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Ausgabe:

1914 Nr. 12

Spalte:

371-372

Autor/Hrsg.:

Hasse, Heinr.

Titel/Untertitel:

Schopenhauer‘s Erkenntnislehre als System e. Gemeinschaft des Rationalen u. Irrationalen 1914

Rezensent:

Ostertag, ...

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 12.

372

meine Arbeit an einer höheren Miffionsfchule', fchreibt
der Verfaffer, feit 1907 Lehrer an der Mittelfchule der
Rheinifchen Miffion in Tungkun, im Vorwort. Dem Verlangen
nach eingehender Selbftbelehrung ftellten fich
freilich ftarke Schwierigkeiten in den Weg und waren,
foweit es fich um die Befchaffung europäilcher Literatur
handelte, zum Teil unüberwindlich. Den Ertrag diefer
Studien bietet diefes klar difponierte und fließend ge-
fchriebene Buch. Der praktifche Zweck tritt in der Ge-
ftaltung des Stoffes darin hervor, daß das ,Altertum' von
der Zeit der Idealkaifer bis zur Han-Dynaftie (220 p.Chr.)
und ebenfo das ,Mittelalter', von den drei Reichen bis
zum Mongolenfturm nur in knappen Umriffen gefchiidert
werden (S. 5—100). Das Hauptintereffe des Autors konzentriert
fich auf die Neuere Zeit, der vier Fünftel des
ganzen Werkes gewidmet wird, und zwar fpeziell auf die
Ereigniffe des neunzehnten Jahrhunderts. Es wird alfo
in diefem Buch wefentlich die Gefchichte der Entftehung
des modernen China gegeben. Anhangsweife werden
noch die wichtigften Begebenheiten bis zum Rücktritt
der Tfing-Dynaftie (Febr. 1912) regiftriert. Wenn bei
diefer Anlage des Werkes die durch den Titel erregten
Erwartungen nicht ganz erfüllt werden, fo wird doch
vorausfichtlich gerade die Bevorzugung der neueften Zeit
den meiften Lefern willkommen fein. Als zufammen-
faffende Darftellung, die fich auf die beften erreichbaren
Quellen ftützt, kann das Buch gute Dienfte leiften, zumal
da reichlich Spezialliteratur angeführt wird. Auch die
Gefchichte der Miffion, die in der allmählichen Erfchließung
Chinas eine erhebliche Rolle gefpielt hat, findet in ihren
mannigfachen Beziehungen zur Politik, zur Kultur und
zum Geifterleben des Landes eine forgfältige und eingehende
Behandlung.

Göttingen. Carl Mirbt.

Halle, Heinr.: Schopenhauer's Erkenntnislehre als Syltem e.
Gemeinfchaft des Rationalen u. Irrationalen. Ein hiftorifch-
krit. Verfuch. (XIII, 217 S.) gr. 8°. Leipzig, F. Meiner
1913. M. 6—; geb. M. 7 —

Schon in der Gefamtanlage des Werkes verrät fich
des Verf. originelles und fcharffinniges Denken. Während
nämlich in den üblichen Darftellungen die verfchiedenen
von Schopenhauer vertretenen Erkenntnisarten in der
Regel unklar ineinander gearbeitet find, entwirft der Verf.
eine deutliche klaffifikatorifche Scheidung: der intuitiven
Erkenntnis, die ihrerfeits in rationale und irrationale
Anfchauung zerfällt, tritt die abftrakte Erkenntnis an die
Seite, die durchweg rational ift. Während man ferner die
Erkenntnislehre Sch.'s im allgemeinen mit den durch den
Satz vom Grund umfchriebenen Gedankenkreifen für
wefentlich erfchöpft hält, ift es das befondere Verdienft
diefer Unterfuchung, die irrationale Intuition als Stück
der Erkenntnislehre klar ans Licht geftellt und als in ver-
fchiedene Arten fich fpaltend (Selbfterfaffung, Welterfaf-
fung etc.) erwiefen zu haben. Und während es weiterhin
bei der Betrachtung Sch.s vielfach als methodifcher Grund-
fatz gilt, den Selbftwiderfprüchen diefes Denkers nach-
zufpüren und Einheitlichkeit nur in der Form der Per-
fonalunion zuzugeben, geht der Vf. darauf aus, eine fachlich
begründete Einheit, eine typifch bedeutfame Gemeinfchaft
des Rationalen und Irrationalen in Sch.s Erkenntnislehre
aufzuzeigen, und das ift umfo fchwerwiegender, als für
ihn diefe Erkenntnislehre von ihrem Standpunkt aus
eine Zufammenfaffung des Ganzen der Sch.-fchen Philo-
fophie repräfentiert. Dabei fchreitet der Vf. freilich bewußt
über den Wortlaut der Sch.-fchen Lehren hinaus,
indem er immanente Konfequenzen zu ziehen fich nicht
fcheut, die in diefer Form noch nicht vorliegen. Indeffen
nimmt er dadurch nur eine Stellung zu feinem Meifter
ein, wie die Kantianer zu Kant. Nicht geringen Wert
endlich verleiht diefem Buch die forgfältige Verarbeitung

der neueren Sch.-Literatur, fowie der jüngft erfchienenen
philofophifchen Vorlefungen diefes Denkers.

