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Ausgabe:

1914

Spalte:

311-312

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die mit der Theologie verknüpfte Not der evangelischen Kirche u. ihre Überwindung 1914

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 10.

312

über das Wefen des Chriftentums und die Geltungsgründe der Perfon Chrifti gerichteten Angriffe die Fertigkeit des
des Chriftentums fortzufchreiten. Dabei ift eine einlieft- Glaubensgrundes, deren der Chrift bedarf, in einer die
liehe Methode vonnöten, deren Auffindung und genauere Bedrängnis früherer Zeiten noch überbietenden Weife be-
Beftimmung vorbereitet wird durch eine kritifche Dar- ■ droht wird. Zur Überwindung diefer Gefahr greift ein
ftellung der Methoden Franks und Biedermanns und durch j wohlgemeinter, aber fchließlich doch aus Angft, das heißt
eine ausführlichere Auseinanderfetzung mit dem Verfahren j aus Unglauben geborener Eifer zu Mitteln, die das Übel
Schleiermachers. I nur noch verfchlimmern können. Man verfucht die Reli-

Welches ift die gefuchte einheitliche Methode der j gion mit Hilfe politifcher Macht durchzufetzen oder durch

Vernunft und wiffenfchaftlich zwingende Argumente zu begründen
. Man gibt dem römifchen Zuge nach, indem
man der Schriftforfchung Schranken fetzen und ihr kirch-

fyftematifchen Theologie ? Nach einer Reihe von Präludien
über die ,Gefchichte der religionspfychologifchen Problem-
ftellung', über die Leiftungen James' und Heinrich Maiers

und unter forgfamer Abgrenzung gegen die Methode des [ lieh genehme Ergebniffe vorfchreiben will. Man quält
,apriorifchen Rationalismus' und gegen diejenige des ,Neu- ' fich den Entfchluß ab, alles für wahr zu halten, was in

friefianismus' wird fie genauer gekennzeichnet als die aus
der ,Kombination' der ,methodologifchen Grundtendenzen'
Schleiermachers und James' fich ergebende .religions-
pfychologifche Methode', die allerdings nicht mit einem
bloß .empirifch-pfychologifchen' Verfahren zu verwechfeln
ift, fondern mit einem früher vom Autor gebrauchten
Ausdruck als ein ,tranfzendental-pfychologifches' Verfahren
zu charakterisieren wäre. .Unter grundfätzlicherBe-
rückfichtigung des Wahrheitsintereffes des religiöfen Be-
wußtfeins' fucht fie ,auf derBafis der tranfzendentalenFrage

der Bibel fleht, während doch ,das Prunken mit der Erklärung
, man folle etwas für wahr halten, was man von
fich aus nicht als wahr anfehen würde, nicht einmal einen
ehrlichen Menfchen, gefchweige denn einen Chriften macht'
(40). Mit großer Kraft und Klarheit kehrt fich H. gegen
die verhängnisvolle Selbfttäufchung, die folchen Verfuchen
zu Grunde liegt. Aus der Not kann uns nichts retten,
was die Reinheit des Gewiffens trüben, den Wahrhaftig-
keitsfinn erfticken und uns fowohl um die Gefundheit der
Seele als um die Möglichkeit bringen würde, uns immer

ftellung nach den Bedingungen der religiöfen Objekt-Er- 1 wieder aus der in der heiligen Schrift fich erfchließenden

faffung' ,die gefchichtlichen Gebilde, in denen das religiöfe
Bewußtfein der Menfchen fich objektiviert hat, auf ihren
fpezififch religiöfen Kerngehalt hin zu analyfieren' und
ftellt fo ,die entfeheidenden religiöfen Grundmotive und

Quelle zu verjüngen. Gründlich ift uns nur dann geholfen,
wenn die Gefahr, die die Unficherheit der Überlieferung
von Chriftus uns zu bringen fcheint, fich in einen Segen
wandelt und zürn Förderungsmittel umgebogen wird. Die

Grundtendenzen' ans Licht. Damit leiftet fie zugleich für j Tatfache der neuteftamentlichen Überlieferung verhilft
die Verteidigung der Religion und des Chriftentums das ! uns zu dem perfönlichen Erlebnis, durch das unfer Glaube

Wichtigfte von dem, was überhaupt apologetifch geleiftet
werden kann.

gefchaffen ift und fich immer wieder entzündet. Denn
was fich in der heiligen Schrift an der Hand der Gefchichte

Ausdrücklich fei noch gefagt, daß nach Wobbermin, 1 Israels und des Neuen Bundes immer klarer enthüllt, ift
unerachtet der heuriftifchen Bedeutung der perfönlichen | die geiftige Macht eines unbeugfam gerechten und uner-
Erfahrung, bei der Erforfchung des Chriftentums das fchöpflich guten Willens, deffen vollkommene Offenbarung
Chriftentum der Schrift den Ausgangspunkt zu bilden hat, ! Jefus Chriftus ift, der in den die Kraft feines inneren
und daß er zum Schluß am Paradigma eines biblifchen 1 Lebens verfpürenden Menfchen eine das Leid und die
Begriffs, nämlich des Reichs-Gottes-Begriffs, den Unter- j Sünde befiegende Zuverficht zu Gott weckt. Eine folche

fchied einer bloß religionsgefchichtlichen Behandlung und
einer religionspfychologifchen klar zu machen fucht.

