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Ausgabe:

1914

Spalte:

341-343

Autor/Hrsg.:

Eleutheropulos, Grundlegung einer wissenschaftlichen Philosophie. Allgemeine Weltanschauung. II. Die geistige Natur

Titel/Untertitel:

A. Individual-psychische Erscheinung. 1. Bd 1914

Rezensent:

Dorner, August

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. n.

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II. Bd. noch ein ,Nachtrag' gewidmet ift; Verf. fahndet
nach einem Argument gegen die tierifche Defzendenz.
Der 2. Abfchnitt diefes Bandes (,Gott und Menfch' oder
,Wiffenfchaft, Religion und Moral') gibt eine dürftige
Uberficht über die Entftehung der Naturwiffenfchaften
feit dem 16. Jahrh. mit Seitenblicken auf die religiöfe
Stellung einiger Forfcher, um mit der Thefe, daß Religion
und Wiffenfchaft gleichen Urfprungs find und gleiche
Zwecke verfolgen, zur Polemik gegen den Phyfiologen
und Unterrichtsminifter Bert überzuleiten, der hinfichtlich
feiner wiffenfchaftlichen Untüchtigkeit und feiner Religions-
feindfchaft als das franzöfifche Gegenftück Haeckels be-
fchrieben wird. — Der II. Band bietet im erften Hauptteil
eine Erörterung von Raum und Zeit. Cyon wollte
bekanntlich den von E. H. Weber poftulierten Raumfinn
und den von Vierordt (1868) poftulierten Zeitfinn im Ohrlabyrinth
entdeckt haben. Über diefe feine phyfiologifchen
Aufftellungen ließen wir uns wahrlich lieber belehren,
wenn der Verf. nicht das angefichts feiner philofophifchen
Unkenntnis verfehlte Wagnis unternommen hätte, mit
einem kühnen Federftrich die Philofophie reformieren zu
wollen, und zwar mit dem lauten Rufe: zurück zu Thomas
von Aquin und Ariftoteles! Gefetzt der Verf. habe Recht
mit feiner Thefe: ,Die eigentliche Orientierung in den
drei Raumdimenfionen .... beruht faft ausfchließlich auf
den Funktionen des Bogengangapparates' (S. 41) und:
die .beiden wichtigen Elemente unferer Zeitvorftellung'
(Zeitdauer und Reihenfolge) .beruhen auf den Verrichtungen
der im Ohrlabyrinth enthaltenen zwei Sinnesorgane für
Richtung und Zahl' (S. 81). Alsdann würde zunächft
nur folgen, daß unfere räumliche und zeitliche An fch au-
ungsweife durch jene Organe ermöglicht wird, aber
noch keineswegs wäre die äußere Realität von
Raum und Zeit zu folgern. Ob freilich Raum und Zeit
urfprüngliche, reine Anfchauungsformen im Sinne des
Kantfchen Apriorismus find, das ift auch heute mit ftarken
Gründen in Zweifel gezogen. Gleichwohl ift ftreng zu j
beachten, daß ihre .Apofteriorität' noch nicht Realität bedeutet
, wie das thomiftifche Schlußverfahren Cyons gegen
Kants .Mangel an Aufrichtigkeit bei der Konftruktion
feiner Raum- und Zeitvorftellung' behaupten will. Nach
ihm ift fowohl die Zeit wie auch der Raum etwas äußerlich
Gegebenes, zu dem fich unfere .Zeitvorftellung' refp.
unfere .Raumvorftellung" ebenfo verhalten wie eine dingliche
Vorftellung zu ihrem Objekt, alfo wie das Bild zum
Gegenftande. — Im 2. Hauptteil ,Leib, Seele und Geift',
(S. 117—206) wird von den Quellen der pfychifchen Energie,
vom .Herzen als Gemütsorgan', von der Umkehrung der
Netzhautbilder, die .ebenfalls auf die Verrichtungen der
Bogengänge zurückgeführt werden muß' (148), von Ich-
bewußtfein, Geift und fchöpferifcher Perfönlichkeit, von
der Hypophyfe als dem ,fehr wahrfcheinlichen Sitz der
Lebensfeele', von dem Mechanismus der Empfindungen
und den Grenzen des Verftandes gehandelt. Ein .Anhang
' wirft (206—228) kräftige Schlaglichter auf den
Spiritismus, deffen Häupter Cyon öfters entlarvt hat.
Hier ift zwifchen die beiden §§ der franzöfifchen Ausgabe
in der deutfchen eingefchoben, ,§ 2 Spiritismus und
Religion' wo betont wird, ,daß der fpiritiftifche Aberwitz
namentlich in proteftantifchen Ländern und teils auch in
den höheren Schichten des orthodoxen Rußland gedeiht',
während katholifche Länder von der fpiritiftifchen An-
fteckung faft unberührt geblieben' findl Die Schlußbetrachtung
,Die Rückkehr zu Gott durch die Wiffenfchaft
' weift wieder auf Thomas und Ariftoteles zurück,
welch letzterer ausdrücklich dafür entfchuldigt wird, daß
er ,in der Kosmogonie irren konnte und mußte'.

Wien. K. Beth.

