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Ausgabe:

1914 Nr. 12

Spalte:

368-369

Autor/Hrsg.:

Richter, Gregor

Titel/Untertitel:

Die Verwandtschaft Georg Witzels, eines fuldischen Theologen der Reformationszeit 1914

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 12.

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,Sic et non' lediglich der ,didaktifche' gewefen fei, ,Ma- | anordnung des Thomas vor (z. B. in der Darftellung der
terial für wiffenfchaftliche Übungen, vornehmlich dialek- : Tugendlehre vor der Inkarnationslehre bei Petrus von
tifcher Art', zu liefern, obwohl Abaelard im Prolog dies j Poitiers S. 515, in der Behandlung des Verhältniffes von

als Zweck angibt (S. 209). Es genügt nicht, von einer
bloß methodifchen ,Nebenabficht eines Vorftoßes gegen
die damalige pofitiv-theologifche Arbeits- und Unterrichtsweife
' zu fprechen. Vielmehr hängt die reaktionäre
Stimmung Abaelards gegen das kritiklofe Hinnehmen der
Vätertexte doch zweifellos mit feiner inhaltlichen Abweichung
von der kirchlichen Chriftologie und Soteriologie ! dje größte Mühe rnacht
zufammen, die aus der .faktifchen Vermifchung der Grenzen 1
zwifchen Glauben und Wiffen' (S. 196) doch nur oberflächlich
erklärt ift. Doch hat Grabmann ficher darin

Glauben und Wiffen bei Simon von Tournai S. 549).

So ift gerade diefer zweite Band von Grabmanns
Werk ein befonders wertvoller Führer durch das vielfach
noch ungedruckte Quellenmaterial, das uns in diejenige
Periode der Gefchichte der Theologie Einblick gewährt,
die noch am wenigften erforfcht ift, weil ihre Erforfchung

Halle a. S. K. Heim.

Recht, daß die Sic-et-non-Methode in keiner Weife Abae- ! Richter, Prof. Dr. Gregor: Die Verwandtfchaft Georg Witzeis,
lards originelle Arbeit ift (nach dem i. Band war fie fchon | eines fuldifchen Theologen der Reformationszeit. (Aus:

bei Bernold von Konftanz in ausgebildeter Form vor
handen), daß er fie vielmehr nur mit itarker dialektifcher
Nuance weitergebildet hat (S. 220). Auch bei der Be-
fprechung Hugos von St. Victor, der ,das erfte große
vollftändige Syftem der Dogmatik in der Ära der Früh-
fcholaftik' fchuf (S. 259), kämpft Grabmann gegen die
moderne, bezw. moderniftifche Neigung, die affektive
Glaubensauffaffung des großen Myftikers mit proteftan-
tifchen, antiintellektualiftifchen Auffaffungen des Glaubensvorgangs
in Zufammenhang zu bringen (z. B. bei Lehmann,
Myftik im Heidentum und Chriftentum). Diefer Kampf
wäre berechtigt, wenn Luthers .Vertrauen' und Schleiermachers
.Gefühl', wie Grabmann anzunehmen fcheint, ein
Erlebnis wäre, das nicht ,von Anfang an auf einen Inhalt
. . . hingerichtet' ift, fondern erft durch die .nachträgliche
intellektualiftifche Fixierung' (S. 272) einen Inhalt gewinnt.
Nun gibt es doch aber auch einen Inhalt, der nicht .Lehre',
fondern lebendige Perfon ift. Und das wachfende Ver-
ftändnis für das Willens- bezw. Vertrauensverhältnis zu
diefer Perfon ift es, was den Glaubensaffekt (experiri,
gustare) bei Hugo, die gottgefchenkte connaturalitas ad
res divinas bei Thomas mit Luthers sola fides in gefchicht-
lichen Zufammenhang bringt.

Am wenigften Neues bietet Grabmanns Behandlung
des dritten, einflußreichften Vorbereiters der Hochfcho-
laftik, Petrus Lombardus. Wie dies auch bisher vielfach
angesehen wurde (vgl. z. B. Seebergs Artikel in Herzogs

.Fuldaer Gefchichtsblätter'.) (35 S.) gr. 8°. Fulda, Fuldaer
Actiendruckerei 1913. M. —80
— Die Schriften Georg Witzeis bibliographifch bearb. Nebft
einigen ungedr. Reformationsgutachten u. Briefen Witzeis
. Mit 1 Bilde Witzeis u. 1 Probe feiner Handfchrift.
(10. Veröffentlichung des Fuldaer Gefchichtsvereins.)
(XVIII, 208 S.) gr. 8". Ebd. 1913. M. 4.50

Witzel, der eigenartige Idealift, der aus einem Anhänger
Luthers zu einem eifrigen Gegner und neben Eck
und Cochläus wohl der federgewandtefte und fruchtbarfte
Polemiker wurde, aber Mißftände der alten Kirche ehrlich
anerkannte und bekämpfte und ihr wertvolles Gut aus
der Lutherkirche, wie fleißige Predigt, Katechefe, deutfchen
Gemeindegefang, regelmäßige Vifltationen zuführen wollte,
und fchließlich angefichts der Reftauration durch Jefuiten
und des Tridentinums zum Ireniker fleh entwickelte, hätte
längft eine Biographie verdient, fo vortrefflich und reichhaltig
auch Kaweraus Art. RE. 21 3, 3996°. ift. Eine Vorarbeit
bietet Profeffor Gregor Richter in Fulda mit der
Genealogie und der Bibliographie Witzeis, denen er zwei
gedruckte Schriften desfelben, ein Genealogion vom Jahr
1557 und feinen Catalogus von 1553 zu Grund legen konnte.
Witzeis Herkunft ift jetzt von väterlicher und mütterlicher
Seite klargeftellt. Wir verftehen jetzt, wie Cochläus den
f. Z. von Nik. Paulus richtig auf den Apotheker Johann