Gleißenberg. Oftertag.

Knauth, Dr. Adalb.: Die Naturphilolophie Johannes Reinkes
u. ihre Gegner. (XVI, 207 S.) gr. 8°. Regensburg, Verlagsanftalt
vorm. G. J. Manz 1912. M. 3.60

Verf. ftellt fich die Aufgabe, ,Reinkes Naturphilo-
fophie methodifch darzuftellen und gleichzeitig kritifch
zu würdigen'. Diefes Unternehmen ift nicht nur deshalb
erfreulich, weil angefichts des Haders über die Konfequenzen
und die Grenzen des naturwiffenfchaftlichen
Weltbildes die von den namhaften Vertretern der einzelnen
Zweige der Naturwiffenfchaften gelieferten naturphilo-
fophifchen Aufriffe Beachtung erheifchen, fondern vor
allem deshalb, weil diefer bedeutende Botaniker durch
feine felbftändige Haltung in den biologifchen Fundamentalfragen
einen befonderen Typus von anerkanntem
Werte darftellt und eine führende Rolle behauptet. Das
Recht fchließlich, die bisherigen Werke diefes Denkers
zur Naturphilofophie als ein in gewiffem Sinne abge-
fchloffenes Ganzes zu betrachten und auf die Grundan-
fchauung hin zu unterfuchen, fcheint fich daraus zu ergeben
, daß Reinke fich in den letzten Jahren von weiterer
Arbeit in diefer Richtung fern gehalten hat, um fich faft
ausfchließlich pofitiven botanifchen Arbeiten zu widmen.
Schon in dem Jahre 1908, in dem er diefe Wendung vollzog
, erfchien eine in ihrer Art vortreffliche Differtation
von Kreyes über Reinkes Naturphilofophie und im felben
Jahre eine moniftifche Beleuchtung in einer Brofchüre
Koltans. Diefer letzteren tritt Knauth mehrfach entgegen
in feiner tief eindringenden Arbeit, die er in drei Teilen
erledigt, deren letzten er allerdings beffer als Anhang behandelt
hätte: L Die Grundbegriffe der Naturbetrachtung
und ihr Verhältnis zur objektiv-realen Welt (Raum und
Zeit, Urfache und Zweck, Kraft, Energie und Materie,
S. 16—64). II. Theorie des Organifchen (Wefen und Ur-
fprung des Lebens, Entwicklungslehre, Pfychifches, Neo-
vitalismus, S. 65—183). III. Die Naturphilofophie und die
Gottesidee (S. 184—198). Der Verf. ift fichtlich und
mit Erfolg beftrebt, die maßgebenden Ausfagen feines
Autors zufammenzuftellen und zu interpretieren, wobei
auch auf die unterfchiedlichen Anflehten in den einzelnen
Werken Rückficht genommen wird. Daß er fie häufig
zum Anlaß für ausgedehnte eigene Darlegungen nimmt,
war durch fein Thema nicht in jedem Falle geboten und
fieht bisweilen wie ein Hafchen nach kritifchen Momenten
aus, wie z. B. in der Erörterung des Zufallsbegriffes. Im
allgemeinen verhält fich Verf. zu den Anfetzungen R.s
durchaus zuftimmend. Wenn er jedoch einwendet, Reinke
trenne die methodologifche Idee einer teleologifchen Betrachtungsweife
nicht fcharf genug von der objektiven
Zweckmäßigkeit und er benutze infolgedeffen Kaufalität
und Finalität als gleichwertige Erkenntnisprinzipien, ftatt
die Finalität überzuordnen: fo überfieht Verf., daß die
kaufale Betrachtung nicht minder eine Kategorie unferes
Verftandes ift als die finale, ja daß Reinke (,Die Natur
und Wir' S. 225 f.) diefen Gefichtspunkt ausdrücklich geltend
macht und damit auf den m. E. einzig möglichen
Weg zur erkenntniskritifchen Sicherftellung derTeleologie
in der Naturbetrachtung hindeutet. Den Vorton kann
fie jedoch nur auf Grund befonderer Argumente erhalten,
wie in der Dominantenlehre, deren Darfteljung ebenfo wie
die des Kapitels .Pfychifches' dem Verf. Schwierigkeiten
bereitet hat. Vor allem ift Verf. hier dem Fortfehritt
in Reinkes eigener Entwicklung nicht voll gerecht geworden
. Bedauerlich ift namentlich, daß er die 1911 er-
fchienene zweite, ftark umgearbeitete Auflage der .Einleitung
in die theoretifche Biologie' nicht mehr benutzt
hat, wiewohl fein Buch vom März 1912 datiert ift. Er
hätte fich alsdann nicht fo fehr mit dem von Reinke bereits
aufgegebenen Begriff der Arbeitsdominanten zu be-