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Ausgabe:

1914 Nr. 12

Spalte:

373-374

Autor/Hrsg.:

Wehrung, Geo.

Titel/Untertitel:

Die philosophisch-theologische Methode Schleiermachers 1914

Rezensent:

Mulert, Hermann

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Seite 1

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373

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 12.

374

fchäftigen gebraucht, und er hätte die Löfung des Seelenproblems
deutlicher erkannt. Allerdings ift zu verwundern,
daß der Verf. nicht fchon aus ,Natur und Wir' die zureichende
Auskunft genommen hat, denn fchon mittels
eines genaueren Studiums diefer Schrift von 1907 hätte
der Verf. die S. 172 ff. aufgeworfenen Fragen und Bedenken
erledigen können.

Wien. K. Beth.

Wehrung, Studienftifts-Leit. Dr. Geo.: Die philofophifch-
theologifche Methode Schleiermachers. Eine Einführg.
in die Kurze Darftellg. u. in die Glaubenslehre. (VI,
139 S.) gr. 8°. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht
1911. M. 3.60

Wehrungs Verfahren, möglichft nur die von Schleiermacher
felbft in zwei Auflagen herausgegebenen theo-
logifchen Lehrbücher, die Kurze Darfteilung und die
Glaubenslehre, zu unterfuchen und von allen Schriften
abzufehen, die aus Schleiermachers Nachlaß herausgegeben
worden find, für deren Wortlaut er alfo nicht in gleicher
Weife die Verantwortung übernommen hat, ift fehr berechtigt
. Das Ergebnis in betreff der Kurzen Darftellung
ift, daß Schleiermacher in Grundfätzen und Methoden,
die er hier der ,philofophifchen Theologie' vorfchreibt,
fich ftärker an Kant anlehnt, als man zu beachten pflegt,
daß er dann aber bei Betrachtung des wirklichen religi-
öfen Lebens Gedanken einführt, die mit jenen Kantifchen
unvereinbar find. Solche Differenzen werden von Wehrung
entfprechend eingehender auch für die Einleitung der
Glaubenslehre nachgewiefen, auf Grund genauefter Kenntnis
befonders auch der Unterfchiede ihrer beiden Auflagen
und mit außerordentlichem Scharffinn: transzendentale
und empirifche Erörterungen fließen bei Schleiermacher
überrafchend ineinander, die Auffaffung des Gefühls
ift nicht einheitlich ufw. Wird diefe Unterfuchung
auf die ganze Glaubenslehre ausgedehnt, fo darf man I
fich davon erheblichen Gewinn verfprechen; wir werden j
dann noch deutlicher die ftarken Spannungen in Schleiermachers
Denken fehen, ja man darf fagen Widerfprüche,
fachlich nicht geringer als etwa die in Luther, wenn auch
natürlich von anderer Art. Daß ich dennoch manches
in andere Beleuchtung rücken würde, als Wehrung, kann |
ich in diefer durch meine Schuld fehr verfpäteten Anzeige
nicht eingehend begründen; nur angedeutet fei, i
daß mir Schleiermacher der philofophifchen Theologie I
nicht fo entfchieden den Vorrang vor der hiftorifchen
eingeräumt zu haben fcheint, wie Wehrung es darfteilt.
Vom romantifchen abfoluten Idealismus hat er fich nicht
nur zu Kant zurück-, fondern ftark zu jener Gefinnung
hingewandt, die fich keinesfalls ,die wirkliche Welt nehmen
laffen wollte', und Welt war ihm auch hier wefentlich
Geifterwelt, Gefchichte. Bezeichnend (wenn auch gegenüber
andersartigen Äußerungen nicht ausfchlaggebend)
ift die (von Wehrung nicht erwähnte) Erfetzung des Gedankens
der 1. Auflage der kurzen Darftellung: ,wäre die
philofophifche Theologie vollendet, müßte das Studium
damit beginnen', durch .könnte' (§ 29, I. A. S. 9 § 38).
So fehr er, philofophifch gefchult, empirifches und fpe-
kulatives Denken einander entgegengefetzte, fo gewiß
hatte für ihn das eine ohne das andere keinen realen
Wert. Und wenn Wehrung in der Glaubenslehre die in
den Reden geforderte und verheißene Verfelbftändigung
der Religion nicht findet, fondern die Religion ihm hier
als Hörige der Wiffenfchaft erfcheint, fo liegt da in einer
Beziehung eine Übertreibung vor: wenn das Nebeneinander
von Religion und Wiffenfchaft nicht die Einheit un-
feres Selbft zerreißen foll, muß irgendwo ihr Verhältnis
erörtert, müffen beiden Grenzen gezogen werden. Ob man
das in der Einleitung der Glaubenslehre tun foll, ob
Schleiermacher es richtig getan hat, ob er es auch nur
von feinen eigenen Grundanfchauungen aus hier richtig

getan hat, ift eine andere Frage. Auf Einzelheiten, wie
Wehrungs kritifche Literaturüberficht, feine Polemik gegen
Süskind, feinen intereffanten Hinweis darauf, daß fich § 4
der Glaubenslehre (2. A. § 9) am Anfang gegen Fichte
richtet, kann hier nur kurz hingewiefen werden.

