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Ausgabe:

1914

Spalte:

337-338

Autor/Hrsg.:

Hopf, Wilhelm

Titel/Untertitel:

August Vilmar. Ein Lebens- und Zeitbild. 2 Bde 1914

Rezensent:

Stephan, Horst

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Seite 1

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337

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 1 r.

338

denem Erfolg. Sein Sohn und Nachfolger Johannes Joachim
Steinbrück (f 1841) erbte, fichtete, mehrte und ordnete
das gewaltige Material zu einem Manufkript, das jetzt
dem Stettiner Konfiftorium angehört. Die Mittel zum
Druck fand er nicht. Der Pyritzer Oberpfarrer R. Berg
begann als Emeritus zu Stettin feit 1895 die Ergänzung
und Fortführung des Werks bis auf die Gegenwart, brachte
das Manufkript auf über 2000 Seiten, ftarb aber 1901.
Die Beamten des Stettiner Königl. Staatsarchivs ficherten
noch zu Bergs Lebzeiten die Druckkoften und übergaben
nach feinem Tod die Vollendung dem Predigtamtskandidaten
Hans Moderow. Diefer brachte 1903 den erften
Band heraus, der den Regierungsbezirk Stettin umfaßt,
ging aber dann als Paftor nach Haifa in Paläftina. Der
jetzt vorliegende zweite Band umfaßt den Bezirk Köslin
fowie die reformierten Gemeinden und die Generalfuper-
intendenten Pommerns. Paftor Ernft Müller-Stettin (an
St. Lukas, zu Beginn der Arbeit in Ranzin) bearbeitete
ihn, indem er ältere wie neuere Literatur fowie perfönliche
Erkundigungen benutzte. Seine eigenen zahlreichen Beiträge
kennzeichnet er durch vorgefetztes M. — Nur wer
je einen Stammbaum bearbeitete, ermißt die Schwierigkeiten
bei der Erforfchung mehrerer Hundert parochialer
Pfarrergenealogien. Selbftverftändlich kann ich nicht das
Einzelne nachprüfen. Müller felbft fagt im Vorwort, die
Arbeit bedürfe der Verbefferung und Vermehrung. Herr
Archivar Dr. Grotefend hier teilt mir mündlich mit, daß
einzelne kleine Berichtigungen und Ergänzungen, wie bei
folchem Werk nur zu erwarten, fich fchon eingeftellt hätten,
fo ficher auch das Ganze grundlegend fei für jede künftige
Befchäftigung mit pommerfcher Gefchichte. Ahnlich hatte
fchon Robert Burkhardt (Bilder aus der Gefch. der ev.
Kirchen auf der Infel Ufedom, vgl. Theol. Litztg. 1911,
Sp. 559) für Moderows erften Band einiges berichtigt.
Allein aufs Ganze gefehen: hier ift eine mächtige Arbeit
geleiftet, die feften Boden fchafft für eine Menge genea-
logifcher, provinzial-kirchengefchichtlicher, biographifcher
und archivalifcher Studien für Pommern und über feine
Grenzen hinaus.

Stettin. J. Jüngft.

Hopf, Wilhelm: AugultVilmar. Ein Lebens-u. Zeitbild. 2 Bde.

(VII, 462 S. m. 1 Bildn. u. VI, 476 S. m. 2 Bildern) gr. 8°.

Marburg, N. G. Elwert 1913. je M. 6 —; geb. M. 7 —
Daß Vilmar bedeutend genug ift, nach verfchiedenen
kleineren Darftellungen der Gegenftand einer fo dickleibigen
Biographie zu werden, darüber kann kein Zweifel
beliehen. Eine fcharf gefchnittene Charaktergeftalt voll
Kraft und Herrfchbegabung, intellektuell wie rednerifch
hervorragend, Wichtiges überaus Mark erlebend und in der
Geltendmachung feines Erlebens weder durch Kompliziertheit
noch durch Zartheit der geiftigen Anlage behindert,
ftets die Perfon hinter die Sache zurückfließend — fo tritt
er Achtung heifchend auch noch vor die Gegenwart Wo
er eingreift, leiftet er Hohes, fei es das Gymnafialwefen
oder die Staatsverwaltung oder die germaniftifche Wiffen-
fchaft oder die Kirchenpolitik und Kirchenverwaltung oder
endlich die theologifche Profeffur; aber weder der germaniftifche
(keineswegs nur an die Gefchichte der deutfchen
Nationalliteratur geknüpfte) Ruhm noch der politifche
Einfluß, den er 1849 durch Annahme des Minifteriums

gewinnen konnte, locken ihn von der Aufgabe hinweg, die j diefe fleh, wo fie ftört, leicht überfchlagen läßt. Unerträg

