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Ausgabe:

1914 Nr. 13

Spalte:

390-391

Autor/Hrsg.:

Brüne, B.

Titel/Untertitel:

Flavius Josephus und seine Schriften in ihrem Verhältnis zum Judentume, zur griechisch-römischen Welt und zum Christentume 1914

Rezensent:

Debrunner, Albert

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 13.

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und Strophentheorie aufzubauen (§§ 5—7). Zu folchem
Experiment reichen feine Einzelbeobachtungen nicht aus.
Ehe nicht die Fülle der metrifchen Erfcheinungen forg-
fältig durch Ei nzelunterfuchungen, z. B. über die Verstechnik
bei Jefus Sirach, in nachweisbar jüngeren Pfalmen,
in den Threni, in datierbaren Stücken der prophetifchen
Lyrik ufw., feftgeftellt worden ist, find dergleichen Syfteme
in die Luft gebaut.

In der Beftimmung der Versarten geht Z. über Sievers hinaus,
wenn er auch Neuner, Zehner, ja Elfer und Zwölfer glaubt nachweifen zu
können. M. E. gibt es folche Langverfe nicht. Z. hat nicht erkannt,
daß des öfteren mit Abficht Doppeldreier, Siebener und Achter durch
Reihen abgelöft werden. Ein gutes Beifpiel dafür bietet Pf. 77, 17—21.
Die Beifpiele, durch die Z. die von ihm feftgeftellten Versarten veran-
fchaulicht, find vielfach ungeeignet oder geradezu falfch. In dem § über
den Strophenbau gibt Z. eine Überficht über die von ihm ermittelten
Kunftformen der hebr. Lyrik. Er will unterfcheiden: gleiche Verfe (durchlaufende
Metra), alternierende Verfe, fymmetrifche Pfalmen, gleiche, kongruente
und gleiche nicht kongruente Strophen, Verspaare verfchiedenen
Metrums, Pfalmen gemifchter Form. Die in den Textproben S. 24 fr. gegebenen
Belege dafür habe ich durchgeprüft mit dem Refultat, daß
auch nicht ein Beifpiel in allen Teilen überzeugend ift. Die
Gründe dafür liegen auf der Hand. Z. fleht den überlieferten Texten fo
unkritifch gegenüber, daß er z. B. die mufiktechnifche Unterfchrift Pf. 48, 15
tVWllS in den von ihm feflgeftellten Vers als letzte Tonfilbe hineinzieht.
Dann wieder vergewaltigt er den Text feiner Theorie zu Liebe, fo wenn
er die logifch fcharf getrennten Ausfagen Pf. 48, 8 und 9 (wo Schluß und
Anfang einer Strophe zufammenftoßen 1) zu einer metrifchen Einheit vereinigt
. Der Hauptfehler fcheint mir aber darin zu liegen, daß Z. das
große ftiliftifche Grundgefetz des Parallelismus membrorum nicht genügend
berückfichtigt hat. Dadurch beraubt er fich felbfl der wichtigflen Hülfe
bei der grundlegenden Arbeit, die metrifch-rhythmifchen Einheiten
eines lyrifchen Gedichts und das logifche Verhältnis der Reihen zu einander
feftzuftellen. Z. verbindet z. B. in Pf. 13 gegen das ftiliftifche
Grundgefetz die Schlußreihe v. 3c mit dem erften Halbftichos des folgenden
Doppelvierers v. 4 zu einer metrifchen Einheit und reißt nun in v. 5
die Halbflichen des Doppeldreiers auseinander. Das verführt ihn dann
weiter zu der ganz unbegründeten Behauptung, in v. 5 müßten ]B und
fS Hauptton haben. Wie übrigens aus folchen, einer falfchen Strophentheorie
zu Liebe konftruierten Verfen des weiteren allgemeine Regeln ab-
ftrahiert werden, das lefe man bei Z. S. 10 felbft nach. M. E. follte man
vor allem Behauptungen über Gefetze des Strophenbaus unterlauen, bis
wir den Versbau im einzelnen genau erkannt haben.

Das Ergebnis meiner kritifchen Durchficht von Z.s
Grundriß ift alfo überwiegend negativ. Ich betone gern
und nachdrücklich, daß er prinzipiell im Recht ift mit
feiner Auffaffung vom Wefen der hebräifchen Metrik, aber
ich bedaure es, daß er durch voreiliges Syftematifieren
und Theoretifieren auf Irrwege geraten ift.

Jena. W. Staerk.

Batten, Prof. Loring W., Ph. D., S. T. D.: A critical and
exegetical Commentary on the Books of Ezra and Nehe-
miah. (The International Critical Commentary.) (XV,
384S.) 8°. Edinburgh, T. & T. Clark 1913. s. 10.6

Die Einleitung befchäftigt fich u. a. mit der Frage
nach dem Alter der beiden Bücher, die mit der Chronik
fraglos — indisputable — von derfelben Hand flammen,
dem Inhalt, der chronologifchen Ordnung der Teile. Hier
wird fogleich bemerkt, daß im Kommentar auf Esr. 4,24a
folgen folle Neh. 1—7,5. c. n —13. Esr. 7—10. Neh. 8—10.
Jedem Fachmann ift fofort deutlich, daß fich der Verf.
in den Bahnen der Holländer, fpeziell Koffers' bewegt
und die Wirkfamkeit Esras hinter Nehemias anfetzt. Es
wird diefer Standpunkt noch in § 10 (S. 28 ff.) ausführlich
begründet. Vgl. hierzu auch im Kommentar S. 334. Die
Schwierigkeiten, von denen diefe Umftellung gedrückt
wird, find in deutfchen — dem Verf. felbftverftändlich
bekannten — Monographien und Einleitungswerken fo
reichlich erörtert, daß von einer Wiederholung hier ab-
gefehen werden darf, zumal B. neue Argumente feinerfeits
nicht vorbringt. Übrigens weicht der Verf. von Kolters
doch darin ab, daß er eine Rückkehr fchon im erften
Jahre des Cyrus für hiftorifch hält. Auch fonft zeigt fich
B. — um jedem Mißverftändnis zu begegnen, fei das ausdrücklich
betont — als ein felbftändiger Forfcher z. B.
in der Art, wie er Torreys (in den authors and writings
nicht erwähnt, S. 16 f. fehr kurz zitiert) radikale Beurteilung

