12) daß die Erde immer tiefer fällt, bis fie
einen Stützpunkt findet, tritt zur felben Zeit (Hifchäm) auch
im Islam auf. Zu beachten ift auch die empirifche Methode
, nach der a. K. die Exiftenz Gottes nachweifen will.
Der Ariftotelismus tritt ganz zurück, und man hat den
Eindruck, daß hier neue Probleme in eigener Weife
(mit Anfchluß an einige griechifche Lehren) behandelt
werden, die fich aus Diskuffionen mit den Muslimen und
anderen ergeben. In der Trinitätslehre nahmen die fpäteren
Apologeten einen mehr islamfreundlichen Standpunkt ein,
indem fie die Dreiheit in Gott als drei Eigenfchaften
auffaßten, während a. K. die Dreiheit (im altchriftlichen
Sinne) fogar aus der natürlichen Vernunft erweifen und
fie als Kennzeichen der wahren Religion hinftellen will.

Es find alfo wiederum fchöne Refultate zur Kultur-
und Religionsgefchichte, die uns Graf in diefer Studie
(über feine frühere f. d. Zeitfchr. 1911 Sp. 397) bietet. Sie
zeigt uns von neuem, wie vielfältig die Berührungen zwifchen
Islam und Chriftentum (gegen fünfzig gemeinfame Lehren
laffen fich herausheben), aber auch wie angeregt die Diskuffionen
zwifchen beiden waren.

Bonn. Horten.

Dauch, Dr. Bruno: Die Bifchofsftadt als Relidenz der geift-
lichen Fiirften. (Hiftorifche Studien. Veröffentlicht v.
E. Ebering. 109. Heft.) (272 S.) gr. 8°. Berlin, Ebering
1913. M. 7.20

Gewiß hat der Verfaffer mit diefer Arbeit dargelegt,
daß noch eine ganze Reihe von Fragen der deutfchen
ftädtifchen Rechtsgefchichte in ihrer Bindung an die
kirchliche Rechtsentwicklung der Entfcheidung harrt.
D. felbft hat zu einer Erörterung der fraglichen Probleme
kaum mehr als die Materialfammlung und höchftens neue
Anregung geboten. Aber auch dafür dürfen wir ihm
dankbar fein, denn die Zufammenftellungen find zuverläffig
und, einige Kleinigkeiten abgerechnet, vollftändig. Daß
der Verf. fich auf das alte Reichsgebiet befchränkt, halte
ich zweifellos für fehr berechtigt, denn die Verhältniffe
im örtlichen Kolonifationslande find in der Tat völlig
von denen im Reich verfchieden. Doch meine ich mit
der Bifchofsftadt als Refidenz hat es nichts zu tun, ob

der Bifchof die Reichsftandfchaft erlangt oder nicht.
D. hätte beffer getan, wenn er fich hier etwas präzifer
ausgedrückt hätte. Wie fich aus der Arbeit ergibt,
behandelt er nur die Bifchöfe, die Reichsftandfchaft
erlangt haben; er zieht alfo nicht in den Kreis feiner
Betrachtungen außer den erwähnten örtlichen Kolonifations-
bistümern die bairifchen Landesbistümer, die Salzburger
Gründungen: Sekkau, Lavant, ufw. Durchweg in der
Arbeit, in deren Verlauf die einzelnen Bistümer nach
geographifchen Gefichtspunkten zufammengeftellt erörtert
werden, zeigt fich, daß das aufftrebende Bürgertum die
Bifchöfe aus ihrer Refidenz vertrieben hat, gleichviel ob
die Stadt urfprünglich auf bifchöflichem oder auf andrem
Boden gegründet war. Gerade diejenigen Momente, die
von fo großer Bedeutung für die Entwicklung des deutfchen
Bürgertums waren, find unheilvoll für die Bifchöfe geworden.
Die Bifchöfe, wie überhaupt die in der Stadt anfäffige
Geiftlichkeit mußte von der entfliehenden und erftarkenden
Ratsverfaffung herangezogen werden, die gemeinfamen
Laften mitzutragen: aus der Weigerung ergab fich eine
Menge Konfliktsftoff, der fich noch vermehrte bei der
Erörterung derBefetzung von Mauern, Toren und Türmen.
Gar nicht von Bedeutung dagegen ift in allen diefen Fragen,
wie der Verfaffer felbft zugibt, die Stellung der Bifchöfe
zum Reiche, bzw. zum Kaifer. Die einzelnen Phafen der
Entwicklung find im allgemeinen die, daß der Bifchof
auf dem für feine kirchlichen Zwecke immunen Boden
feine Refidenz errichtet und dann bei dem erften Konflikt
dem Anfturm der Bürger weichen muß. In größerem
Maßftabe ergab fich für die Bifchöfe eine folche Notwendigkeit
im Inveftiturftreite. Im Werten des Reichs waren
diefe Bewegungen zuerft hervorgetreten, und bekannt ift
die Parteinahme der rheinifchen Bürger für Heinrich IV
gegen die Bifchöfe, ihre nächften Herren. Im 13. Jahrhundert
wird die Bewegung ftärker, und es werden immer
mehr Bifchöfe gezwungen, ihre Refidenz zu verlaffen und
an einem anderen Ort — meift in der Nähe — fich nieder -
zulaffen. Für Lüttich wäre es dem Verfaffer vielleicht
möglich gewefen, noch die in derfelben Sammlung erfchie-
nene tüchtige Arbeit von Schneider zu benutzen. Indem
ftürmifchen Leben Johanns II von Baiern, erwählten
Bifchofs von Lüttich, fpiegeln fich deutlich wieder die
zahllofen Schwierigkeiten, denen ein energifch auftretender
Bifchof in feiner Stadt zu begegnen hatte. Zu wünfchen
übrig bleibt eine fyftematifche Darfteilung der Art und
Weife, wie fich die vertriebenen Bifchöfe geholfen haben.
Auch wäre es wichtig, in diefem Zufammenhang zu erfahren
, wie fich die Domkapitel in folchen Fällen verhalten
haben. Sie haben bekanntlich nicht immer auf der Seite
des Bifchofs geftanden. Auch die Schwierigkeiten, denen
die bifchöfliche Amts- und Landesverwaltung durch den
Refidenzwechfel ausgefetzt war, bedürften einer Klarlegung.
Inzwifchen aber ftatten wir dem Verf. für das Gebotene
unfern Dank ab.

Wolfenbüttel. Otto Lerche.

Bibliotheca reformatoria Neerlandica. Gefehriften uit den
Tijd der Hervorming in de Nederlanden. IX. deel:
Gefehriften van gemengden aard (van Utenhove, Cool-
tuyn e. a.) bewerkt door Dr. F. Pijper. (VIII, 662 S.)
Lex. 8°. 's-Gravenhage, M. Nijhoff 1912. fl. 8 —

Der 9. Band des großen Werkes zur niederländifchen
Reformationsgefchichte bringt, von Pijper herausgegeben,
,gefchriften van gemengten aard'. An der Spitze fleht die
simplex et fidelis narratio von Johannes Utenhoven von 1560;
fie führt hinein in die Zwiftigkeiten zwifchen Lutheranern
und Reformierten und in die Anfänge der niederländifchen
Flüchtlingsgemeinde in London, das rechtfertigt
genügend die Aufnahme in die ,Bibliotheca'. Der
lutherifche Gegner, mit dem es Utenhoven zu tun hat,
ift der Hamburger Joachim Weftphal, deffen von Sillem