ift feine religiös-kirchliche Entwicklung felbft; denn fie ift
typifch für ein ganzes Gefchlecht. Durch die Erlebnifle
von 1806— 15 von vornherein revolutionsfeindlich und daher
aufklärungsfeindlich geftimmt, empfängt V. doch in der
Theologie zunächft eine rationaliftifche Bildung; erft allmählich
verbinden fleh perfönliche Erfahrungen, Lektüre
und Zeitgeift, um den radikalen Rationaliften zur Verwerfung
des Rationalismus auch auf religiös-theologifchem
Gebiete und zur gläubigen Beugung unter die Bekenntniffe
zu bringen. Und nachdem diefer Schritt um 1830 getan
ift, hilft die Sehnfucht nach objektiven Stützen für die
Maffenwirkung dem konfequenten Manne über das Drängen
auf perfönliche Frömmigkeit hinaus zur Gleichung zwi-
fchen empirifcher Kirche und Leib Chrifti: das geiftliche
Amt erfcheint als göttliche Stiftung, als der eigentliche
Träger der Gegenwart Chrifti und des heiligen Geiftes in
der Welt: das neulutherifche Kirchentum in feiner roman-
tifchen Verbindung von Objektivität und perfönlicher
Erfahrung, d. h. in feiner Scheinobjektivität, fleht vor uns.

Das alles läßt fleh trefflich in dem vorliegenden Werk
verfolgen; die eigentümliche Notwendigkeit, die in diefer
Entwicklung eines bedeutenden und wirklich frommen
Mannes waltete, wird anfehaulich und verftändlich. Zahlreiche
autobiographifche, briefliche u. a. Urkunden werden
(leider fragmentarisch) ausgebreitet, der Inhalt der Schriften
wie des praktifchen Wirkens wird in die biographifche Darfteilung
verwebt; manches bisher Ungedruckte oder nicht
im einzelnen Bekannte und doch Wiffenswerte tritt an
das Licht des Tages. Dafür fei dem Verfaffer ernftlich
gedankt. Freilich das Ideal einer Biographie hat er nicht
erreicht und auch nicht einmal erreichen wollen. Jede
Biographie foll ein Kunftwerk fein, das Haupt- und Nebenzüge
, Einzelnes und Allgemeines, Tat und Zuftand, Licht
und Schatten, Rahmen und Inhalt organifch zu einem
lebendigen Ganzen verbindet; jede Biographie foll ferner
ihren Helden in der Wechfelwirkung mit feiner Zeit vor
Augen führen. Beides fehlt in hohem Maße bei Hopf.
Die Fülle der bloßen Zitate und Tatfachenfchilderungen
zerftört die Kunftform; und von den Wechfelbeziehungen,
die V. mit feiner Zeit verbinden, find wefentlich nur die
heffifchen und die äußeren dargeftellt, viel zu wenig die
gemeindeutfehen inneren (z. B. erfahren wir bei dem
dogmengefchichtlichen Aufriß und dem Kirchenbegriff
nirgend, ob V. von den ähnlichen Theorien eines Kliefoth
oder anderer Neulutheraner beeinflußt war; wir finden
überhaupt wenig darüber, welche Stellung ihm in der
Bildung des Neuluthertums zukommt). Dadurch beeinträchtigt
Hopf den wiffenfehaftlichen Wert, wohl auch die
Wirkung und Verbreitung feines Werkes. Und doch
möchten wir ihm faft danken für diefen Mangel. Denn
er ift Verwandter und Schüler feines Helden, er fleht alles
fo fehr mit deffen Augen an, daß der für eine ideale
Biographie erforderliche kritifche Überblick fehlen muß.
Das trifft fogar das politifche Gebiet, auf dem die
Hiftoriker ficher mit ihm rechten werden (z. B. bei der
Auffaffung Haffenpflugs und der politifchen Vorgänge
von 1849^; wie viel mehr die ungleich verwickeiteren
religiös-theologifchen Fragen! Die dadurch entfliehende
ftarke Einfeitigkeit und Enge läßt fich in der vorliegenden
Form fehr wohl ertragen; der Stoff ift fo wenig mit der
geftaltenden und beurteilenden Eigenzutat verwoben, daß

er als ihm geftellt empfindet: Neubelebung der Kirche, l lieh wäre die Einfeitigkeit erft dann, wenn fie das Ganze
fpez. der kurheffifchen Kirche. Wer alfo dem Lebens- | beherrfchte — wenn alfo das Ideal einer Biographie ergange
V.s folgt, der wird durch intereffante Blicke in 1 ftrebt würde. Die Zurückhaltung in der wiffenfehaftlichen

zahlreiche wichtige Gebiete des politifchen wie des geiftigen
Lebens belohnt, um dann doch von allen Seiten her
wieder auf das zentrale, das religiös-kirchliche Gebiet
geführt zu werden; und er fleht V. hier eine Macht über
die Geifter üben, die noch heute im Heffenland kräftig
nachwirkt. Schon diefe allgemeinen Bemerkungen zeigen

Zielfetzung ift hier wie fo manchmal die Rettung vor einer
vollen Verzeichnung des Bildes. — Inzwifchen find eingehendere
Befprechungen erfchienen von dem Kirchenrechtler
Ernft Heymann, Zeitfchr. d. Vereins f. Heffifche
Gefchichte und Landeskunde 1914' S. 401fr., fowie von
Friedrich Wiegand, Zeitfchr. f. Kirchengefchichte 1914,77 fr.

die Bedeutung des Mannes und den Reiz einer gründ- : Marb a. d. L. Horft Stephan

uchen Befchäftigung mit ihm. hall wichtiger noch aber | ö