Berlin. H. Mulert.

Kahler, weil. D. u. Prof. Martin: Zeit und Ewigkeit. Der

dogmatifchen Zeitfragen III. Bd., 2. gänzlich veränd.
u.verm.Aufl. (X, 212 S.) 8°. Leipzig, A.Deichert 1913.

M. 4.80; geb. M. 5.80

Diefe Sammlung von Auffätzen aus dem Nachlaß des
im J. 1912 heimgegangenen hallenfer Syftematikers ift
feinen vielen Schülern und Freunden gewiß eine fehr
willkommene Gabe. Sie erfcheint als dritter Band der
zweiten Auflage feiner dogmatifchen Zeitfragen. Die
größere Hälfte der in ihr enthaltenen Stücke gehörte dem
erften Bande der erften Auflage an. Der Plan für diefe
Sammlung ift, wie der fie herausgebende Sohn des Ver-
faffers im Vorworte mitteilt, von K. felbft vollftändig
entworfen. Doch war die Hinzufügung noch einiger
weiterer Auffätze, zu deren Ausarbeitung K. nicht mehr
gekommen ift, beabfichtigt. Der vom Herausgeber gewählte
Titel: .Zeit und Ewigkeit' ift für den Inhalt der
hier vereinigten Stücke garnicht bezeichnend, ja er ift
direkt irreführend. Der Herausgeber erklärt ihn im Vorwort
: es fei doch, als ob der Vollendete aus der Ewigkeit
feinen Freunden in der Zeit einen Gruß fendete, und die
verhandelten Zeitfragen feien für den Verfaffer Ewigkeitsfragen
gewefen. Aber es wäre darauf angekommen, im
Unterfchiede von dem Titel von Band I: ,Zur Bibelfrage'
und von Band II: ,Angewandte Dogmen' die inhaltliche
Befonderheit der in diefem Band III behandelten Zeitfragen
zu charakterifieren. Dazu wäre etwa der Titel
.Aufgaben der wiffenfchaftlichen Theologie' geeignet gewefen
. Denn faft alle hier zufammengeftellten Auffätze
befchäftigen fich in programmatifcher Weife mit den
Aufgaben der theologifchen Wiffenfchaft im ganzen oder
einzelner wichtiger Zweige derfelben. Gerade wegen diefer
Befonderheit ihres Inhalts ift diefe Sammlung eine wertvolle
Ergänzung der übrigen Bücher und Auffätze K.'s.

Über den Inhalt der fünf Auffätze: .Warum ift es in
der Gegenwart fo fchwer, zu einem feften Glauben zu
kommen?' ,Die moderne Theologie und die Stellung der
Kirche zu ihr auf Kanzel und Katheder'; .Chriftentum und
Syftematik'; ,Unbewußtes und bewußtes Chriftentum'; ,Der
Menfchheit Fortfehritt und des Menfchen Ewigkeit' habe
ich in meiner Anzeige der erften Auflage der .dogmatifchen
Zeitfragen' in ThLz. 1899 S. 244 kurz berichtet.
Da diefe Stücke unverändert geblieben find, darf ich mich
jetzt darauf befchränken, die vier neu hinzugekommenen
Stücke zu charakterifieren.

In dem Auffatz: ,Die Theologie in ihrer Bedeutung
für die Gemeinde dargeftellt' (S. 1—20) wird ausgeführt,
daß die Theologie 1) ein .Schatzhaus' der Kirche ift, indem
fie lehrt, mit den Schätzen der Vergangenheit in
ftetem Zufammenhangzu bleiben; 2) eine .Sprachmeifterin',
die den Chriften hilft, fich unter einander zu verftändigen;
3) ein fortwährender .Fingerzeig auf die Wahrheit', indem
fie die rechte Diagonale der Erkenntnis zwifchen dem
Evangelium und der allgemeinen Welterkenntnis, zwifchen
der Offenbarung und der modernen Entwicklungslehre zu
ziehen fucht. Die Theologie fei wie ein Lebewefen mit
Leib und Seele. Ihr Leib beftehe in der gefchichtlichen
Forfchung, die fich mit dem Jefus der Vergangenheit und
mit dem in feinem Geifte die Kirche regierenden Jefus
aller Zeiten befchäftige; ihre Seele aber in dem in Dog-
matik und Ethik zu gebenden Verftändnis der zentralen
Wahrheit, in deren Licht die gefchichtlichen Tatfachen
des Chriftentums aufzufaffen find. — Unter dem Titel:
.Einleitung zur Ethik' werden zwei Eröffnungsreden zu