Soweit, in gedrängter Kürze wiedergegeben, der Inhalt
des Buchs. Bei einer etwaigen Kritik würde fich die

Erkenntnis bannt jede Angft vor der Bibelkritik und gibt
uns auch die richtige Stellung zur heiligen Schrift. Der mächtige
Inhalt des in dem Neuen Teftament überlieferten Chriftus-
bildes ftellt uns vor dieEntfcheidung:Dürfenwir dasfelbe für

Aufmerkfamkeit vorwiegend auf die Frage zu richten j ein Zeugnis von Menfchen halten, die im Grunde ebenfo

haben, ob die .religionspfychologifche Methode' nun auch ohnmächtige Wefen waren, wie wir felbft, oder dürfen
wirklich die Methode der Syftematifchen Theologie fei. j wir es nicht? Wie verfchieden ift diefe Frageftellung von
Verlieht man den Ausdruck im Sinne des Verfaffers, fo j der Forderung, in abfichtlicher Verblendung fremde Lehren
daß er zugleich auf zwei Aufgaben hinweift, fo dürfte es | für unfere eigenen Gedanken auszugeben und als unferen

fchwer fein, nicht zuzugeben, daß mit der .religionspfychologifchen
'Methode das Hauptverfahren der fyfte-
matifchen Theologie richtig herausgehoben fei. Denn daß
fie allein völlig ausreiche, namentlich in der Apologetik,

eigenen Befitz zu behandeln! Es geht uns in der heiligen
Schrift die wirkliche Gefchichte nur als etwas auf, was
wir felbft erleben können.

Diefe Gedanken, die H. in allen feinen Schriften mit

ift nicht die Meinung des Autors: vgl. S. 410. Uber die j unermüdlicher Tapferkeit vertritt, hat er hier in gedräng-
Zweckmäßigkeit der gewählten Terminologie möchte ich | ter Form zufammengefaßt und auf einen durch die Not-

aber hier die Diskuffion nicht neu eröffnen. Lieber erinnre
ich daran, obwohl ich natürlich nicht mit allen Einzelheiten
einverftanden bin, wie viel Gutes und Lehrreiches
in den zahlreichen eingeflochtenen Auseinanderfetzungen

läge der Gegenwart bedingten Ausdruck gebracht. Ob
die inhaltfchwere, durch polemifche Auseinanderfetzungen
und gelegentliche Exkurfe durchzogene, nicht in leicht
überfichtliche Gedankengruppen gegliederte Darfteilung

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enthalten ift: als einige wenige Beifpiele feien angeführt , fich zu einem .Volksbuch'eignet, ift mir nicht ohne weiteres
die Abrechnung mit Cohen, mit Troeltfch, mit den Neu- j gewiß. Auch wird nicht jeder fofort die fcharfe Luft ver-
friefianern. ] tragen, die auf den von H. eingenommenen Höhen weht

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Herrmann, Prof. D. W.: Die mit der Theologie verknüpfte
Not der evangelifchen Kirche u. ihre Überwindung. 1 —10.

Tauf. (Religionsgefchichtliche, Volksbücher f. die deut-
fchechriftliche Gegenwart. IV.Reihe[Kirchengefchichte],
2. Heft.) (44 S.) 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1913.

M. —50; geb. M. —80

Die mit der Theologie verknüpfte Not der evangelifchen
Kirche erreicht gegenwärtig ihren Höhepunkt in
der Tatfache, daß durch die gegen die Gefchichtlichkeit

Manchen aber, die fich durch die Trugfchlüffe einer Schein-
wiffenfehaft nicht befchwichtigen laffen, und einer religiöfen
Gewißheit bedürfen, die durch eine in perfönlicher
Erfahrung ergriffene Wirklichkeit erzeugt wird, werden
H's Worte zu innerer Sammlung und Selbftprüfung, zu
gründlicher Klärung und Vertiefung, und damit zugleich
zu wiffenfehaftlicher Förderung und zu evangelifcher Bereicherung
verhelfen.

Straßburg i. E. P. Lobftein.