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Ausgabe:

1914 Nr. 12

Spalte:

361-362

Titel/Untertitel:

Spicilegium palimpsestorum. Vol. I. Codex Sangallensis 193 1914

Rezensent:

Soden, Hans

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 12.

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zugegeben, aber: die Gleichung jtvevfia-yvmöiq habe Paulus
eben doch nicht vollzogen. Von einer weiteren Einführung
in das Problem ift keine Rede. Und bei 11,36 wird
Nordens Behandlung der ,Allmachtsformel< zwar erwähnt,
aber: ,dem originellen Inhalt der paulinifchen Formel
kommt man durch folche Feftftellungen natürlich nicht
bei'. Das wird keiner, der Rom. 9—11 zu lefen verfteht,
leugnen; nur werden mit folchen dürftigen Bemerkungen
die hiftorifchen Probleme, die diefe Formel, die Pneuma-
Anfchauung des Paulus, der Gebrauch von xvgwg ufw.
uns aufgeben, dem Lefer nicht im minderten nahe gebracht,
gefchweige denn gelöft. Und daß die Behandlung diefer
Dinge der Wiffenfchaft von heute obliegt, ift eine Überzeugung
, die fich ohne Unterfchied der theologifchen
Richtung immer mehr durchfetzt. Ein Kommentar folchen
Umfangs böte gerade genügenden Raum für die Bearbeitung
jener Probleme. Daß der Autor eine ausführliche
Orientierung darüber nicht als feine Aufgabe empfunden
, ja die Behandlung folcher Fragen wohl geradezu
innerlich abgelehnt hat, bleibt bedauerlich.

Berlin. Martin Dibelius.

Spicilegium palimpsestorum. Arte photographica paratum
per S. Benedicti monachos archiabbatiae Beuronensis.
Vol. L Codex Sangallensis 193. Continens frag-
menta plurium prophetarum secundum translationem
S. Hieronymi. (153 Taf. m. 16 S. Text.) Leipzig, O.
Harraffowitz 1913. Geb. in Halbldr. M. 80 —

Die Benediktiner der Erzabtei Beuron pflegen die
beften Traditionen ihres Ordens mit der neuen großen
Publikation, deren erftes Stück hier zur Befprechung vorliegt
. Ein ,Spicilegium Palimpsestorum' wird eröffnet mit
der Lichtdruckreproduktion des Codex Sangallensis 193,
der um 800 vielleicht in einem rätifchen Klofter gefchrieben
eine Sammlung von Homilien des Caefarius von Arles
und eine lange Reihe asketifcher und liturgifcher Traktate
und Exzerpte enthält. Das Schreibmaterial dafür lieferte
eine Prophetenhf. der Vulgata in zwei Bänden, vielleicht
um SOO in Italien gefchrieben, in den hier verwendeten
Blättern umfaffend die letzten Kapitel des Ezechiel, den
ganzen Daniel und viele Stücke aus den kleinen Propheten
. Die Faltung der Blätter der alten Hf. für ihre neue
Verwertung hat vielfach Verftümmelungen herbeigeführt.

Durch ein nicht näher befchriebenes (geheimes?) pho-
tographifches Verfahren der Farbendifferenzierung ohne
Anwendung chemifcher Reagentien ift die untere Schrift
wieder fichtbar gemacht. Was das Verfahren leiftet, zeigt
fehr eindrücklich die Beigabe einer gewöhnlichen photo-
graphifchen Aufnahme. Oft ift durch Eindecken der oberen
Schrift auf der Platte diefe im Lichtdruck gebleicht und
die untere tritt dadurch noch beffer hervor. Leider durfte
der Codex in Rückficht auf feinen alten Originaleinband
nicht auseinander genommen werden. Der Preis darf, ge-
meffen an den Koften der Herftellung, zu denen auch hochherzige
Stiftungen beitrugen, kaum zu hoch genannt
werden.

Die kurze Praefatio des wiffenfchaftlichen Leiters der
Edition, P. Anfelmus Manfer, gibt die Befchreibung der
alten und der neuen Handfchrift mit den Daten über Inhalt
, Alter und Heimat. Die ganze Darbietung ift für den
Paläographen eine reine Freude. Der Textkritiker in-
deffen, der nicht minder begierig nach ihr greifen wird,
wird bedauern, daß ihre Benutzung auch durch paläo-
graphifch weniger gefchulte Gelehrte — und das Lefen
von Palimpfeften gehört auch bei fo guter Reproduktion
wie der vorliegenden zu den höheren Weihen — nicht
durch Hinzufügung von Transfkriptionen erleichtert ift.
Wir follten wirklich nichts dazu tun, um die Textkritik
noch mehr zu einer efoterifchen Geheimwiffenfchaft zu
machen, als fie es leider geworden ift. Es wird uns freilich
verheißen, daß diefer Wunfeh in den Collectanea
Biblica erfüllt werden foll, wenn fleh erft weitere Stücke
der alten Prophetenhandfchrift gefunden haben. Schön,
daß diefe Hoffnung zu beftehen fcheint; möchte fie fleh
bald verwirklichen!