der Esra-Memoiren, vgl. composition and hist. value of
Esra-Nehemiah, Gießen 1896, ablehnt.

Auch über Text und Verhältnis des Hebräers zur
griechifchen Überfetzung äußert fich B. ausführlich. Ich
muß geliehen, daß ich in diefen Abfchnitten die Unter-
fcheidung zwifchen H = hebrew consonantal text und
MT = the massoretic pointed text nicht begriffen habe.
Für uns ift doch nur MT eine greifbare textkritifche
Größe. — Der Kommentar felbft ift fo eingehend, daß
wir ihm keinen deutfchen gleicher Art an die Seite fetzen
können; nur hätte ich gerne gefehen, wenn B. zu Neh.
2.3.12 etwas mehr auf die topographifchen Probleme
eingegangen wäre. Es können diefe Kapitel doch mit
Fug und Recht als die klaffifche biblifche Quelle zur
Topographie Jerufalems bezeichnet werden. Hier ift B.
aber ebenfo zurückhaltend wie feine deutfchen Vorgänger.
Our ignorance of the ancient topography S. 282 ift eigentlich
keine Entfchuldigung in einem Spezialkommentar.
Aber vielleicht liegen dem Verf. gerade folche Probleme
nicht; was fonft geboten, ift jedenfalls alles Lobes wert

Königsberg/Pr. Max Lohr.

Brüne, Pfr. em. B.: Flavius Jofephus u. feine Schriften in
ihrem Verhältnis zum Judentume, zur griechifch-röm.
Welt u. zum Chriftentume, m. griech. Wortkonkordanz
zum Neuen Teftamente und I. Clemensbriefe, nebft
Sach- u. Namen-Verz. Anh.: Inhalt nebft Sachregifter
zu Jofephus, der Gefchichtsfchreiber'. (VII, 308 u.
XI S.) 8°. Gütersloh, C.Bertelsmann 1913. M. 9 —

Brüne will einem Wunfeh nachkommen, den Schürer
vor 27 Jahren in diefer Zeitfchrift (1887, Sp. 417 ff.) aus-
gefprochen hat: es möchte an dem typifchen Beifpiel des
Jofephus unterfucht werden, wie fich im griechifch gebildeten
Juden das griechifche und das jüdifche Wefen verbunden
haben. Freilich wenn dort Schürer die bisherigen Arbeiten
auf diefem Gebiet nur als Materialfammlung gelten läßt,
fo würde heute fein Urteil auch Brüne's Buch gegenüber
kaum anders lauten. Denn diefer befchränkt fich in der
Hauptfache auf die fachliche Gruppierung einer großen
Menge von Stellen aus Jof. und bietet damit ein bequemes
Hilfsmittel für jeden, der für irgend eine religiöfe An-
fchauung des Jof. die Belege rafch zur Hand haben will.
Über das Refultat der Vergleichung der jüdifchen und
griechifchen Elemente wird man fich nicht wundern: Jof.
ift und bleibt Jude (Wertfehätzung des Gefetzesl); die
griechifche Bildung haftet durchaus nur an der Oberfläche.
Genauere Nachweife, woher die griechifchen Einflüffe
flammen, fuche man bei Br. nicht. Auch die Ausführungen
über die verfteckte Polemik des Jof. gegen das Chriften-
tum find nicht gerade zwingend, fo fehr auch die Annahme
felbft einleuchtet.

Eine große Rolle nach Umfang und Einfehätzung
fpielt bei Br. die vergleichende Sprachftatiftik. Mit ihrer
Hilfe will er nicht nur feftftellen, welche Wörter Jof. aus
Thukydides, Herodot und Polybius entnommen hat, fondern
er glaubt auch nachweifen zu können, daß gewiffe
neuteftamentliche Schriftfteller Jof. gekannt haben. Diefe
Refultate wären natürlich für die ,Einleitungsfragen' von
größtem Wert, wenn fie nicht auf falfchen Vorausfetzungen
beruhten. Daß Jof. die Klaffiker feiner Literaturgattung
ftudiert hat und ihnen viel verdankt, glaubt man gern;
aber wenn man den fprachlichen Einfluß der einzelnen
Autoren ausfondern will, fo darf man doch nicht eine Unzahl
von Wörtern, die jedem gebildeten griechifch fprechen-
den Zeitgenoffen des Jof. geläufig waren, wie z. B. axQißrjq,
&s(iskioq, mQtöOeveiv, bei Jof. auf literarifche Entlehnung
zurückführen. Allerdings hat Jof. das Griechifche auch
einmal lernen müffen, aber er und befonders die Griechen,
die er nach feiner eigenen Mitteilung (c. Ap. I 9 § 50)
bei der griechifchen Faffung des Jüdifchen Kriegs' zur
Hilfe heranzog, entnahmen doch ihren Wortvorrat nicht