Eleutheropulos: Grundlegung einer wiffenfchaftlichen Philosophie
. AllgemeineWeltanfchauung. II.Die geiftige
Natur, A. Individual-pfychifche Erfcheingn. I. Bd. Das

Seelenleben. Genetifch-biologifche u. erkenntnistheoret.
Unterfuchgn. (XII, 262 S.) gr. 8°. Zürich, Art. Inftitut
Orell Füßli 1911. M. 5 —; kart. M. 6 —

Der Verfaffer will feine Weltanfchauung auf die in
den Einzelwiffenfchaften gewonnenen Ergebnifie gründen,
und glaubt hieraus eine idealiftifche Philofophie gewinnen
zu können. Allein fein Idealismus wird durch feine On-
tologie Lügen geftraft. Zunächft will er zeigen ,daß alle
Dinge für fich in ihrem Entftehen und Vergehen und in
ihren Zufammenhängen nur Modifikationen des Einen Allgemeinen
zugrundeliegenden in diefem felbft find'. Dlefer
Grund aller Dinge ift ihm eine reaktionsfähige, dem
Werden unterworfene ausgedehnte Wefenheit, von der
wir im übrigen nicht viel anders wiffen, als daß fie nicht
entftanden, nicht hervorgebracht, weder bewußt noch unbewußt
, weder Materie noch Geift fei, auch nicht Wille
genannt werden dürfe, und nicht als Gott bezeichnet
werden könne. In der Subftanz felbft fei die Urfache
für die Umformungen und Modifikationen der Dinge in
der Bewegung gegeben, und wenn auch die wahre Natur
der Einzeldinge uns unbekannt ift, fo ergibt fich für ihn
doch fchließlich ihre Variabilität durch eine innere Ur-
fächlichkeit und eine äußere Urfächlichkeit, eine Tendenz
fich von innen heraus zu verändern ,eine Wefenseigenart
und Nötigung' und eine .Umgebungsnötigung". Aus der
Mechanik dieler Urfachen foll die ganze Weltentwickelung
erklärt werden. Indem er fich jedoch auf die Tatfachen
ftützt, glaubt er die Entwicklung der Natur bis zum
Menfchen von der Entwicklung der menfchlichen Natur
unterfcheiden zu müffen. Der Unterfchied des Menfchen
vom Tier1 foll wefentlich im Bewußtfein, in der Erkenntnis
liegen, welche eine doppelte Form annimmt, indem
fie einmal durch das Gefetz der Notwendigkeit beftimmt
ift, als eine auf das Wefen der Dinge gerichtete Erkenntnis
, fodann aber als eine Erkenntnis, welche der fchon in
der Natur vorhandenen Richtung auf Kriftallifation ent-
fprechend auf die Einheit von Form und Wefen gerichtet
ift, und als äfthetifche Erkenntnis bezeichnet wird. Hier
entfteht das Bewußtfein des Soll, und fein .Idealismus'
befteht darin, daß er diefe .Notwendigkeit des Befehls'
als die Bafis der Ethik anfieht, der er für den Menfchen
und fein Bewußtfein einen objektiven und abfoluten
Charakter zufchreibt, weil fie der Natur und dem Wefen
des Menfchen entfpreche. Von hier aus verfucht er die
Grundzüge einer Ethik darzuftellen und felbft die Notwendigkeit
des religiöfen Bewußtfeins begreiflich zu machen,
indem er zwar die Idee Gottes als eine Illufion bezeichnet,
aber als eine Illufion, die notwendig entliehe, weil der
Menfch den Glückfeligkeitsdrang mit der Ethik auszugleichen
fuche, indem die Gottheit als gerechter Richter
vorgeftellt wird. Wenn man nun aber fragt, ob diefer
ethifchen Notwendigkeit im Menfchen eine ethifche Weltordnung
entfpreche, fo antwortet er mit nein. Für ihn
bleibt die Ontologie der letzte Gefichtspunkt, und diefe

1) Diefen Unterfchied des Menfchen vom Tier führt der Verf.
in fehr interefTanter Weife in feiner Seelenlehre durch, vgl. befonders
S. 40f. I. Kap. 5, S. 135 f., wo er auch Inftinkt als auf Gedächtnis beruhend
fcharf vom Denken unterfcheidet, das einheitliche und unter-
fchiedliche Ordnung auf der phyfiologifchen Grundlage der Leitungsbahnen
und Zentren gegenüber der Vereinzelung zu Stande bringt.
Ebenfo unterfcheidet fich der Menfch vom Tier durch Reaktion auf Vor-
ftellnngen und Gedanken ftatt auf Reize d.h. durch Willen. S. 145 f. Vgl.
auch S. 1851, wo er fagt, daß bei dem Menfchen etwas Neues eintrete.
Und doch will er die höhere Entwickelung wieder von dem Einfluß der
Umgebung auf die Variabilität des Plasmas abhängig machen! 192 f.
und fchließlich die Reizbarkeit, auf der alle pfychologifchen Erfcheinungen
beruhen, auf chemifche Reaktionsfähigkeit zurückführen! Von einer be-
fonderen Seele kann nicht die Rede fein. Alles ift phyfiologifch zu
erklären. Zuletzt ift alles Erkennen doch nichts als ,die photographifche
Aufnahme, Prägung der Welt auf das Plasma je nach feiner Differenzierung
zur genauen oder ungenauen Abbildung derfelben' und die Notwendigkeit
wird auf einen Zwang zurückgeführt, der auf einer Anpaffung
an die Einwirkung der umgebenden Welt ruht. Wie hier ein Soll fich
ergeben kann, ift freilich nicht deutlich.