Berlin-Steglitz. Hans von Soden.

Bretz, Dr. Adolf: Studien und Texte zu Arteriös von Ama-
fea. (Texte u. Unterfuchungen zur Gefchichte der alt-
chriftl. Literatur, 40. Bd., 1. Heft.) (IV, 124 S.) gr. 8".
Leipzig, J. C. Hinrichs 1914. M. 4 —

Zu den beiden jüngft erfchienenen Differtationen über
Afterius von Max Schmid und Michael Bauer, über die
in diefer Zeitung 1911, Sp. 811 f., Bericht erftattet wurde,
gefeilt fleh eine dritte. Ihr Verfaffer, ein Schüler Keils
und Reitzenfteins, ift auf Schmid nicht gut zu fprechen,
Bauer läßt er gelten. Doch meint er als gemeinfamen
Grundfehler beider Arbeiten bezeichnen zu dürfen, daß
fie die Überlieferungs-, insbefondere die Echtheitsfrage
nicht ausreichend geftellt haben. Er felbft gibt in einem
erften Teil einen vollftändigen uberblick über die direkte
Überlieferung und über die Zeugniffe und fchließt daran
den Nachweis der Unechtheit des Enkomiums auf den
hl. Bafileus, das Bauer unter den Homologumena aufgeführt
hatte. Im zweiten Teil wird die bisher als felbft-
verftändlich betrachtete Echtheit der drei nur durch Photius
für Afterius bezeugten Reden fichergeftellt, die in den
Handfchriften unter dem Namen Gregors von Nyfla (nicht
Gregor von Nyffas, wie Bretz S. 32 fchreibt) oder des
Proklus von Konftantinopel gehen. Bretz gibt zunächft
auf Grund des fraglos echten Schrifttums eine Charakte-
riftik der afterianifchen Predigt nach ihrem Inhalt, weift ihre
Stellung im kappadozifchen Schrifttum aufundveranfehau-
licht den geringen dogmatifchen Gehalt und das vorherr-
fchende kultifche Intereffe, die Art der allegorifierenden
Exegefe, den ethifchen, fpeziell cynifchen Grundcharakter.
An den Reden über das Gleichnis vom ungerechten
Haushalter und von der Habfucht werden die Berührungen
mit der cynifchen Diatribe gut erläutert, wobei auch aut
die erfte Satire des Horaz, mit der fich die zweitgenannte
Predigt des Afterius berührt, neues Licht fällt. Ein Vergleich
der drei nur von Photius als afterianifch bezeichneten
Reden (auf Stephanus, über die Buße, Faftenpredigt)
mit dem echten Schrifttum unter den angedeuteten Ge-
fichtspunkten erhebt nunmehr deren Echtheit über allen
Zweifel. Ein Schlußkapitel zeichnet die Stellung des
Predigers zur paganen Rhetorik und den in Sprache und
Stil erkennbaren Diatribencharakter feiner Predigt. Ob
die übrigens intereffanten und wertvollen Ausführungen
des Verfaffers in diefem Abfchnitt nicht unter das Verdikt
fallen, das er felbft über Schmid verhängte, indem
er deffen Beobachtungen über den Einfluß der fogenannten
zweiten Sophiftik auf Afterius ,wegen der völligen Un-
ficherheit des Textes der Mignefchen Sammlung* als ,auf
unficherer Grundlage' beruhend bezeichnete, muß Ref.
dahmgeftellt fein laffen. Zu beachten ift übrigens, daß
(Bretz S. 105) Ehrhard inzwifchen wenigftens für die Ab-
faffung der Bußpredigt durch Afterius aus einem Homi-
liar (9.—10. Jh.) des Klofters xmv ülaxaimv in Saloniki
auch ein handfchriftliches Zeugnis beigebracht hat, das
ältefte, das bisher für die Afteriusüberlieferung bekannt
geworden ift. Seinen literargefchichtlichen Unterfuchungen
hat Bretz den Abdruck der beiden noch unveröffentlichten
Homilien über die Gleichniffe vom verlorenen Sohn
und vom Pharifäer und Zöllner aus cod. Athous 4146 und
2751 (nur die erfte Rede) beigefügt. Die Homilie über
Pharifäer und Zöllner fleht auch in dem foeben erwähnten
Homiliar.

Gießen. G. Krüger.

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