RealenzyklopädieXI3), ift das Werk des,Sentenzenmeifters' Landau zurückgeführten Bericht über Luthers Tod mit-

keine originale Schöpfung, fondern eine Kombination der
Denkweife der Viktorinerfchule und der Methode Abaelards
(S. 372). Die technifche Weiterbildung beruht auf
dem Eintritt der ganzen ariftotelifchen Logik in den abend-
ländifchen Ideenkreis (S. 383). Die Väterzitate flammen
aus dem .Decretum Gratiani' und der .Glossa Strabonis',
wenn auch Harnacks Meinung (Lehrb. der Dogmengefch.
III4 S. 374) unrichtig ift, die Gloffenzitate feien dem Lombarden
durch die Vermittlung des magister Gandulph
zugekommen (das Abhängigkeitsverhältnis ift vielmehr
umgekehrt S. 387 fr.). Seinen Einfluß auf die Folgezeit
verdankt Petrus Lombardus neben der Verurteilung feines
Gegners Joachim von Fiore auf dem Laterankonzil in
erfter Linie der Perfönlichkeit feines treueften Schülers,
des Parifer Kanzlers Petrus von Poitiers, um den fleh die
Parifer Summiften um die Jahrhundertwende fcharten
(S. 406 f.).

Neben der Schule von Chartres, die zum erften Mal
eine förmliche Theorie der quaestio (Gilbert de la Porree
S. 424fr.) und fogar eine theologifche Topik (Alanus ab
Insulis) fchuf, und einer bisher faft unbekannten pofitiv-
praktifchen Strömung in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
(S. 476fr.) bildet in erfter Linie die Schule des
Petrus von Poitiers die Brücke, die von Petrus Lombardus
zur Hochfcholaftik hinüberführt. Die Gloffe des Petrus
von Poitiers zu den Sentenzen des Petrus Lombardus
eröffnet die Reihe der Sentenzenkommentare (S. 504).
Hier begegnen wir zum erftenmal der Metaphyfik des
Ariftoteles in der Scholaftik. In manchen bedeutfamen
Einzelheiten bereiten fleh fchon Gedankengang und Stoffteilen
konnte. Diefer wird zuerft an Witzel gerichtet und
von ihm Cochläus mitgeteilt worden fein. Der Apotheker
war nämlich Witzeis Gefchwifterkind und ftand mit ihm
im Briefwechfel. Witzeis Mutter war eine geborne Landau
(Gene. 17). Ebenfo verftehen wir, warum Witzel fleh in
feinen Pfeudonymen Landavus nannte. Notwendig wäre
es, mit Hilfe der Bibliographie die Zeit des Aufkommens
der einzelnen Pfeudonyme, wie Gerfon, Gerfonites, Boni-
facius Britannus, Irenus genau zu beftimmen. Die Erklärung
von Gerfon, Gerfonites ift nicht ganz geglückt.

Unmöglich ift mit Nik. Paulus an den Parifer Theologen Joh. Gerfon
zu denken. Auch von Levis Sohn Gen. 46, 11 ift nicht auszugehen, fondern
von Mofes Sohn Exod. 2,22. 18,3. Witzel nennt fich ja exul und
vergleicht fich mit Ulysses illuc hueque iactatus et reiactatus (Bibl. 174
vgl. S. 176 exilia). Aber bei dem geminum Gersonis peregrini pedum,
den 2 Kindern feines in Hiinfeld eingewanderten mütterlichen Großvaters
(Gene. 15) wird ihm Gerfon, der Sohn Levis Num. 3, 18 vorgefchwebt
haben, flenn daß Gerfon, der Sohn Mofes, auch zwei Söhne hatte, von
welchen der Chronift nur den einen nennt, aber ihn als erften bezeichnet
1 Chron. 23, 16, aber den zweiten ebenfo verfchweigt, wie die Maforethen,
die mit einem hängenden Nud aus Mofe Manaffe machten, konnte Witzel
noch nicht ahnen.

Das Pfeudonym Bonifacius Britannus ift der Dank für
die Zuflucht, welche er in Fulda fand, und der Ausdruck
der Bewunderung des Gründers von Fulda und der Schätze
der dortigen Bibliothek, aber 1564 nennt er fich Bonifacius
iam Germanus factus (Bibl. 127 und Nr. 119 S. 112).
Wichtig ift die Beleuchtung der Ehe Witzeis. Es erweckt
Achtung, wie er, ftatt dem Beifpiel Anderer befonders
nach dem Fall des Interims zu folgen und feine Frau um
feines befferen Portkommens willen als Konkubine zu
behandeln, ihr Treue hält und die Rechtmäßigkeit feiner